Meinung
Kommentar: Die Theatersanierung blockiert die Fortentwicklung der Stadt
Der Augsburger Stadtrat hat am 23. Juli 2020 beschlossen, den Theaterkomplex am Kennedyplatz nach den Plänen eines Münchner Architekturbüros zu sanieren. Die Sanierung soll 2028 beendet sein und nach aktuellen Kostenschätzungen zwischen 284 und 321 Millionen Euro verschlingen. Stadträte aus dem Regierungslager sprechen von einem „Jahrhundertprojekt“. Sie könnten Recht haben, denn möglicherweise wird man in hundert Jahren noch von der Verblendung der Verantwortlichen sprechen, wenn man auf diese Epoche der Stadtgeschichte zurückschaut.
Kommentar von Siegfried Zagler
Mit dem Beschluss am 23. Juli 2020 wurde der Stadtratsbeschluss von 2016 kassiert, damals war die überwiegende Mehrheit des Stadtrats davon überzeugt, dass das Projekt mit 186 Millionen Euro zu stemmen sei: 2021 könne man wieder am Kennedyplatz ins sanierte Theater gehen, so die damalige Legende. Aus 186 Millionen sind nun 321 geworden. Der städtische Anteil hat sich von zirka 90 Millionen (2016) auf 140 bis 160 Millionen erhöht: Aus einer im Jahr 2016 anvisierten 5-jährigen Sanierungsdauer, ist eine 12-jährige geworden. Ob die Stadt für diese Theatersanierung von der Regierung von Schwaben eine weitere Kreditaufnahme genehmigt bekommt, ist noch unklar. Dafür steht fest, dass diese Theatersanierung „eine erhebliche Herausforderung darstellt“, wie Finanzreferent Roland Barth „nicht ohne Furcht“ im Stadtrat vortrug. Die Bedingungen dafür, dass die Stadt diese Sanierung ohne bemerkbare Opfer zu stemmen in der Lage wäre, haben sich seit 2016 dramatisch verschlechtert.
Die lokale Wirtschaft ist in Not: Osram und Fujitsu sind verschwunden (und mit ihnen 6000 Arbeitsplätze); MAN und Premium Aerotec schwächeln schon länger (2800 Arbeitsplätze stehen zur Disposition) und auch das Augsburger Vorzeigeunternehmen KUKA wird Stellen abbauen müssen. Der städtische Einzelhandel muss historische Umsatzeinbußen verkraften, alteingesessene Geschäfte schließen und überall sind Leerstände zu beklagen. Dieses Szenario hatte bereits vor der Coronakrise Bestand. Und dennoch wagten OB Kurt Gribl und das Dreierbündnis das Abenteuer der Theatersanierung mit den Parametern „186 Millionen – fünf Jahre Bauzeit“.
Aus der weltweiten Coronapandemie ist längst eine globale Wirtschaftskrise geworden. Auch wenn sich in Bayern das bedrohliche Infektionsgeschehen vorerst beruhigt hat, die Wirtschaftkrise beschädigt auch eines der reichsten Länder mit einem kaum zu fassenden Ausmaß, das Steuerschätzer in schlichte Zahlen gießen: 5,5 Milliarden weniger Steuereinnahmen für den Freistaat werden für 2020 geschätzt. Zum Vergleich: Die Finanzmarktkrise 2009 erzeugte steuerliche Mindereinnahmen von 1,6 Milliarden Euro. Damals halfen Konjunkturprogramme, doch die Wirtschaftskrise, die im Frühjahr 2020 corona-bedingt ihren Lauf nahm, ist ein anderes Kaliber und wird wohl mit staatlicher Lenkung und gigantischen Finanzspritzen nicht so schnell zu verscheuchen sein. Dass ein Stadtrat in einer Zeit wie dieser in einer finanziell schwach aufgestellten Kommune wie Augsburg ein Nice-to-have-Projekt, das über eine weitere Kreditaufnahme finanziert werden soll, mit Nachdruck verfolgt, ist eine politische Fahrlässigkeit erster Güte, die kaum jemand außerhalb der Stadtregierung und der kleinen Theaterblase nachvollziehen kann.
Die Stadt Augsburg hängt am Tropf des Freistaats – ist also wegen ihrer schwachen Finanzkraft stärker als andere bayerische Städte von staatlichen Schlüsselzuweisungen abhängig, die in den vergangenen Jahren in dreistelligen Millionenbeträgen in den Augsburger Stadtsäckel flossen. Viele Haushaltslöcher konnten damit gestopft werden, Investitionen getätigt werden und schließlich investierte selbst der Freistaat in den vergangenen Jahren in Augsburg wie nie zuvor: Uniklinik, Staatsbibliothek, Staatstheater.
Mit üppigen Schlüsselzuweisungen darf nicht mehr gerechnet werden. Der städtische Haushalt wird in Zukunft deutlich weniger Mittel für Investitionen bereitstellen können. Und dennoch wagten Eva Weber und die Regierungskoalition vergangene Woche das Unaussprechliche, nämlich eine „neue“ Theatersanierung zu verabschieden – mit den Parametern 321 Millionen – 8 Jahre Bauzeit. Das sind Zeichen der Verblendung und des Selbstbetrugs, denn schließlich hat eine Kommune Pflichtaufgabe zu priorisieren – und diese werden durch das „Jahrhundertprojekt“ gefährdet oder auf die ganz lange Bank geschoben.
Beispiele dafür gibt es genug: Die Schulsanierung ist ins Stottern geraten. Das Thema „bezahlbares Wohnen“ zu Lippenbekenntnissen verkümmert, der ÖPNV ist zu teuer, der Ausbau des Radwegenetzes ist nicht zu Ende gedacht worden, für eine intensive Wende in der lokalen Klimapolitik fehlt neben dem politischen Willen auch das Geld. Die Straßen sind insgesamt in einem grauvollen Zustand. Acht Millionen bräuchte man für deren Sanierung – pro Jahr. Bewilligt werden dafür im Jahr zirka 3 Millionen Euro. Es gibt einen Masterplan zur Sanierung der städtischen Bäder, die Mittel dafür fehlen. Das große Versprechen des Königsplatzumbaus (Fuggerboulevard) sollte ursprünglich 2021 realisiert werden. Das wird wohl länger dauern, wie die Sanierung des Perlachturms, der noch zirka zwei Jahre für die Öffentlichkeit unzugänglich bleibt.
Auch bei Projekten, die nicht zu den kommunalen Pflichtaufgaben gehören, steht das Rad still. Der Ausbau Gaswerk stagniert, städtische Sportanlagen sind in ihrer Gesamtausstattung unter Standard, für die Museen gibt es zu kleine Budgets, zu wenig Personal. Jeder Euro, der für die Theatersanierung ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle. Das ist auch eine Wahrheit des „Jahrhundertprojekts“: Diese Theatersanierung blockiert und bremst die Fortentwicklung der Stadt!
Das Pseudoargument „Neiddebatte“ hat an dieser Stelle nichts verloren. Es geht vielmehr um eine Verteilungsdebatte, die von der aktuellen Stadtregierung nicht weitsichtig geführt wird. Erschwerend für die Vermittelbarkeit des Projekts kommt dessen inhaltliche old-school-Ausrichtung hinzu sowie der Umstand, dass der Stadtgesellschaft aktuell ein funktionierender Theaterbetrieb zur Verfügung steht. Das Augsburger Staatstheater hat ein wundervolles Ballett, ein klasse Orchester und ein gutes Schauspiel. Mit dem Gaswerk, dem Martinipark, der Kongresshalle und der Freilichtbühne stehen vier große Spielstätten zur Verfügung. Spielstätten, die vom Publikum angenommen werden. – 416 Millionen Euro beträgt der Schuldenstand der Stadt. Für die Theatersanierung sollen nun statt knapp vier Millionen Euro, sechs Millionen Euro im Jahr zur Verfügung stehen – zur Kredittilgung.
„Wollen wir uns diese Theatersanierung leisten?“, fragt die Augsburger Allgemeine ihre Leser. 69 Prozent beantworten die Frage mit Nein. Ein klares Votum, ein kluges Urteil!