Kunst und Gesellschaft
Interview mit Gerald Bauer: Das Altern kommt aus der KI
Mit einem komplett von Künstlicher Intelligenz erstellten Bild sorgt Gerald Bauer für Aufmerksamkeit auf der 75. Großen Schwäbischen Kunstausstellung, die noch bis zum 7. Januar in Halle 1 im Raum für Kunst im Augsburger Glaspalast zu sehen ist. KI gehört aktuell zu den relevanten Themen. Was kann KI? Wird KI eine neue gesellschaftliche Revolution einleiten, wie einst die Anwendung der Dampfmaschinen? Wohin führt dieses Instrument in der Kunst? Oder ersetzt KI die Aura der Kunst durch etwas anderes? Das sind Fragen, die kürzlich in einem viertägigen Ausstellungsseminar “Triggerwarnung” von und mit Boris Eldagsen im Höhmannhaus abgearbeitet wurden. Viele Fragen blieben offen. Was Boris Eldagsen, Gerald Bauer und den Vorsitzenden des BBK Augsburg Schwaben Norbert Kiening eint, ist die Auffassung, dass KI aktuell als ein zusätzliches Werkzeug im Instrumentenkasten für Kunstschaffende gesehen wird. “KI ist nicht mehr als ein weiteres Instrument”, so Kiening zur DAZ. Gerald Bauer sieht zumindest eine dunkle Wolke am Horizont anrollen: “Wir werden auf dokumentarischen Anspruch der Fotografie weitgehend verzichten müssen.”
DAZ: Herr Bauer, Sie haben ein KI-generiertes Bild bei der Jury der Großen Schwäbischen eingereicht – Warum?
Bauer: Ich wollte eine Diskussion anstoßen, zu einem, wie die Zukunft der Fotografie in der Kunst aussehen kann.
DAZ: Das haben Sie bereits erreicht, da Jürgen Kannler (a3-kultur) dazu eine Diskussionsveranstaltung mit dem Berufsverband der bildenden
Künstler (BBK) angekündigt hat. Und was wäre nun das andere?
Bauer: Der BBK bin übrigens auch ich. Aber zur anderen, größeren Problemstellung: Es gibt in der etablierten Kunstszene des BBK-Umfelds Nachholbedarf im Umgang mit modernen Technologien. Expertise wäre in der jüngeren Generation vorhanden, aber diese hat sich vom BBK-Umfeld fast völlig abgelöst. Dazwischen verläuft seit mittlerweile Jahrzehnten ein tiefer Graben. Insofern verweist das KI-Thema auf ein übergeordnetes Problem der Stadtgesellschaft. Mit der Hochschule für Gestaltung verfügt Augsburg über einen beständigen Pool an kunstaffinen jungen Menschen und zukünftigen Profis im zeitgenössischen Kunstbereich. Eigentlich ein idealer Nährboden für eine lebendige, sich stetig erneuernde städtische Kunstszene am Puls der Zeit. Eingetreten ist das genaue Gegenteil, nämlich eine Entfremdung.
DAZ: Verstehe ich nicht ganz. Ist das Nebenher verschiedener Generationen von Kunstschaffenden tatsächlich ein Problem?
Bauer: Das verstehe ich wiederum nicht ganz. Miteinander ist immer besser als Nebenher. Die Augsburger Situation ist seit langem die, dass es einerseits ein überalterndes Kunstestablishment gibt – zu dem ich natürlich auch gehöre – das durch Ausstellungsausrichtungen, Jurytätigkeit und Vernetzung mit den Medien eine beträchtliche Deutungshoheit besitzt. Zum anderen der immer größer werdende Anteil jüngerer Künstler, die mit dem erstgenannten Segment nichts mehr zu tun haben. Künstler, die ihre Plattformen im Internet finden und physisch in den temporären Leerstandsnutzungen. Vielen der Jüngeren – und das ist keine Übertreibung, sondern reale Erfahrung – sind die Worte „Große Schwäbische“ gar kein Begriff mehr. Alle negativen Implikationen dieser verfahrenen Situation aufzuzeigen, würde unseren Zeitrahmen sprengen. – Aber nochmal: ja, natürlich ist es ein Problem!
DAZ: Warum haben Sie eigentlich den Sachverhalt, dass dieses Bild nicht von Hand entstanden ist, nicht der Jury geschrieben und die KI-Herkunft dann direkt bei der Eröffnung geoutet?
Bauer: Ich hatte mich entschieden, keinem vorgegebenen Plan zu folgen, ich wollte das Bild in die Welt stellen und dann den Dingen ihren Lauf lassen. Es hat sich dann aber schon am Eröffnungstag ein Gespräch mit Jürgen Kannler ergeben, das mir geeignet schien für ein erstes Outing an diese Adresse. Damit war die Katze aus dem Sack. Außerdem habe ich den BBK-Vorsitzenden Norbert Kiening zeitnah informiert, damit er im Bilde ist.
DAZ: Das Bild ist im Katalog gekennzeichnet als Fotoprint, quasi als ein Foto, das real gemacht und dann ausgedruckt wurde. Warum wollten Sie das KI-generierte Bild so versteckt in die Schwäbische reinschmuggeln?
Bauer: Was denken Sie?
DAZ: Um die Öffentlichkeit – also in dem Fall die Medien – und die Kunstbetrachter darauf aufmerksam zu machen, wie weit die KI schon ist?
Bauer: Nein, das Bild gibt ja einen älteren KI-Stand wieder. Trotzdem müssen wir über die aktuelle Entwicklung sprechen.
DAZ: Um die Jury zu düpieren?
Bauer: Nein, es sollte überhaupt niemand düpiert werden.
DAZ: Oder um einfach mal eine Debatte anzuzetteln, ob KI nicht einfach ein ganz normales Verfahren ist, um Kunst herzustellen?
Bauer: Das auf jeden Fall, es steht im Zusammenhang mit dem eingangs Gesagten.
DAZ: Wurde das Altern der Person schon in der KI erzeugt oder erst mit Photoshop eingearbeitet?
Bauer: Das Altern kommt aus der KI. Die aufwendige Bildbearbeitung war seinerzeit nur erforderlich, um die zahlreichen Deformationen und Bildfehler der damaligen Bilderzeugungen zu korrigieren.
DAZ: Ist die Entwicklung der KI eine Art Farbfass, eine Palette des Weltwissen, die Sie für sich entdeckt haben, um sich weiter zu entwickeln?
Bauer: Absolut. Ich habe, wie Sie wissen, die Anfänge von Boris Eldagsens KI-Arbeiten miterlebt, das war damals noch sehr roh, aber neu und faszinierend. Es war eine ganz andere Welt. Ich wollte das auch machen. Der Standard war ziemlich fehleranfällig und inhaltlich unkalkulierbar, aber das hat den Reiz ausgemacht. Man musste um das Ergebnis ringen.
DAZ: Ich stelle mir aktuell das Ergebnis so düster wie möglich vor: Nämlich, dass es die KI in zehn Jahren geschafft hat, das Medium der Kunst, nämlich den Künstler obsolet zu machen. So wie heute jeder bei Amazon einkaufen kann, ohne auf den Markt gehen zu müssen, so kann in zehn Jahren jeder Kunst mit Klicks produzieren, ohne jemals die handwerklichen Fähigkeiten dafür erworben zu haben, ohne jemals eine Kunsthochschule besucht zu haben. Damit hätte die KI den Beuys´schen Satz, “Jeder Mensch ist ein Künstler”, vom Kopf auf die Füße gestellt. Damit würde die Kunst wohl noch mehr an Aura verlieren.
Bauer: Zehn Jahre sind im momentanen Entwicklungstempo eine Ewigkeit. Ich wage gar keine Prognose außer der, die ich schon mehrfach geäußert habe: wir werden auf den dokumentarischen Anspruch der Fotografie weitgehend verzichten müssen.
DAZ: Nur das?
Bauer: Es steht zu erwarten, dass manche tradierten Ausdrucksformen obsolet werden, aber das war schon immer so. Wer hat heute noch die atemberaubenden malerischen Fertigkeiten früherer Jahrhunderte? Wer kann noch Skulpturen schaffen wie Bernini? Vieles geht verloren, aber es ist immer der Mensch, der diese Entscheidung trifft.
DAZ: Lassen Sie uns über Ihre Fähigkeiten als KI-Künstler sprechen. Das im H2 ausgestellte Bild ist nur ein Bild eines Zyklus von 40 Bildern.
Bauer: Ich hatte mir die Aufgabe gestellt, ein Leben zu erzählen nur in einer Abfolge von Porträts. Damals waren, im Gegensatz zu heute, keine Funktionalitäten vorhanden, um die KI auf eine konsistente Person einzustellen. Das war, nur mit Textprompts, ein bisschen tricky. Im Endeffekt sind es 40 Bilder geworden, die alle noch per Bildbearbeitung von den typischen Macken der Frühzeit befreit werden mussten. Diese Endauswahl der 40 erfolgte aus etwa 400 bis 500 Bildern, denen wiederum ein Volumen von mehreren tausend generierten Bildern zugrunde liegt. Von denen ein großer Teil Schrott war, der sofort wieder gelöscht wurde. So war das damals.
DAZ: Damals?
Bauer: Vor ein, zwei Jahren. Der Zeitaufwand war erheblich. Das Material entspricht nicht mehr heutigen Qualitätsstandards, deshalb ist die Veröffentlichung auf der Schwäbischen eine Ausnahme.
DAZ: Sind sie mit dem Ergebnis dennoch zufrieden?
Bauer: Ich habe sentimentale Erinnerungen daran. Der Arbeitstitel war „fontana chiara“, nach einem Stück von Rino Gaetano. Das Projekt ist in Schwarzweiß angelegt. Für die Schwäbische habe ich aber die Farbfassung der Datei verwendet. Diese enthält übrigens mehr Fehler als die Schwarzweiß-Fassung, die ich noch ausführlicher bereinigt hatte.
DAZ: Werden Sie weiter mit KI arbeiten? Und falls ja: Welches Projekt steht als nächstes auf Ihrer Agenda?
Bauer: Die KI wird weiterhin nur eines von mehreren Betätigungsfeldern sein. Aber ich werde wohl in absehbarer Zeit – vermutlich aber nicht in Augsburg – eines der neueren Bilder einreichen, die der Fotografie noch näher kommen, und es offen als KI deklarieren. Dann tritt die KI in unmittelbare Konkurrenz zum Foto und die Jury ist zurückgeworfen auf den reinen Ausdruck der Arbeit. Das fände ich interessant. Ich bin auf alles gefasst.
DAZ: Herr Bauer, vielen Dank für das Gespräch.
Fragen: Siegfried Zagler