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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Verantwortung bedeutet Antworten geben“

Regisseur Mahamad-Saleh Haroun im Interview

DAZ: Monsieur Haroun, Sie haben im Publikumsgespräch nach der Präsentation Ihres Filmes erwähnt, dass auch Sie selbst im Bürgerkrieg im Tschad verwundet wurden …

Haroun: Das ist richtig. 1997, ich war damals 19, wollte mein Vater mich in Kamerun vor dem Bürgerkrieg im Tschad in Sicherheit bringen. Auf dieser Flucht bin ich von einem Querschläger getroffen worden. Er hat mich dann über den Grenzfluss gebracht, in dem Adam im Film seinen Sohn beerdigt. Damals war das Flussbett allerdings fast ausgetrocknet.

DAZ: Sie thematisieren nun zum dritten Mal eine afrikanische Vater-Sohn-Beziehung. Hat auch das etwas mit Ihrer eigenen Geschichte zu tun?

Haroun: Nein, überhaupt nicht! Mein Vater war ein toller Mann. Aber die Beziehungen der Väter zu Ihren Söhnen sind in Afrika immer noch so sehr von der Gewalt geprägt – und von der Tatsache, dass nicht gesprochen wird. Afrika ist geradezu der Kontinent des Ungesagten: Das, was wirklich wichtig ist, wird nicht ausgesprochen. Deshalb dominiert das Nicht-Gesagte ja den ganzen Film.

DAZ: Also ein Film gegen die Gewalt?

Haroun: Ja, selbstverständlich – aber es geht natürlich auch darum, was man für eine Vision davon hat, was aus der Menschheit werden soll.

„Das Leben ist eine Tragödie“

DAZ: Was ist Ihre Vision der Zukunft?

Haroun: Es ist mittlerweile eine sehr pessimistische, damit bin ich ja nicht alleine. Den Optimismus überlasse ich den Bekloppten. Ich empfinde das Leben eher als Tragödie – es bewegt sich doch von Anfang an auf den Tod hin.

DAZ: Zurück zur Gewalt: Ist Sie wirklich ein Problem von Vater und Sohn? Ist sie speziell in Afrika nicht auch ein Resultat der Ausbeutungsgeschichte seit Sklaverei und Kolonialisierung?

Haroun: Das Argument akzeptiere ich nicht mehr. Im Tschad war 40 Jahr lang Bürgerkrieg. Oder nehmen Sie das aktuellste Beispiel: Die Elfenbeinküste war für lange Zeit ein positives Beispiel auch für die ökonomische Entwicklung Afrikas – nun herrscht auch dort der Krieg. Man kann das nicht für immer und ewig auf die Kolonialherrschaft schieben. Ich weiß, dass im Tschad 40 Jahre lang die Gewalt immer wieder vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurde. Die Gewalt lastet auf den Söhnen wie eine Hypothek, die die Söhne nur mit wieder neuer Gewalt abzahlen können – ein Teufelskreis, denn in Afrika ist jeder Mann Vater eines Kindes. Und in diesen patriarchalen Gesellschaften ist der Vater heilig. Genau da will ich ansetzen: Adam ist auch Opfer – er kämpft um seinen Job, um die Anerkennung. Was die Afrikaner durch die Globalisierung gelernt haben ist: Ohne Arbeit ist ein Mann kein Mann, ist ein Mensch kein Mensch. Aber Adam ist kein Heiliger – er verrät seinen Sohn.

Verantwortung hat mit Sprechen zu tun

DAZ: Wie übernimmt man in solchen Verhältnissen positive Verantwortung für seine Kinder?

Haroun: In allen meinen Filmen geht es um die „Unverantwortlichkeit“ der Männer. In den romanischen Sprachen, auch im Englischen, ist das noch deutlicher als im Deutschen: Responsibility heißt Ver-antwortung, to respond bedeutet antworten, vom lateinischen respondere. Deshalb hat Responsibility mit Sprechen zu tun, damit, dass man Fragen beantwortet, auch die, die keiner laut gestellt hat. Wer hat Schuld am Krieg? Was ist mit Gott? Erst am Schluss ist der Vater zum ersten Mal verantwortlich, weil er dem Wunsch des Sohnes nachkommt, noch einmal im Fluss zu baden. Weil er sich damit gegen die Gesellschaft und deren falsche Antworten stellt. Verantwortung bedeutet also zu sprechen und Antworten zu geben!