Freilichtbühne: John Dews Cabaret-Inszenierung fällt dem Fallbeil der Zensur zum Opfer
Für die heutige Premiere auf der Freilichtbühne ist John Dew nicht verantwortlich
Kommentar von Siegfried Zagler
Eine Oper, die einmal als Provokation gemeint gewesen ist, muss auch eine Provokation bleiben. Das sicherzustellen, sei, so ist es auf der Homepage von John Dew zu lesen, die Pflicht des Regisseurs. Dass Dew diesem Diktum auch als Musical-Regisseur treu bleiben würde, stand im Grunde nicht zur Disposition, weshalb man von einem Theaterskandal sprechen muss, wenn man einen erstklassigen Mann verpflichtet, ihn aber seine Arbeit nicht machen lässt, weil sie nicht mit den am Publikum orientierten Vorstellungen der Intendanz konform gehen. Über John Dews “Cabaret” ist das Fallbeil der Zensur gefallen. Nun zeichnet das “Theater Augsburg” in kollektiver Verantwortung für die künstlerische Qualität und wieder (wie beim Fall Tatjana Gürbaca), findet in Augsburg keine Diskussion darüber statt. Wäre es nach Dew gegangen, wäre das Musical mehr Kammerspiel denn Musical geworden, wie es in Theaterkreisen heißt. Warum, so die Frage, hat man Dew verpflichtet, wenn man ihn nicht frei machen lässt, wo die konsequente Handschrift des 72-jährigen doch so bekannt ist wie die Dunkelheit der Nacht. Nun ist also nicht ein herausragender Künstler für die Augsburger Cabaret-Inszenierung verantwortlich, sondern Juliane Votteler, die bereits zum zweiten Mal das Fallbeil der Zensur auf eine Produktion fallen lässt. Doch diesmal nicht, um eine provokante Schlussszene zu streichen, wie das bei Gürbacas Mahagonny-Inszenierung der Fall war, sondern um das Musical “Cabaret” für das breite Publikum zu retten. Schließlich soll, wenn das Wetter mitspielt, das Stück vom 2. Juli an 19 Mal zu sehen sein.
Es sei eine „sehr große Ehre“ für das Theater Augsburg, so Intendantin Juliane Votteler anlässlich einer Ankündigungspressekonferenz zum Thema „Cabaret“, dass man mit Dew „einen der ganz, ganz großen Opern- und Musiktheater-Regisseure“ habe verpflichten können, der für seine „sehr mutigen Aktualisierungen“ berühmt sei. Dew selbst ging das Thema pragmatisch an: Er habe „Cabaret“ in New York als Kammer-Inszenierung erlebt, eine andere „Metamorphose“ des Stoffes in London und schließlich auch den Film von Bob Fosse aus dem Jahr 1972 (mit Liza Minelli in der Hauptrolle) gesehen – und schließlich betont er auch seine persönliche Bekanntschaft mit Kurt Weills Ehefrau Lotte Lenya, die 1960 in der Uraufführung des Stückes die Rolle des Fräulein Schneider spielte. Nun hat Dew wohl für den Geschmack der Intendantin zu sehr aktualisiert, war der weltberühmte Regisseur zu mutig.
Katastrophal ist auch die Öffentlichkeitsarbeit des Theaters, das in dem kürzlich zu Ende gegangenen Bürgerbeteiligungsprozess über die Zukunft des Theaters nicht müde wurde, die Qualität des Stadttheaters und die Freiheit der Kunst herauszustellen: Ganz so, als würde es sich um eine Bagatell-Vorfall handeln, wenn die Geschmackszensur des Augsburger Theaters einen John Dew vom Hof jagt, schrieb man einfach die Homepage um und schwieg. Statt einer Diskussion muss nun spekuliert werden, warum Dew seine Cabaret-Inszenierung in Augsburg nicht zu Ende bringen durfte.
Es mag um den ohnehin auf Kante genähten Wirtschaftsplan des Theaters gehen. Ein Zuschauereinbruch bei der Freilichtbühne würde aber nicht nur gravierende finanzielle Einbußen bedeuten, die sowohl das Stadttheater als auch die Stadt hart treffen würden, sondern auch den Sanierungskritikern Recht geben, die gerne vom “Relevanzverlust” des Theaters sprechen und dabei die sinkenden Zuschauerzahlen des Großen Hauses anführen. Sinkende Zahlen also, die mit populären und populistisch inszenierten Stücken durch die Freilichtbühne wettgemacht werden müssen. Trifft die Sanierungsdebatte nun auch die Freiheit der Kunst? Warum regt sich Dew nicht auf? Warum hat das Theater versucht, auf seine Arbeit Einfluss zu nehmen?
Ein Theater, das auf diese brennenden Fragen keine klaren Antworten gibt, hat nicht nur in Augsburg nichts verloren.
——— Foto: John Dew