Rede und Kritik
Interview mit Florian Freund: “Es ist nicht erkennbar, wie das Augsburg der Zukunft gestaltet werden soll”
Nachdem die Soziale Fraktion im Augsburger Stadtrat den 2,7 Milliarden-Haushalt der Stadt Augsburg Ende vergangenen Jahres abgelehnt hatte, gab es ein längeres Telefonat zwischen Fraktionschef Florian Freund (SPD) und DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler. Man verständigte sich darauf, dieses Telefonat als Ausgangslage für ein Interview zu verwenden. Das war bereits im Dezember 2022. Dass es so lange von der Idee bis zur Realisierung dauerte, hat eher die DAZ als Freund zu verantworten. Die Schärfe und die Qualität des Interviews hat darunter nicht gelitten. Florian Freund hat gute Chancen, im Herbst für die Augsburger SPD in den Landtag einzuziehen. Würde er daraufhin seine Führungsrolle in der größten Oppositionsgruppe des Augsburger Stadtrats abgeben, wäre das ein Verlust für die demokratische Kultur in der Stadt. Dr. Florian Freund ist zu einem Oppositionspolitiker geworden, wie er im Buche steht. Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber habe die Referentenstellen mit Verwaltungsbeamten besetzt, “weil es ihrem Naturell entspricht und weil es für sie als OB ohne Ideen unangenehm wäre, wenn die Referenten um sie herum mehr glänzten, als sie selbst”, so Freund im großen DAZ-Interview.
DAZ: Schwarz-Grün hat in Augsburg bald Halbzeit. Im Maiwird sich die Regierungskoalition über den grünen Klee vollmundig selbst loben, vermutlich im Dreiklang mit der CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber. Als Fraktionschef der größten Oppositionsgruppe erhalten Sie nun die Gelegenheit quasi vorab dem entgegen zu wirken. Herr Dr. Freund, bevor wir über den Haushalt reden, lassen Sie uns über das bisher Geleistete unserer Stadtregierung reden.
Freund: Dafür braucht man keine Glaskugel. Die Koalition wird sich über den schwarz-grünen Klee loben. Wie in den vergangenen Jahren wird eine angebliche Fortschrittskoalition beschworen, die es so nicht gibt und gar nicht geben kann. Die Widersprüche und Gegensätze der Koalitionäre sind einfach zu groß. Das erkennen CSU und Grüne zunehmend selbst. Weil man sich aber keinen Irrtum eingestehen will, verfährt man nach dem Motto: „Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht“.
DAZ: Schön gekalauert. Wie sehen Sie die Führungsrolle von Frau Weber? Beherrscht sie den schwierigen Spagat zwischen höchster Repräsentantin der Stadt und den parteipolitischen Interessen der CSU und den Grünen? Wie bewerten Sie die Erzählungen von OB Weber?
Für das Setzen von politischen Akzenten fehlt es OB Weber an Ideen
Freund: Es ist richtig von einem Spagat zu sprechen. Auf der einen Seite muss das Stadtoberhaupt einer Großstadt wie Augsburg natürlich die Verwaltung führen. Auf der anderen Seite müsste die OB versuchen, politisch Akzente zu setzen ohne dabei allzu parteipolitisch aufzutreten. Ich erlebe eine OB, die sich als Chefin der Verwaltung sieht und sich auch so gibt. Diesen Teil der Rolle versucht sie nach Kräften zu erfüllen. Für das Setzen von politischen Akzenten fehlt es ihr an Ideen für die Stadt. Sagen Sie mir doch ein größeres Projekt, das Eva Weber von sich aus angestoßen hat oder das auf ihre Initiative zurückgeht. Neue Ideen werden allenfalls aus der Not heraus geboren, wie etwa im Fall der Schaufenster-Gestaltung in der Innenstadt.
DAZ: Eva Webers Narrativ geht in die Richtung. Dass sie und die Koalition den Koalitionsvertrag abarbeiten. Davon sollen bereits zwei Drittel erfüllt sein …
Freund: … Wie sieht den die Entwicklung Augsburgs aus, die Eva Weber vorschwebt? Wenn Sie danach fragen, dann bekommen sie in der Regel relativ platte Allgemeinplätze, die irgendwie modern, grün und gleichzeitig irgendwie konservativ klingen sollen. Das kommt bei manchen vielleicht an. Bringt die Stadt aber nicht weiter. Zwischendurch versteigt sich die OB dann wieder zu parteipolitischen Aussagen, wie jüngst auf dem Empfang der CSU-Fraktion.
DAZ: Wo sie was gesagt hat?
Freund: Sinngemäß hat sie gesagt, dass sie allen Anwesenden ein gesundes und glückliches neues Jahr wünscht und sich um alles andere die CSU in Bayern kümmert.
DAZ: Sie haben im Zusammenhang mit der Überstundenaffäre von Herrn Merkle, glaube ich mich zu erinnern, im Stadtrat gesagt, dass OB Weber überfordert sei. Könnten Sie das für unsere Leser präzisieren?
Freund: Wo war denn da die Führung? Sie hat ihren Referenten im Regen stehen lassen, obwohl sie als Chefin der Verwaltung eigentlich ganz besonders gefordert gewesen wäre, um zu klären, ob ein Anspruch auf Ausgleich besteht und wie hoch dieser ist. Sie hat es laufen lassen, weil ihr das Thema unangenehm war.
DAZ: Wie schätzen Sie das Verhältnis von Eva Weber zu den Referenten ein. Ist sie womöglich selbst mit einigen unzufrieden? Wo musste sie am meisten Feuerwehr spielen? Wo würden Sie an ihrer Stelle nachbessern?
Im Wirtschaftsreferat und im Sozialreferat – bräuchten wir Leute mit Ideen, da helfen Verwalter nicht weiter
Freund: Die OB hat sich ihre Referenten – mit Ausnahme von Martina Wild sind ja alles Männer – selbst ausgesucht. Auch hier haben politische Visionen keine Rolle gespielt. Eva Weber hat sich erfahrene und weniger erfahrene Verwalter gewünscht. Und die hat sie auch bekommen. Das kann gut gehen, etwa im Bereich Finanzen oder bei Ordnung und Personal. Da brauchen sie weniger Visionäre als effiziente Verwaltungsprofis. Bei anderen Referaten – insbesondere im Wirtschaftsreferat und im Sozialreferat – bräuchten wir aber Leute mit Ideen, mit Visionen mit einem inneren Antrieb, Projekte auf die Beine zu stellen. Da helfen ihnen Verwalter nicht weiter. Ich glaube, dass Eva Weber das bewusst so gemacht hat. Weil es ihrem Naturell entspricht und weil es für sie als OB ohne Ideen unangenehm wäre, wenn die Referenten um sie herum mehr glänzen würden, als sie selbst. – Eine Sonderrolle nimmt noch der Umweltreferent Reiner Erben ein.
DAZ: Vorher noch ein Wort zum CSU-Wirtschaftsreferent Wolfgang Hübschle.
Die Lage am Stadtmarkt wird immer desolater
Freund: Wenn es nur ein Wort sein soll: „Schade“. Schade, dass er aus so einem Referat mit so vielen wichtigen Aufgaben so wenig macht. Ansiedlungspolitik. Stadtmarkt. Innenstadt. Stadtteilzentren. Ich sehe nirgends Ideen, mit denen man Augsburg weiterbringen würde. Im Gegenteil. Die Lage am Stadtmarkt wird immer desolater. Das schmerzt umso mehr, weil Dirk Wurm als zuständiger Referent hier viel auf die Beine gestellt hat.
DAZ: Was gibt es zu den bisherigen Leistungen von Frank Pintsch – Ordnungsreferent der CSU – zu sagen?
Freund: Frank Pintsch schätze ich für sein effizientes Verwaltungshandeln und seine Professionalität. Ich erlebe ihn im Personalausschuss als harten und verlässlichen Verhandlungspartner, der gut vorbereitet ist und für Ideen auch dann offen ist, wenn sie von anderen kommen. Allerdings fehlt es auch beim städtischen Personal an modernen Ideen, etwa wenn es um die Personalsicherung und -Gewinnung geht. Da machen uns andere Städte Konkurrenz um gutes Personal.
DAZ: Zu den bisherigen Leistungen von Roland Barth (CSU) wäre zu sagen, dass …
Der Kämmerer genießt einen exzellenten Ruf in der Verwaltung
Freund: Der Kämmerer, den wir auch geschlossen mitgewählt haben, genießt einen exzellenten Ruf in der Verwaltung. Keiner kennt den Haushalt so gut wie er und kann ihn so gut gestalten. Seine vorausschauende Planung hilft der Stadt sehr. An dieser Stelle brauchen sie einen effizienten Verwalter und den haben wir mit Roland Barth zweifelsohne.
DAZ: Mit dem CSU-Referenten schlechthin, Gerd Merkle, saß die SPD sechs Jahre in der Stadtratsperiode von 2014 bis 2020 selbst in der Stadtregierung. Für mich ist Gerd Merkle der klassische Fall des treuen wie fleißigen Verwaltungsbeamten, der ambitionslos abarbeitet, was ihm die Politik anträgt. 15 Jahre wird Gerd Merkle, wenn er nun im Frühjahr ausscheidet, Augsburgs Baureferent gewesen sein. Ich kenne kein Projekt, das er selbst initiierte oder gar als politisches Versprechen formulierte. Keines, wofür er steht, wenn man mal vom CFS absieht, wenn Sie mir diesen Sarkasmus erlauben. Kann es sein, dass ich mich täusche und Gerd Merkle im Stillen inhaltlich wirkt?
Freund: Ganz so einseitig fällt mein Urteil nicht aus. Gerd Merkle, den ich seit knapp 10 Jahren im Bauausschuss kenne, hat schon den Anspruch, die Stadt zu gestalten und nach vorne zu bringen. Den Umbau der Innenstadt hat er nach meiner Einschätzung stark mitgestaltet, etwa auch bei der Bäckergasse. Er war auch immer wieder stark gefordert, beim Theater und Bahnhofsumbau. Ich erinnere an die horrenden Kostensteigerungen beim Theaterumbau und den darauf folgenden Umplanungen. Allerdings – und da gebe ich Ihnen Recht – ist das Baureferat in den letzten Jahren nicht mehr mit guten Ideen aufgefallen. Es waren eher halbherzig oder schlecht umgesetzte Punkte aus der Agenda des grünen Koalitionspartners. Ideen aus anderen Teilen des Stadtrats werden teils ignoriert oder bekämpft. Etwa bei der Schaffung von günstigem Wohnraum, Stichwort: sozial gerechte Bodennutzung in der letzten Ratsperiode oder die Verkehrsberuhigung in der Hallstraße oder in der Frauentorstraße.
DAZ: Auch mit Umweltreferent Reiner Erben (Grüne) saßen Sie sechs Jahre zusammen in der Stadtregierung. Erben gilt als Pannen-Referent und Watschenmann.
Freund: Er hat jedenfalls in den letzten zehn Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, um dieses Image auch zu bestätigen. Für die OB ist es praktisch, ihn zu haben. Wann immer etwas schief läuft, schiebt sie es Reiner Erben zu und bringt sich selbst in ein besseres Licht.
DAZ: Das Sozialreferat wurde in dieser zweiten Gribl-Periode von Stefan Kiefer (SPD) geleitet. Was machte Kiefer anders als der aktuelle Sozialreferent der CSU Schenkelberg?
Der größte sozialpolitische Wurf von Martin Schenkelberg ist es, dass es wieder einen Kinderfaschingszug gibt …
DAZ: Ich erinnere mich noch gut daran, wie sein Vorschlag, die Halle 116 als Geflüchteten-Unterkunft zu nutzen bundesweit von der Presse gegeißelt wurde, obwohl das Konzept völlig okay war. Aber lassen Sie uns nicht über die Vergangenheit reden. Wir waren bei Martin Schenkelberg.
… es fällt auf, dass er weder Konzept noch Ideen hat
Freund: Beim derzeitigen Sozialreferenten fällt vor allem auf, dass er unglaublich smart rüberkommt, aber weder Konzept noch Ideen hat. Der bisher größte sozialpolitische Wurf von Martin Schenkelberg ist es, dass es wieder einen Kinderfaschingszug in Augsburg gibt. Sonst wüsste ich kein neues Vorhaben oder Projekt, das er angestoßen hätte.
DAZ: Martina Wild, Grüne Bürgermeisterin und Bildungsreferentin, warf ihrem Vorgänger Hermann Köhler (CSU) vor, kein Konzept bei der Schulsanierung zu haben. Können Sie ein Konzept bei Frau Wild erkennen?
Wir sehen, dass Bildungsreferentin Martina Wild ein Abziehbild des CSU-Bildungsreferenten ist
Freund: Martina Wild und ich waren uns da in der letzten Ratsperiode einig und ich habe große Hoffnungen in sie gesetzt, als sie zur Bildungsbürgermeisterin gewählt wurde. Allerdings sehen wir in den letzten drei Jahren, dass Martina Wild eher ein Abziehbild des CSU-Bildungsreferenten ist. Es geht wenig voran. Löcher in der Finanzierung werden damit geschlossen, dass bei anderen Projekten neue Löcher aufgerissen werden. Sollte es ein Konzept geben, dann kann ich es jedenfalls in den letzten Jahren nicht erkennen. Zumal die Bildungsbürgermeisterin auch nicht dadurch aufgefallen ist, dass sie sich bei den Haushaltsberatungen durchsetzt. Unsere Anträge, etwa zusätzliche Schlüsselzuweisungen ausschließlich für solche Schulsanierungen zu verwenden, die im Moment auf den Sanktnimmerleinstag verschoben werden müssen – Stichwort Schultoiletten – hat die schwarz-grüne Koalition abgelehnt, um sie dann aufzugreifen, wenn das zusätzliche Geld schon anderweitig verplant war.
DAZ: Der im November 22 verabschiedete Doppelhaushalt ist knapp 2,7 Milliarden Euro schwer. Jeder Haushalt hat Stärken und Schwächen. Woran kann man die Stärken, woran die Schwächen erkennen?
Der Geist, den der vorliegende Haushalt atmet, ist visionslos
Freund: Ich habe es ja schon angesprochen. Roland Barth ist ein kluger und vorausschauend agierender Kämmerer. Darin liegt eine Stärke des Haushalts. Aber gleichzeitig auch eine Schwäche. Der zuletzt beschlossene Doppelhaushalt zeigt die Ideen- und Visionslosigkeit von schwarz-grüner Politik in Augsburg. CSU und Grüne loben sich dafür, dass sie trotz aller politischen Widersprüche und Uneinigkeiten einen gemeinsamen Haushalt hinbekommen haben. Sie vergessen dabei, dass eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners aber die Stadt nicht vorwärts bringen. Es gibt kein Konzept, wie die Stadtteile gestärkt werden, das sich im Haushalt widerspiegelt. Es gibt keine Ideen, wie die Bürgerinnen und Bürger auch bei den Ausgaben beteiligt werden können. Wir haben hier klare Vorstellungen im Hinblick auf Stadtteilbudgets und Bürgerhaushalte. Das wird von der Rathaus-Koalition nicht nur nicht aufgegriffen, sondern sogar verweigert. Stattdessen gibt es Stadtteilkonferenzen, bei der die OB sich als interessierte Zuhörerin gibt, bei denen am Ende aber nichts rauskommt, außer Enttäuschungen. Das spiegelt auch der Haushalt wider.
DAZ: Hat die Sozialfraktion aus diesen Gründen den Haushalt in Bausch und Bogen abgelehnt?
Freund: Die Zustimmung oder Ablehnung zu einem Haushalt hängt ja nicht an einem Projekt. Es geht um den Geist, den der jetzt vorliegende Doppelhaushalt atmet. Und der ist, wie gesagt, visionslos.
DAZ: Stichwort Schulden: Corona hin, Energiekrise her. Die Schlüsselzuweisungen des Freistaats sprudeln Richtung Augsburg so hoch wie nie zuvor. Auch deshalb, weil die die Stadt Augsburg zu den finanzschwächsten im Freistaat zählt. Wäre es innerhalb dieses Systems nicht falsch, würde man nur das Geld ausgeben, das man auch hat?
Freund: Die Berechnung der Höhe der Schlüsselzuweisungen im Freistaat Bayern ist höhere Mathematik. Ich habe mich im Rahmen meiner Diplom- und Doktorarbeit mit den Finanzausgleichsystemen auseinandergesetzt und wir können dazu gerne ein eigenes Interview führen. Verkürzt gesagt: Bei der Berechnung der Höhe der Schlüsselzuweisungen wird nicht auf die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben einer Kommune abgestellt, sondern auf die Einnahmemöglichkeiten, die eine Gemeinde hat. Auch bei den Ausgaben wird nicht auf die tatsächlichen Ausgaben abgestellt, sondern auf die Ausgaben, die eine Kommune in Bayern je Einwohner durchschnittlich hat.
DAZ: Was meint Herr Barth eigentlich, wenn er sagt, dass die Widerstandsfähigkeit des Haushalts steigt, wenn höhere Schlüsselzuweisungen nach Augsburg fließen?
Freund: Es gibt Steuern, die stark konjunkturabhängig sind. Die Gewerbesteuer beispielsweise. Wenn Unternehmen keine oder geringere Gewinne machen, hat dies direkte Auswirkungen auf den Haushalt. Das gleiche gilt, wenn auch abgeschwächt, für die kommunalen Anteile an der Einkommensteuer. Wieder etwas verkürzt dargestellt bekommen die Gemeinden 15% der Einkommensteuer, die ihre Einwohner bezahlen. Das stimmt zwar nicht ganz, weil es Höchstgrenzen gibt, aber die Zusammenhänge werden deutlich. Wenn die Beschäftigung aufgrund von Wirtschaftskrisen sinkt, dann fließen geringere Einkommensteuereinnahmen in die Gemeinde bei gleichzeitig steigenden Sozialausgaben. Der Zufluss höherer Schlüsselzuweisungen ist weniger konjunkturabhängig und kennt weniger regionale Sondereffekte, weil sie sich aus dem Steueraufkommen des gesamten Freistaats speisen.
DAZ: Wie kann man die schwache Finanzkraft der Stadt Augsburg verstehen? Gibt es neben dem Verschwinden der Textilindustrie noch andere Erklärungen?
Die Bestandsrenten in Augsburg sind unterdurchschnittlich
Freund: Ich führe das ja immer wieder ins Feld, dass wir dringend dafür sorgen müssen, dass wir unseren industriellen Markenkern stärken. Augsburg ist Produktionsstandort. Augsburg ist Industriestandort. Diejenigen gut bezahlten Arbeitsplätze, die es gibt, die finden sich in der Metall- und Elektroindustrie und im Bereich anderer produzierender Unternehmen. Die großen Unternehmen haben starke Betriebsräte, starke Gewerkschaften und zahlen gute Löhne. Da tut es natürlich weh, wenn gut bezahlte IG-Metall-Arbeitsplätze bei Fujitsu, OSRAM, Siemens und anderswo verloren gehen und keine adäquaten neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir haben zwar – auch dank Logistik und Dienstleistung – einen Beschäftigungsboom in Augsburg. Aber die Einkommenshöhen sind halt nicht zu vergleichen. Und es hört ja nicht beim Einkommen auf. Wenn ich heute ein hohes Einkommen habe, hat das unmittelbare Auswirkungen auf meine künftige Rente. Darunter leiden wir in Augsburg ja auch: Die Bestandsrenten sind unterdurchschnittlich.
DAZ: Stichwort stark ansteigender Verwaltungshaushalt: Sorgt das nicht dramatisch dafür, dass zukünftige Generationen kaum noch Steigerungen im Vermögenshaushalt haben – und somit die politischen Gestaltungsmöglichkeiten in der Zukunft geringer werden?
Es kommt darauf an, wofür das Geld ausgegeben wird. Sowohl im Verwaltungs- als auch im Vermögenshaushalt. Und hier setzt die Stadtregierung falsche Schwerpunkte
Freund: Das ist ein wenig zu einfach gedacht, Herr Zagler. Verwaltungs- und Vermögenshaushalt ergeben zusammen ein Gesamtbild. Wenn wir als Stadt mehr Kita-Personal einstellen oder eigene kommunale Schulen betrieben, wächst der Verwaltungshaushalt. Trotzdem sind diese Stellen eine Investition in die Zukunft. Wenn wir das historische Rathaus abreißen würden, um es durch einen modernen Glasfassaden-Wolkenkratzer mit etwa zwei Milliarden Bausumme ersetzen würden, würde der Vermögenshaushalt wachsen, obwohl wir mit dieser Investition der Stadt Augsburg sogar Schaden zufügen würden. Ich erzähle das, weil es zeigt, dass es die einfache Wahrheit, wie in der Frage beschrieben, nicht gibt. Es kommt doch sehr darauf an, wofür das Geld ausgegeben wird. Sowohl im Verwaltungs- als auch im Vermögenshaushalt. Und hier setzt die aktuelle Stadtregierung falsche Schwerpunkte.
DAZ: Wäre die Stadtregierung identisch mit der SPD-Fraktion. Welche Schwerpunkte würden Sie setzen? Was stünde an erster Stelle?
Freund: Die SPD und auch unsere neue Fraktion hat sich immer für eine Kostenbegrenzung beim Staatstheater eingesetzt. Wir haben uns immer für eine maßvolle Größe bei der städtischen Kommunikationsabteilung eingesetzt und wir haben immer klar betont, dass Schulen eine echte Priorität sein müssen.
DAZ: Herr Freund, bleiben Sie bitte näher bei der Frage. Wie würde sich ein SPD-Haushalt vom aktuellen deutlich unterscheiden?
Freund: Wir hätten die zusätzlichen Schlüsselzuweisungen von Anfang an ausschließlich in die Ausstattung der Schulen gesteckt. Wir hätten Bürgerhaushalte und echte Bürgerbeteiligung durchgesetzt und wir hätten beim Römermuseum mehr ausgegeben. Das ist keine abschließende Liste. Sie zeigt aber die Richtung: Zukunftsweisende Projekte für Augsburg.
DAZ: Hat die Stadt seit 2008 nicht zu viele neue Stellen geschaffen, die nun den Haushalt zu stark belasten?
Freund: In der Hauptabteilung Kommunikation der Oberbürgermeisterin auf jeden Fall. Hier würde mehr gute Politik helfen, dass es weniger Stellen braucht, um Marketing für die Stadtregierung zu machen. Aber abseits dieses Sonderfalls: Die Stadt Augsburg ist in den letzten zehn Jahren drastisch gewachsen. Im Hinblick auf die Einwohnerzahl und auch bezogen auf neue Baugebiete. Wenn eine Stadt und 30.000 oder 40.000 Menschen wächst, ergibt sich ein gewisser Personalzuwachs schon allein hieraus. Ansonsten haben wir uns als Fraktion an verschiedenen Stellen für mehr Stellen ausgesprochen, weil die Bürgerinnen und Bürger es unmittelbar merken, wenn zu wenig Personal da ist. Ich werde häufig darauf angesprochen, dass die Grünanlagen, die Grünstreifen und die Bäume mehr Pflege bräuchten. Das geht in einer wachsenden Stadt nur mit mehr Personal. Ich werde häufig darauf angesprochen, dass Genehmigungsverfahren recht lange dauern. Hier haben wir – übrigens unterstützt vom Baureferenten Gerd Merkle – immer wieder für bessere Ausstattung der betroffenen Dienststellen gestritten.
DAZ: Ich muss nachhaken: Welche strukturelle Argumente bezüglich einer Gesamtablehnung des Haushaltes 23/24 führen Sie für die soziale Fraktion ins Feld?
Im letzten Doppelhaushalt ist in Zahlen gegossen worden, dass viel verwaltet, aber so gut wie nichts gestaltet wird
Freund: Es ist ein geflügeltes Wort, dass der Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist. Wenn ich mir die Ideenlosigkeit und Performance unserer Stadtregierung anschaue und sehe, dass viel verwaltet aber so gut wie nichts gestaltet wird, dann ist das im letzten Doppelhaushalt in Zahlen gegossen worden. Dem konnten wir nicht zustimmen. Im Übrigen ist in den letzten Haushaltsberatungen deutlich geworden, wie diese Stadtregierung tickt: Schwarz-grün ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir uns vorstellen können, dem Haushalt zuzustimmen. Verbunden war dies mit dem Angebot, dass wir einen relativ überschaubaren Betrag x im Haushalt für Zwecke verwenden dürfen, die uns so vorschweben. Wir haben dieses Angebot abgelehnt, weil es uns nicht darum geht, an der einen oder anderen Stelle noch 5.000 oder 10.000 Euro im Haushalt zu veranschlagen. Wir wollen stattdessen sicher gehen, dass die richtigen Prioritäten gesetzt werden und Projekte angeschoben.
DAZ: Die da wären?
Freund: Habe ich ja schon erwähnt, wo der Haushalt anders ausgesehen hätte. Ergänzend hätten wir mehr für die Kleingärten getan. Die Jugendarbeit gestärkt, etwa auch durch ein Jugendcafé in der alten Schule und eine deutliche Unterstützung beim Spielplatzprogramm und für die Grünflächen. Die scheibchenweise Entwicklung des Mehrgenerationenparks in Lechhausen halten wir für falsch. Mehr Planungen aus einem Guss entsprechen eher unserer Vorstellung. Wir wollten im Haushalt zum Beispiel sicherstellen, dass es über 2024 am Rudolf-Diesel-Gymnasium weitergeht. Das hätte im aktuellen Haushalt noch nicht einmal etwas gekostet, weil wir das über die Investitionsplanung machen wollten. Aber selbst dazu war Schwarz-Grün nicht bereit. So war es an verschiedenen Stellen mit wirklich wichtigen Anliegen – nicht für unsere Fraktion, sondern für die Stadt. Das war leider nicht durchzusetzen. Deshalb haben wir den Haushalt abgelehnt, auch wenn natürlich wichtige Dinge weiterhin im Haushalt stehen, ist es einfach nicht erkennbar, wie das Augsburg der Zukunft gestaltet werden soll.
DAZ: Herr Freund, aus dem Umfeld von Leo Dietz ist heraus zu hören, dass er Fraktionsvorsitzender der CSU bleiben werde, falls er den ziemlich wahrscheinlichen Einzug in den Landtag schafft. So wie es Bernd Kränzle jahrzehntelang vorgemacht hat. In der SPD geht die Tradition andersrum. Geben Sie Ihre Chefrolle in der Fraktion auf, falls sie im Herbst in den Landtag gewählt werden sollten?
Freund: Ich neige nicht dazu, über ungelegte Eier zu philosophieren. Die Fraktion wird zur Halbzeit der Ratsperiode einen neuen Fraktionsvorstand wählen und dann darüber beraten, wie wir uns personell aufstellen.
DAZ: Herr Freund, vielen Dank für das Gespräch. —————————– Fragen: Siegfried Zagler