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Dienstag, 19.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Kunst und Kontext

Stadt geht vorsichtig auf Distanz zu Fritz Koelle: Zwei Figuren werden kontextualisiert

Der in Augsburg geborene Bildhauer Fritz Koelle (1895-1953) ist mit seinem Werk numerisch so oft wie kein anderer Künstler in der Stadt Augsburg vertreten. Mindestens zwölf Koelle-Figuren sind im öffentlichen Raum der Stadt verteilt. Zwei davon erhalten nun Kontexttafeln, die bezüglich seines Werkes „kritisch-historische Distanz“ empfehlen.

Dr. Thomas Elsen (Kunstsammlungen Augsburg) stellte die Texte am gestrigen Montag dem Kulturausschuss vor, dieser nahm sie wohlwollend zur Kenntnis. Somit sind die Kontexttafeln quasi beschlossen. Der Ausschuss folgte somit einem Antrag von CSU und den Grünen vom September 2020. Ein Antrag, der von einer Ausstellung der Kunstsammlungen Augsburg angestoßen wurde.

Anlässlich des 125. Geburtstags des Augsburger Bildhauers Fritz Koelle zeigten die Kunstsammlungen und Museen Augsburg eine thematisch organisierte Ausstellung im Grafischen Kabinett des Höhmannhauses, die im Januar dieses Jahres zu Ende ging. Museumsleiter Dr. Christof Trepesch schlug in seinem Begleittext zur Ausstellung vor, eine kritische Distanz zu den teils lebensgroßen Bronzefiguren im öffentlichen Raum herzustellen. Die Forschung (Eva Pasche 2008) zeichne Koelle als „labile Persönlichkeitsstruktur“, enttarne ihn als „gezielt taktierenden Opportunisten“, „der sich bereitwillig und bedenkenlos den jeweiligen (politischen) Situationen und Lagern anpasste.“ Das stete Anpacken politischer Themen werfe aus heutiger Sicht einen Schatten über das künstlerische Tun des Augsburger Bildhauers. „Insofern ist auch eine kritische Distanz zu den teils lebensgroßen Bronzefiguren des Bildhauers im öffentlichen Raum – wie sie von Augsburg bis St. Ingbert und Reden bis heute aufgestellt sind – durchaus angebracht, so Trepesch.

 „Wir begrüßen den Vorstoß der Augsburger Kunstsammlungen und Museen sehr, sich kritisch mit der eigenen Kunst zu beschäftigen und unterstützen diesen Vorschlag,“ so der CSU-Fraktionsvorsitzende Leo Dietz in der Erklärung des gemeinsamen Antrags der Regierungsfraktionen.


Text zum Saarbergmann, 1937 (Standort: Heinrich-von-Buz-Realschule, Eschenhofstraße, Augsburg-Oberhausen):

F. Koelle: Saarbergmann — Foto DAZ

„Das Motiv des Bergmanns hat der in Augsburg geborene Bildhauer Fritz Koelle durch seine aus dem Saargebiet stammende Frau Elisabeth kennengelernt. Die überlebensgroße Bronzefigur zeigt einen stehenden Bergmann in heroischer Haltung der seinen Blick in die Ferne richtet. Einziges Attribut ist die am Gürtel hängende Bergmannslampe. Solche Bergmannfiguren wurden in der NS-Ideologie mit dem Soldaten gleichgestellt, indem man die Bergleute als „Soldaten der Arbeit“ stilisierte.“

Text zum betenden Saarbergmann, 1934 (Standort: Fritz-Koelle-Straße/Ecke Reichenbergstraße, Augsburg (Herrenbach)):

„Bei dieser Figur greift Fritz Koelle als Motiv das Gebet vor der Einfahrt ins Bergwerk auf. Die Bergarbeiterthematik hat Koelle durch seine im Saargebiet geborene Frau Elisabeth Karmann in den 1920er Jahren kennengelernt. Ein weiterer Abguss – deren Verbleib unbekannt ist – wurde anlässlich der Saarabstimmung 1935 in der Berli- ner Reichskanzlei aufgestellt. Für die Nationalsozialisten verkörperte die Figur das „schwere Bergmannslos“, das sich für sie schicksalhaft mit der „Saarfrage“ zum Anschluss des Saarlandes an das Deutsche Reich verbindet.“

Text für beide Figuren:

„Der Augsburger Bildhauer rückte den Menschen ins Zentrum seines künstlerischen Interesses und schuf in den 1920er Jahren zahlreiche Arbeiterdarstellungen. Während der menschenverachtenden Diktatur des Nationalsozialismus stellte er seine Kunst schließlich in den Dienst des Systems, ebenso im sozialistischen Unrechtsstaat der sowjetischen Besatzungszone und späteren Deutschen Demokratischen Republik. Bei der Betrachtung seiner Figuren ist daher eine kritisch-historische Distanz angebracht.“