Von der Hybris der Macht
Schillers “Maria Stuart” am Stadttheater
Von Frank Heindl
Eine kahle, vermüllte Halle. Ein Suchscheinwerfer fährt an der Decke hin und her, lässt seinen Lichtkegel kreisen, weckt Assoziationen an Todesstreifen, Kerker. Und in der Tat: Die Königin, die hier lebt, ist eine Gefangene. Maria Stuart, einst selbst mächtig, nun nur noch Schachfigur im Spiel der Mächtigen, kauert zusammengerollt unter einem alten Mantel. Noch versucht sie mitzuhalten, nimmt teil an der höfischen Kabale. Sie kämpft um Macht und Ansehen, ahnt nicht, dass es für sie schon um mehr geht: ums Überleben. Am Ende von Schillers Drama wird sie tot sein, und die triumphierende Konkurrentin, Elisabeth I, Königin von England, wird allein zurückbleiben, siegreich, aber ehrlos, moralisch gescheiterte Machtpolitikerin, den Ränken ihrer Hofschranzen erlegen.
Den Anfang des 1799 entstandenen Dramas bringen die Augsburger Schauspieler allzu hurtig auf die Bühne, die Inszenierung durch Augsburgs Schauspieldirektor Markus Trabusch hetzt fast atemlos durch den ersten Akt. Da bleibt manche sprachliche Feinheit auf der Strecke, da ist erkennbar zu wenig am Ausdruck gearbeitet worden. Wenn Maria, an Elisabeth gerichtet, ausruft: “Ermorden lassen kann sie mich, nicht richten!”, ein Satz, in dem der ganze Widerspruch zwischen Macht und Moral, zwischen Gerechtigkeit und Staatsraison anklingt, dann darf über diesen Satz nicht einfach hinweg gesprochen werden. Hier ist jedes Wort wichtig, hier muss jede Betonung, jede Pause, jede Färbung bewusst gesetzt werden. Wenn sie später dem britischen Adel vorwirft, unter vier Regierungen den Glauben viermal geändert zu haben – müsste da nicht wenigstens die Zahl vier eine Hervorhebung erfahren? Müsste nicht ein verächtlicher, höhnischer Unterton zu hören sein, wenn derart die Peers Ihrer Majestät als opportunistische Wendehälse bloßgestellt werden? Wenn solche Feinheiten zu viel Zeit in Anspruch nehmen, dann kann nicht eiliges Drüberweghuschen das Rezept sein, dann wären ein paar weitere behutsame Kürzungen die bessere Lösung gewesen. Dabei ist am Sprechstil erkennbar gearbeitet worden: Kein Wort soll in dieser Inszenierung verloren gehen, die Schauspieler treten theatralisch an die Rampe, um ihre Sätze mehr dem Publikum als dem Bühnenpartner vorzutragen, deklamieren hart, scharf, überdeutlich.
Doch der Eindruck des Übereilten verebbt, glücklicherweise, vom zweiten Akt an. War das Spiel – besonders das von Franziska Arndt als Maria Stuart – schon im ersten Akt präzise und intensiv, so wird es nun auch die Sprache. Das liegt auch in der Dramenlogik, denn während der erste Akt noch stark der Klärung von Situation und Konflikten diente, naht bereits im zweiten die Zuspitzung: Am Hof von Elisabeth treffen gegensätzliche Auffassungen von Moral und Politik hart aufeinander. Den einen geht es um die Staatsraison, den anderen um die Meinung des Volkes; einer, Mortimer (Alexander Koll), liebt Maria und ist bereit, für sie zu sterben; der andere, Leicester (Martin Herrmann), hat sicherheitshalber mit beiden Königinnen angebandelt und hängt sein Fähnchen regelmäßig neu in den Wind. Alle werden sie scheitern in dem Netz aus Intrigen und (Un?)verbindlichkeiten, das sie umeinander ausgebreitet haben.
Zwischen ihnen steht – selbstbewusst und trotzdem ratlos – Elisabeth (großartig schwankend zwischen Verletzlichkeit und Härte: Ute Fiedler). Sie kämpft um ihren Platz als Frau in der höfischen Männergesellschaft und als Königin in der internationalen Politik. Sie weiß, dass sie ihrer Macht nur erhalten kann, wenn sie den französischen Kronprinzen heiratet – und sich ihm als Frau und als Herrscherin unterwirft. Sie kämpft um eine Freiheit, die ihr weder Politik noch Gesellschaft des 16. Jahrhunderts geben können. Mit allen Wassern gewaschen ist sie, alle Mittel einzusetzen ist sie gewohnt: Unter der Königsrobe trägt sie hochhackige Pumps für den Nahkampf im Machtpoker, der Einsatz ihres Körpers als Belohnung für den potentiellen Mörder Marias scheint ihr natürlich – und doch sucht sie, hinter der Fassade von Allmacht und Selbstbewusstsein – nach Liebe.
Die Dinge nehmen ihren Lauf, wie sie ihn im klassischen Drama nehmen müssen. Die sich gegen Elisabeth und ihr Schicksal aufbäumende Maria wird vor dem Schafott ihre Sünden beichten und im Angesicht des Todes mit sich selbst ins Reine kommen – königlich gewandet tritt sie als Königin ab. Elisabeth dagegen, die Siegerin im Machtkampf, steht plötzlich als Verliererin da: Statt Hochzeit und Versöhnung mit Frankreich steht Krieg ins Haus, und auch Spanien rüstet schon seine Armada. Schlimmer aber: Mit dem Todesurteil gegen die ehemalige Königin von Schottland hat sie echte wie falsche Freunde vergrault. Am Schluss stellt die Inszenierung sie vor eine Mauer, ihre Robe hat sie abgelegt, sich sogar des Schuhwerks entledigt. Und alle, die den schmalen, absturzgefährdeten Weg zu ihr noch nehmen, bringen nur vernichtende Nachrichten. Prophetisch und für Schiller programmatisch verkündet Shrewsbury (Eberhard Peiker) die Hybris des absolutistischen Herrschers: “Du hast von nun an nichts mehr zu fürchten, brauchst nichts mehr zu achten”. Was machtpolitisch ein Erfolg sein mag – menschlich ist es für Elisabeth das Ende: Geradezu sarkastisch mutet Schillers Schluss an, als auf ihren Befehl, der Geliebte Graf Leicester möge kommen, die Antwort lautet, dieser lasse sich entschuldigen, er sei “zu Schiff nach Frankreich”. Dann fällt letzte Tür und die Siegerin ist allein.
Verdienter Applaus für eine karge, hochkonzentrierte Inszenierung, die, weit entfernt vom modischen Regietheater, sich streng am Schillertext orientiert und diesen zu deutlicher, gegenwartsbezogener Geltung bringt.
(Fotos: Nik Schölzel)
Die nächsten Aufführungen von “Maria Stuart” gibt es am 29. März sowie am 1., 3., 5. und 11. April.
» Theater Augsburg