FCA: Was darf man hoffen?
Der FCA ist in großen Schwierigkeiten. Dabei geht es nicht nur um die Frage, Abstieg oder Nichtabstieg, sondern um den ersten Schritt zur Fähigkeit eines Denkens, das die Möglichkeit eröffnet, sich selbst richtig einzuschätzen.
Kommentar von Siegfried Zagler
Immanuel Kant ist 1804 gestorben und dennoch ist sein Werk so gegenwärtig, dass man denken könnte, er sei heute mit seiner Erkenntnistheorie über Facebook, Twitter und Co. millionenfach bestätigt. Kant hat nicht nur die Philosophie zu einer Aufklärungswissenschaft erhoben, sondern beschrieben, was Denken ist, was Vernunft von Verstand unterscheidet und wohin das Denken zu führen hat. Kants Vermächtnis ist die Schwerkraft der Philosophie, die, so Kant, um drei Fragen zu kreisen habe: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen? Daraus ergebe sich die absolute Frage: “Was ist der Mensch?”
Der Mensch solle den Mut haben, seinen eigenen Verstand zu gebrauchen, ist ein berühmtes Mosaik des Kant´schen Imperativs. Dass den meisten Menschen nicht der Mut fehlt, sondern der Verstand, kann man exemplarisch jeden Tag auf Facebook und Twitter nachlesen. Dass Millionen User in den sozialen Netzwerken schreiben und ihr Meinen nicht mit den Kriterien der Erfahrung und des Verstandes abgleichen, könnte Kants absolute Frage, was der Mensch denn sei, zu einer schlichten Antwort überführen: “eitel, was sonst?”
Womit wir beim FCA angekommen sind. Die Hoffnung des FCA, nicht direkt abzusteigen, liegt bestenfalls in der Erfahrung begründet, dass eine Mannschaft mit 29 Punkten sieben Spieltage vor Schluss wesentlich größere Chancen hat, den Abstieg zu vermeiden, als eine Mannschaft mit 25 Punkten. Das Restprogramm der Ingolstädter ist nämlich ebenfalls nicht einfach. Sollte der FCA noch vier oder fünf Punkte ergattern, müssten die Schanzer in sieben Spielen acht oder neun Punkte holen. Kurzum: Der FCA muss darauf hoffen, dass seine Krise abflacht und Ingolstadt keine Bäume mehr ausreißt. Ob die Augsburger die Relegation (auf mehr darf man nicht hoffen) gegen Stuttgart, Hannover, Braunschweig, Berlin oder gar Dresden spielen müssen, ist nicht bedeutsam: Gegen jeden dieser Gegner gibt es mindestens eine 50-prozentige Gewinnoption.
Der FCA darf also hoffen, Ingolstadt abzuwehren, und er darf darauf hoffen, gegen einen ebenso ausgepowerten Zweitligisten die Relegation zu überstehen. Dass eine der Mannschaften, die in der Bundesligatabelle aktuell knapp über dem FCA stehen, am Ende dieser Saison wieder unter dem FCA steht, ist dagegen eher unwahrscheinlich, das gilt auch für Mainz.
In den drei Saisons, in denen der FCA gegen den Abstieg spielte, hatten die Augsburger am 27. Spieltag zwar weniger Punkte als der FCA heute, zeigten aber in diesen Spielzeiten immer mannschaftliche Geschlossenheit und Kampfkraft. Es sieht aber derzeit so aus, als wäre dem FCA diese einzige Medizin gegen den Abstieg abhanden gekommen. Dafür, dass der FCA im Schlussspurt mehr als vier bis fünf Glückspunkte, die für das Distanzhalten zu Ingolstadt mindestens nötig sind, holen könnte, spricht derzeit wenig bis nichts. Diese Annahme lässt sich durch folgende Argumente untermauern.
Es sieht so aus, als würde die Augsburger Bundesligamannschaft unter Cheftrainer Manuel Baum an Substanz verlieren. Physisch wirkt der FCA von Woche zu Woche schwächer als seine Kontrahenten. Gegen Ingolstadt war es selbst für Laien erkennbar, dass die Augsburger bei Ballverlust langsamer als es erforderlich gewesen wäre, wieder hinter den Ball kamen. Eroberte ein Ingolstädter das Leder, sprinteten in hohem Tempo vier bis sechs Ingolstädter in die Räume, wo der FCA Lücken hatte. Andererseits waren bei Ballverlust Ingolstadt, das hoch presste, sofort drei bis vier vor dem Ball platzierte Spieler blitzartig wieder zur Abwehr bereit. Ingolstadt kann auf schnelle und dynamisch Spieler zurückgreifen. Der FCA hat keine schnellen Spieler, hat kein Überraschungsmoment und ist bezüglich der Qualität des gesamten Kaders weit davon entfernt, ein Power-System umsetzen zu können, wie es Ingolstadt praktizierte. Dass der neue Cheftrainer Manuel Baum im tiefsten Abstiegskampf an Offensiv-Systemen feilt und taktische Vorstellungen pflegt, wofür ihm die dafür geeigneten Spieler fehlen, ist ein Zeichen von schwerer Eitelkeit, die zur Verkennung der eigenen Möglichkeiten führt und zum Beispiel letztes Jahr den VfB Stuttgart zu Fall gebracht hat.
Die fußballerischen Möglichkeiten des FCA sind begrenzt: Mit Altintop, Verhaegh und Baier hat der FCA verdiente Spieler im Stammkader, die weit über ihren Zenit hinaus sind. Finnbogason, Ji, Schmid, Usami, Max, Janker, Rieder, Kacar, Leitner, Teigl sind Spieler, deren Niveau nur an sehr guten Tagen über die Zweite Liga hinaus reicht. Stafylidis, Moravek, Koo und Bobadilla sind zwar bundesligatauglich aber nicht in Form. Allein Danso, Kohr und Hinteregger reichen aber nicht aus, um eine Bundesliga-Defensive stabil zu gestalten. Dass der aggressive und dynamische Kohr im Abstiegsduell gegen Ingolstadt nur auf der Bank saß, gehört zu den Eigentümlichkeiten eines Trainers, der den Beweis seiner Bundesligatauglichkeit ebenfalls noch schuldig geblieben ist. – Die Stärke des FCA bestand lange Zeit darin, dass sich zahlreiche Spieler aus dem ehemaligen Zweitliga-Kader und Neuzugänge sich dem Niveau der ersten Liga anzupassen verstanden: Langkamp, Callsen-Bracker, Werner, Verhaegh, Baier, Feulner, Gouweleeuw, Ostrzolek, Klavan, Hahn, Vogt. Diese Spieler sind entweder außer Form, verletzt oder längst nicht mehr beim FCA. Die Krise des FCA ist also nicht vom Himmel gefallen, sondern zeichnete sich bereits in der Vorsaison unter Markus Weinzierl ab.
Es gibt also keinen Grund, davon überzeugt zu sein, dass der FCA im Kader genügend Qualität hat, um die Klasse halten zu können, wovon FCA-Trainer Baum gebetsmühlenartig spricht. Und es gibt auch keinen Grund, den beiden Hauptverantwortlichen Stephan Schwarz und Stefan Reuter weiterhin “das vollste Vertrauen” auszusprechen, wie es FCA-Präsident Klaus Hofmann heute in der Augsburger Allgemeinen tat. Formal sind nämlich die beiden für das personelle FCA-Desaster verantwortlich, das sich auch in der Zweiten Liga fortsetzen wird, sollte der FCA sich nach dieser Saison nicht neu aufstellen.
Völlig uneitel, aber dafür mit einem klaren Verstand, hatte FCA-Trainer Dirk Schuster bis zum 14. Dezember vergangenen Jahres seine Arbeit auf dem Lechfeld verrichtet. Er zeigte dem nörgelnden Augsburger Fußballpublikum, wie der Augsburger Kader in der Bundesliga überleben könnte. Schusters konservativer Defensivfußball sorgte besonders in der heimischen WWK Arena für Nörgelei und Gemurre. Schusters Stiefel war schwer auszuhalten, aber die wohl sicherste Option, den FCA in dieser Saison in der Liga zu halten.
Eitelkeit steht dem Denken nicht nur im Weg, sie macht Denken unmöglich. Besser: Eitelkeit tarnt sich als “Denken” und führt deshalb nicht viel weiter als zum Spiegelbild desjenigen, der zu denken glaubt oder vorgibt. Soll der FCA in Zukunft zum Kreis der besten deutschen Fußballklubs gehören, muss er zu den drei ersten Fragen der Erkenntnissuche zurückkehren. Nur dann kann man eine differenzierte Antwort auf die Frage geben, was man denn für den FCA hoffen darf.