DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Staatstheater Augsburg: Ein interessanter Spielplan, auf den man sich freuen darf

Das Theater Augsburg stellt voller Optimismus einen üppigen Spielplan für die Saison 2021/2022 vor

Von Halrun Reinholz

Grafik: Staatstheater Augsburg

Noch steht es ja in den Sternen, wie viele Zuschauer in den Genuss des Sommer-Programms kommen werden, das sich das Theater als Restbestand der Spielzeit 2020/2021 ausgedacht hat: „Chicago“ auf der Freilichtbühne, „Cyrano de Bergerac“ und anderes „Kleinzeug“ auf dem Kunstrasen im Martinipark. Alles meist ausverkauft, weil die zulässige Zuschauerzahl sehr begrenzt wurde. Aber ob auch was draus wird? Oder vielleicht sogar kurzfristig noch mehr Zuschauer eingelassen werden dürfen? Fallzahlen und Inzidenzen dominieren nach wie vor das Geschehen in Corona-Zeiten. Theater aber lebt freilich vom Improvisieren, das haben die Häuser (auch in Augsburg!) während der Pandemie gezeigt: Geht nicht so? Dann machen wir es anders. Denken uns was aus. Kommen digital daher. Ja, alles schön. Aber jetzt reicht es dann auch. Endlich soll wieder gespielt werden.

Dieses Gefühl war sicher ein Grund, die kommende Spielzeit unter dasselbige Motto zu stellen. Doch ENDLICH hat auch einen ganz anderen Bezug, der wohl die ursprüngliche Motivation für den Leitfaden der Spielzeit war: ENDLICH ist die Welt, sind die Ressourcen. Die Fridays-for-Future-Bewegung hat der Gesellschaft diesen Spiegel vorgehalten und aufgezeigt, was gern verdrängt wird.

Nicht zufällig steht auf dem Spielplan die Uraufführung des Stücks „Freitags vor der Zukunft“. Erstellt wurde es von dem „Theaterkollektiv Futur 2 Konjunktiv“ als Auftragsarbeit für das Augsburger Staatstheater. Und noch eine Uraufführung gleich zum Start der Spielzeit: „Die Antwort auf alles“ von Neil LaBute – ein Psychothriller vor dem Hintergrund der aktuellen Me-Too-Debatte. Das Märchenstück „Der Drache“ von Jewgenij Schwarz ist zwar nicht neu, aber als politische Parabel auf Diktatur und Untertanengeist zweifellos von hoher Aktualität. Und die (verschobene) musikalische Komödie mit dem Sarkasmus eines Georg Ringsgwandl „Die Kunst des Wohnens“ bietet reichlich Gegenwartsbezug. Das Schauspiel hat aber auch „Klassiker“ im Repertoire, so die verschobene Produktion „Zauberberg“ nach dem Roman von Thomas Mann und Ödön von Horváths  „Geschichten aus dem Wienerwald.“ Daneben kleine Produktionen, Lesungen – man zeigt Präsenz.

Im Musiktheater können (so hofft man) aufgeschobene Produktionen nun endlich vor das Publikum. „Orfeo et Euridice“, bei dessen Inszenierung „virtual reality“ eingesetzt wird (und das noch vor deren „Hype“ durch Corona), die die Zuschauer mittels bereitgestellter VR-Brillen goutieren können, soll nun angemessen zur Geltung kommen. Immerhin war die Anschaffung der (sehr teuren) VR-Brillen für das Theater Anlass, über weitere Nutzungsmöglichkeiten nachzudenken. Die „digitale Sparte“ wird mit der neuen Spielzeit offiziell als solche gekürt. Das Theater hat die Corona-Zeit genutzt und einige VR-Produktionen vorgelegt, die überregional bestellt werden können. Schauspiel-, aber auch Ballett-Produktionen. Neben den Ein-Personen-Stücken besonders beeindruckend „Oleanna“,  auch eine Me-Too-Thematisierung, wo das virtuelle (Zusammen-) Spiel mit zwei Darstellern in unglaubliche Räume führt – vom Dillinger Bibliothekssaal bis zum Hühnerstall am Bauernhof. 

Auch die VR-Ballettproduktionen zeigen Nähe. Hier kommt gleich zu Beginn der Spielzeit eine weitere ins Repertoire: „kinesphere“, Ricardo Fernando choreografiert dafür die Annäherung des Tänzers an einen KUKA-Roboter. Neben den bewährten Tanzabenden mehrerer Choreografen wird aber auch die abendfüllende tänzerische Interpretation nach Schuberts „Winterreise“ wieder aufgenommen, deren Premiere nur im Stream stattgefunden hatte.

Außer „Orfeo“ gibt es im Musiktheater keine Wiederaufnahmen, sondern eher „Déja-Vus“ im Programm. Verschobene Produktionen, die wegen Corona gar nicht erst auf die Bühne kamen, erhalten eine neue Chance: Die Kammeroper „In der Strafkolonie“ von Philip Glass nach Kafka oder Mozarts nicht so häufig gespielte Oper „La Clemenza di Tito“. Mit Gounods Faust („Margarethe“) steht ein weiterer Klassiker auf dem Spielplan. Aber dann auch wieder eher Raritäten:  Schostakowitschs musikalische Realsatire aus dem Jahr 1959 „Moskau, Tscherjomuschki“, Benjamin Brittens düstere Oper „Peter Grimes“ und, als mobile Produktion, „Novecento“ von Charles Kálmán, ein „Ein-Mann-Musical“ über einen Ozeanpianisten. Als besonderes schauriges Schmankerl (passend zum Spielzeitmotto) hat sich Intendant André Bücker ein spartenübergreifendes Gesamtkunstwerk ausgedacht, das im April 1922 uraufgeführt werden soll: „Das Ende der Schöpfung“. Auf der Grundlage von Haydns Schöpfung wird, mit Texten des visionären Science-Fiction-Autors Dietmar Dath und musikalischen „Überschreibungen“ von Bernhard Lang die Apokalypse heraufbeschworen. Endzeit. ENDLICH.

Für die Freilichtbühne sieht man aber noch keine Endzeit anbrechen, vielmehr hat man für 2022 wieder was „Verschobenes“ aus der Schublade geholt: „Kiss Me Kate“, das im Sommer 2020 komplett dem Lockdown zum Opfer gefallen ist. Auch das Fugger-Musical „Herz aus Gold“ soll eine neue Chance erhalten und nach einigen Jahren Pause wird es auf der Freilichtbühne tatsächlich wieder drei Aufführungen der „Carmina Burana“ geben, eine schon fast versunkene Tradition.

Die Konzertsaison der Philharmoniker steht ganz im Zeichen der Orgel, denn die Steinmeyer-Orgel in der Kongresshalle ist (nicht zuletzt dank des Engagements und die Benefizkonzerte der Musiker) endlich wieder bespielbar. In dieser Euphorie haben sich die Philharmoniker den Organisten Christian Schmitt als „artist in residence“ geholt. Er wird das Instrument gleich beim ersten Sinfoniekonzert Ende September mit Liszts Fantasie  »Ad nos, ad salutarem undam« und dann auch noch in Richard Strauss`  „Zarathustra“ feierlich zum klingen bringen. Auch noch in weiteren Konzerten (z.B. auch in der Orgelsinfonie von Saint-Saens) wird Christian Schmitt im Laufe der Spielzeit zu hören sein, auch sind Auftritte des Organisten in der Moritzkirche und der Kirche St. Ulrich und Afra geplant. Doch Domonkos Héja hat sich noch andere musikalische Überraschungen für das Konzertpublikum ausgedacht – ein Konzert für Bandoneon von Astor Piazzola, zum Beispiel. Oder einen jazzigen Kontra-Punkt mit Saxophon zu Beethovens 5. Sinfonie. Daneben setzt er auch beharrlich seine „ungarische“ Reihe mit Musik von Béla Bártok fort: mit der konzertanten Aufführung der Oper „Ritter Blaubarts Burg“ und mit dessen Konzert für Viola und Orchester, das keine geringere als Tabea Zimmermann solistisch bestreiten wird.

Wie gewohnt gibt es auch in dieser Konzertsaison eine Uraufführung: Die Symphony No 4 des Komponisten Tobias PM Schneid ist ein Auftragswerk der Augsburger Philharmoniker. Noch merkt man dem Konzertprogramm den Wegfall des Hauptsponsors MAN nicht an und es wäre im Hinblick auf die bewährte Qualität der Aufführungen zu hoffen, dass sich dafür Ersatz findet oder schon gefunden hat. 

ENDLICH oder nicht – das Publikum kann sich freuen auf die geplante Spielzeit und hoffen, dass die Verhältnisse wieder einigermaßen „normal“ werden, man wieder in einem Saal nebeneinander sitzen und echten Menschen beim Spielen zuschauen kann. Ja, und auch in der Pause bei einem Glas Sekt plaudern und Eindrücke austauschen kann. Aber wer weiß das schon.

Freuen kostet nichts. Damit die Vorfreude recht früh beginnt, hat das Theater den „Theatertag“ schon am 4. Juli angesetzt, vor den Theaterferien.