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Sonntag, 18.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Skurrile Ernsthaftigkeit: Norway today im sensemble-Theater

Zwei junge Leute lernen sich im Internet-Chat kennen. Nichts Ungewöhnliches heutzutage, aber ungewöhnlich das Anliegen von Julie: Sie ist auf der Suche nach jemandem, der bereit ist, mit ihr in den Tod zu gehen.

Von Halrun Reinholz

Sie hat alles schon „todsicher“ geplant. August springt darauf an – weil das Mädchen ihn interessiert, über den Selbstmord macht er sich weniger Gedanken. Nachdem sie Fotos ausgetauscht haben, kommt das Date zustande. Und so nimmt eine skurrile Handlung ihren Lauf, die der Theaterautor Igor Bauersima auf der Grundlage einer wahren Begebenheit im Jahr 2000 erstmals auf die Bühne brachte. – Ein ernstes und bedrückendes Thema wird da zweifellos verarbeitet, aber der Autor gestaltet seinen Text so, dass die labile Psyche der letztlich doch sehr unreifen Jugendlichen in ihrer Inkonsequenz vielfach komisch wirkt. Und genau das ist auch das Anliegen der Regisseurin Gianna Formicone am sensemble-Theater. Sie lässt die beiden Protagonisten ihre Widersprüchlichkeit ausspielen und verlangt den jungen Schauspielern Raphaela Beier und Mathias Kusche einiges ab.

Der Spagat zwischen pathetischen Gesten, wie sie der geplanten Selbsttötung angemessen sind, und der Situationskomik, die jede Ernsthaftigkeit konterkariert, ist die Stärke des Textes und das stellt die Darsteller vor eine große Herausforderung. Zudem wird das Pathetische von der „coolen“ Julie strikt abgelehnt, was so manche groteske Situation hervorruft. Raphaela Beier, die bereits als Kind im Klexs-Theater ihrer Eltern Schauspielerfahrung sammelte, zeigt für die schwankende Widersprüchlichkeit der Figur gutes Potenzial. Ihr junger Partner Mathias Kusche gibt den  unsicheren Mitläufer, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Er glaubt an einen großen „Fake“, in stetem Bemühen, die coole Fassade zu wahren. Im Spiel überzeugen beide als Repräsentanten einer Generation, die sich in jeder Lebenssituation inszeniert – der Selbstmord scheitert schließlich auch daran, dass kein angemessenes Abschiedsvideo zustande kommt.  Das Leben spielt sich nur noch in den Medien ab, als Abbild, als „Fake“ eben. Dass sich die Jugendlichen in der skurrilen Situation im Zelt an den Klippen eines norwegischen Fjords menschlich näher kommen, ist klar. Doch sie „ersparen“ sich den Geschlechtsakt, der angesichts des nahen Todes „nichts mehr bringt“. Auch er wird inszeniert, verbal und in allen Einzelheiten im Konjunktiv.

Das sparsame Bühnenbild (zwei schiefe Ebenen auf Rollen, die von den Darstellern einfallsreich verschoben werden) und die gute Arbeit mit Licht erlaubt die Konzentration auf die Darsteller. Sie wandeln sich von körperlosen Chattern im Netz (anfangs im Dunkeln nur mit Taschenlampen agierend) zu hoch emotionalen Wesen, die die Ungeheuerlichkeit ihrer Idee im letzten Moment wahrhaben, weil sie ja „doch noch nicht alles gesehen“ haben, zum Beispiel noch kein Polarlicht. Ein gelungener Theaterabend, der zwischen Entsetzen, Flapsigkeit und Witz betroffen macht.