Staatstheater: Beethoven und das Pathos
Am Sonntag feierte das Staatstheater Augsburg im Martini-Park die Premiere der Oper Fidelio von Ludwig van Beethoven in der Neuinszenierung von André Bücker
Von Otto Hutter
Beethovens Ruhm gründet auf seinen Sinfonien. Hier gelang ihm alles. Seine Oper Fidelio war dagegen sein Sorgenkind. Die verschiedenen Fassungen (1805,1806, 1814) sowie die Komposition von vier Versionen der Ouvertüre legen von Zeugnis von Beethovens Schwierigkeiten mit der Bewältigung des Stoffes ab.
So blieb Fidelio auch Beethovens einzige Oper, deren Handlung sich folgendermaßen fokussieren lässt: Der Gefängnisdirektor Don Pizarro hat seinen politischen Widersacher Florestan amtsmissbräuchlich in einem Verlies verschwinden lassen. Dessen Ehefrau Leonore bemüht sich als Mann verkleidet (Fidelio) um dessen Befreiung. Die gelingt schließlich, weil der Minister Don Fernando kommt um das Gefängnis zu inspizieren.
Allein diese Eckpunkte ermöglichen es Beethoven, die ganze Bandbreite der Gefühle, von tiefster Verzweiflung (Gott! Welch Dunkel hier! grauenvolle Stille! – Nr. 11 Arie des Florestan) bis zum höchsten Glück (Heil sei dem Tag, Heil sei der Stunde – Nr.16 Finale) in Musik zu setzen.
Die Intensität des musikalischen Ausdrucks von Gefühlen hatte Beethoven schon zu Lebzeiten zu einer Berühmtheit gemacht.
Der Augsburger Staatstheater-Intendant André Bücker legte am Sonntag nun eine Neuinszenierung vor. Seine Interpretation kreist hauptsächlich um eine Frage: Inwieweit ist Beethovensches Pathos auch in unserer Zeit noch glaubhaft beziehungsweise überhaupt möglich.
Anstelle der ursprünglichen Dialoge, welche die einzelnen Gesangsnummern verbinden, setzt Bücker eine Person (im Programmheft Hermann Ludwig Müller genannt), welche die Gesangsnummern einleitet, kommentiert, ironisiert, konterkariert und dekonstruiert.
Auf diese Weise soll obige Frage ergründet werden, nämlich: Wissen wir heute noch mit solch “hohen” Gefühlen etwas anzufangen? Das Bemühen Bückers ist legitim, doch leider treten dadurch die Leistungen des Orchesters und der Sänger in den Hintergrund. Dazu trägt auch das konstant halbdunkle Bühnenbild (Sina Barbra Gentsch) bei. Ein überdimensionierter goldfarbener Totenschädel soll das Publikum zum Rätselraten um dessen Bedeutung animieren, dagegen stören die permanenten Videoeinspielungen kaum – wenn man sie unbeachtet lässt.
Nach der Pause setzt eine Entwickung ein. Zunächst treibt die Figur Hermann Ludwig Müller die Brechung der Opernhandlung so weit, bis von einigen Publikumsplätzen empörtes “Aufhören!” gerufen wird (allerdings wohl Teil der Inszenierung), aber dann beginnt Bücker seine eigene Inszenierung zu hinterfragen.
Er nimmt Hermann Ludwig Müller zurück, der weitgehend nur noch pantomimisch agiert, Beethoven bekommt immer mehr Raum, das Orchester nimmt an Fahrt auf, die Sänger entfalten sich und das Beethovensche Pathos triumphiert.
Zum Schluss, als das Orchester zu den letzten Akkorden ansetzt, lässt Regisseur André Bücker seine Figur Hermann Ludwig Müller erwürgen. Und damit auch seine eigene Inszenierung?
Einzelne Buh-Rufe setzen sich nicht durch. Das Publikum zollt höflichen Beifall.
———————————————————————————————————————————————————
Mitwirkende: Sally du Randt (Leonore), Jonathan Stoughton (Florestan), Alejandro Marco-Buhrmester (Don Pizarro), Avtandil Kaspeli (Rocco), Jihyun Cecilia Lee (Marzelline), Roman Poboinyi (Jaquino), Wiard Witholt (Don Fernando), Patrick Rupar (Hermann Ludwig Müller ), Opernchor des Staatstheaters Augsburg, Extra-Chor des Staatstheaters Augsburg, Augsburger Philharmoniker, Dirigent: Domonkos Héja, Inszenierung: André Bücker.