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Montag, 28.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Stadtjugendring in schwerer Not

Der Augsburger Stadtjugendring befindet sich in finanziellen Schwierig­keiten und ist von einem Skandal erschüttert, dessen Folgen aktuell noch nicht absehbar sind. Die Not des Stadtjugendrings resultiert aus einem Fehlverhalten der Kassenleitung, das dafür sorgte, dass sich die gesamten Rücklagen des Stadtjugendrings in Luft auflösten.

Von Siegfried Zagler



Dabei geht es um einen Betrag im sechsstelligen Bereich. Nach Informationen der DAZ sind nach dem aktuellen Stand der Dinge dem Stadt­ju­gendring wohl im Laufe vieler Jahre Rücklagen­beträge in Höhe von zirka 500.000 Euro „abhanden gekommen“. Möglich wurde dies durch trickreiche und schwer erkennbare Luftbuchungen seitens der Kassenleitung des Stadtjugendringes (Name ist der Redaktion bekannt). Nach Aussagen des Stadtjugendring-Geschäftsführers Helmut Jesske sind dabei die Rücklagen komplett verbraucht worden, was aber nicht auf dem Papier erkennbar gewesen sei. Jesske habe dies Ende des vergangenen Jahres erkannt, als er genaue Einsicht in Buchhaltung nehmen musste, weil besagte Person in der Kassenleitung sich im Kranken­stand befand.

Motiv der persönlichen Bereicherung lässt sich ausschließen

Helmut Jesske unternahm sofort, was er als Stadtjugendring-Geschäftsführer unternehmen musste: Er verständigte den Vorstand, schaltete einen Innenrevisor des Bayerischen Jugendrings ein und informierte die Stadt, also OB Kurt Gribl und Sozialreferent Max Weinkamm. Die Stadt, die Geschäftsführung und der Vorstand des Stadtjugendrings verständigten sich offenbar schnell darauf, die Öffentlichkeit bis zum Abschluss der Innenrevision über diese Vorgänge nicht zu informieren. Das liegt neun bis zehn Wochen zurück. Die Arbeit des Innenrevisors mag noch nicht ganz zu Ende sein, aber nach dem augenblicklichen Stand der Dinge kann man eine Veruntreuung bezüglich einer persönlichen Bereicherung ausschließen.

Rücklagen sind zweckgebunden

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Geldgrab für die SJR-Rücklagen: verlängerte Mittagsbetreuung (Screenshot sjr-a.de)


Dennoch liegt ein schweres Fehl­ver­halten vor. Die Rücklagen des Stadt­jugendrings sind zweckgebunden und werden in erster Linie für Personal­kosten, Zuschüsse für Neubauten und Sanierungs­arbeiten verwendet. Sie erfüllen den Zweck, den Stadt­jugendring liquide zu halten, bis die öffentlichen Zuschüsse eingehen. Das Verschwinden der kompletten Rück­lagen des Stadt­jugendrings ist offen­sichtlich auf eine einzige zweckfremde Verwendung der Gelder zurückzu­führen. Dabei geht es um Defizite in Sachen Nachmittags­betreuung von fünf Schulen in Augsburg, wofür der Stadtjugendring zuständig ist. Dazu gehört zum Beispiel die Essens­versorgung von 285 Schülern. Diese Leistungen des Stadtjugendrings sind finanziell nicht über städtische und staatliche Zuschüsse gedeckt und stellen somit einen erheblichen Kostenfaktor dar, weshalb dafür in hohem Maß die Eltern der Kinder mit Teilnehmer­gebühren aufzukommen haben.

Versäumnisse im Rechnungswesen jahrelang mit Buchungstricks kaschiert

Die Kassenleitung des Stadtjugendrings hat es im großen Stil versäumt, die Gelder von säumigen Zahlern einzufordern. Die Verluste aus dieser Situation wurden nicht korrekt in den Folgehaushalt gestellt, sondern auf so genannten „Verwahrkonten“ belassen. Diese Defizite wurden von der Kassenleitung eigenmächtig über viele Jahre aus den Rücklagen ausge­glichen. Anders formuliert: Verluste auf dem Geldmarkt­konto wurden auf das Girokonto transferiert, wo sie durch die vielen Zahlungs­eingänge und Zahlungs­ausgänge „unsichtbar gemacht“ wurden und nicht über den Folgehaushalt abgearbeitet werden konnten. Wie lange diese eklatanten Verstöße gegen die Finanz­ordnung des Stadt­jugend­rings getätigt wurden, lässt sich anscheinend kaum noch nachvollziehen. Die für diese Vorgänge direkt verantwortliche Kassen­leiterin ist erkrankt und befindet sich stationär in ärztlicher Behandlung.

Steht Geschäftsführer Jesske in der Verantwortung?

„Nein, wir konnten allen Verpflichtungen nachkommen!“, so Stadtjugend­ring-Geschäftsführer Helmut Jesske auf die Frage, ob der Stadtjugendring aufgrund der eigenmächtigen Handlungsweise der Kassenleitung in Zahlungsschwierigkeiten geraten sei. Dass man sich dennoch Sorgen bezüglich der Liquidität des Stadtjugendrings machen müsse, wollte Jesske nicht ausschließen, aber auch nicht bestätigen. Welche Konsequenzen diese Vorgänge nach sich ziehen, lässt sich augenblicklich nicht absehen. Jesske kann man vorwerfen, dass er den eigenmächtigen Handlungsweisen „seiner“ Kassenleitung schon viel früher auf die Schliche hätte kommen können, wenn nicht müssen. Zu seiner Verteidigung lässt sich anführen, dass der Augsburger Stadtjugendring als unselbständige Gliederung des Bayerischen Jugendrings und Körperschaft des öffentlichen Rechts ritualisierten Kontrollvorgängen unterworfen ist. Wie bei Vereinen muss die Kassenleitung von einer Vollversammlung entlastet werden und vorab von zwei ehren­amt­lichen Kassenprüfern geprüft werden. Jürgen Kerner, Vorstandsmitglied der IG Metall, ist zum Beispiel einer der ehrenamtlichen Kassenprüfer beim Stadtjugendring. Bemerkt hat er von den Unregelmäßigkeiten ebenso wenig wie der Bayerische Jugendring, der den letzten Haken setzt. Helmut Jesske betrachtet den Umstand, dass über viele Jahre an der Geschäftsführung vorbei die Rücklagen gegen die Finanzordnung und somit für fremde Zwecke verwendet werden konnten, als Systemfehler und arbeitet derzeit mit dem Innenrevisor des Bayerischen Jugendrings an einer Umstrukturierung der Buchhaltung, dabei habe die Kontrollierbarkeit des Haushaltssystems Priorität. „Alles soll transparenter werden“, so Jesske, der seit 10 Jahren die Geschäfte des Augsburger Stadtjugendrings führt.

Jesske will in den Landtag, Brandmiller in den Stadtrat

Raphael Brandmiller ist in seiner Eigenschaft als 1. Vorstand des Stadtjugend­rings „kraft seines Ehrenamtes“ viel zu weit vom operativen Geschäft des Buchungs- und Kontrollwesens entfernt, um ernsthaft unter politischen Beschuss zu geraten, aber Brandmiller hat repräsentative Aufgaben und ist im politischen Alltagsgeschäft ein geschickter Vertreter des Stadtjugend­rings. Er ist der erste Zuständige für die politischen Implikationen in dieser Angelegenheit. Schließlich handelt es sich bei den verschwundenen Rücklagen um Steuergelder. Die Höhe des Betrages ist bisher von niemand bestätigt worden. Brandmiller will dem Stadtjugend­ring solange vorsitzen, bis alles rückhaltlos aufgeklärt ist, wie er gegenüber der DAZ erklärte. Die kommende Vollver­sammlung des Stadt­jugend­rings am 17. Juni dieses Jahres sollte dafür die Deadline sein.

Weder der zuständige Sozialreferent noch Raphael Brandmiller noch Helmut Jesske waren am Freitag an einer offensiven Informationspolitik interessiert. Jesske legte Wert darauf, dass er als Geschäftsführer dafür nicht zuständig sei. Jesske kämpft auf Listenplatz 11 der bayerischen SPD um den Einzug in den Landtag. Brandmiller hat wohl bessere Aussichten in Sachen Stadtratsmandat. Er will OB-Kandidat der Grünen werden. Wie berichtet, wählen die Grünen Mitglieder bis zum 3. April mittels Urabstimmung ihren OB-Kandidaten.

Sozialreferent Weinkamm schweigt, OB Gribl erwartet Konsequenzen vom Stadtjugendring

Die Stadt Augsburg bezuschusst den Stadtjugendring dieses Jahr mit zirka 2,5 Millionen Euro. Der zuständige Sozialreferent Max Weinkamm (CSU) übt sich bei dieser Angelegenheit überraschenderweise in etwas, das unter normalen Umständen nicht zu seinen Stärken zählt. Er schweigt, da es, wie Weinkamm betonte, eine Stillhaltevereinbarung gebe. „Ich möchte mich zu den Vorgängen offiziell nicht äußern. Ich warte auf den Prüfungsbericht des Innenrevisors und hoffe auf eine lückenlose Aufklärung“, so Weinkamm. OB Kurt Gribl ist erleichtert darüber, dass die Gelder nicht veruntreut wurden und setzt auf eine buchhalterische Aufklärung. Für Augsburgs Oberbürgermeister kommt es nun darauf an, welche Konsequenzen der Stadtjugendring aus dieser Affäre zieht.