Medienrecht
EU-Medienfreiheitsgesetz: Allgemeininteresse sticht Quellenschutz
Am 11. April 2024 hat die EU das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA) beschlossen. Es ist am 8. August 2025 in Kraft getreten und entfaltet als Verordnung sofortige Wirkung in den Mitgliedsstaaten – ohne nationale Umsetzung. Kritiker sehen jetzt den Schutz journalistischer Quellen in Gefahr.
Von Bruno Stubenrauch
„Chilling Effect“ – die Schere im Kopf (Symbolbild)
Eigentlich beabsichtigt das Gesetz in guter Absicht das genaue Gegenteil: Da der Quellenschutz in der EU uneinheitlich sei, sollen einheitliche Mindeststandards geschaffen werden, so die amtliche Begründung. In Artikel 4 wird eine Reihe von Maßnahmen genannt, die Mitgliedsstaaten nicht (mehr) ergreifen dürfen:
- Mediendiensteanbieter oder deren Personal zur Offenlegung von Quellen zwingen,
- Personen, die mit Medien in Beziehung stehen, zur Offenlegung von Quellen zwingen,
- Mediendiensteanbieter oder deren Personal inhaftieren, sanktionieren oder abhören/überwachen und
- Geschäfts- oder Privaträume von Journalisten durchsuchen oder beschlagnahmen.
Unklare Ausnahmeregelung sorgt für Kritik
Nun aber üben Journalistengewerkschaften, Medienverbände und zivilgesellschaftliche Organisationen wie Reporter ohne Grenzen (ROG) scharfe Kritik an einer im Gesetz enthaltenen Ausnahmeregelung. Diese erlaubt es, die eigentlich verbotenen Maßnahmen dennoch anzuwenden, sofern sie „im Einzelfall durch einen überwiegenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig“ sind.
Kritiker bemängeln die vage, unpräzise und dehnbare Formulierung, die Spielraum für weitreichende Interpretationen lässt. Das Schlagwort „Allgemeininteresse“ könnte so faktisch jede Verfolgung von Journalisten rechtfertigen.
Gefährdung „unserer Demokratie“
Die Begrifflichkeit reiht sich ein in eine Reihe von vagen, unterhalb der Strafbarkeitsgrenze angesiedelten Vorwürfen, die angeblich unsere Demokratie bedrohen – etwa „Desinformation“, „Delegitimierung“, „Fake News“, „Hassrede“ oder den jüngst von Ilse Aigner auf X eingeführten Tatbestand „Gefährliches Reden“.
Die Gefahr, dass dadurch journalistische Rechte ausgehebelt werden, ist real. Da in demokratischen Systemen das „Allgemeininteresse“ – gleichbedeutend mit dem „Gemeinwohl“ – als moralischer und rechtlicher Maßstab gilt, könnte nahezu jeder vermeintliche Angriff auf „unsere Demokratie“ als Rechtfertigung für Zwangsmaßnahmen, Durchsuchungen oder Inhaftierungen dienen.
Drohende Untergrabung des Quellenschutzes
Kern der Kritik ist, dass der Zeugen- und Quellenschutz – ein fundamentaler Grundsatz der Pressefreiheit – durch solche Ausnahmeregelungen untergraben wird. Die Möglichkeit, dass der Staat unter dem Vorwand eines „überwiegenden Allgemeininteresses“ durchgreifen kann, könnte Journalisten und ihre Quellen abschrecken und einen „Chilling Effect“ (abschreckende Wirkung) erzeugen. Informanten könnten zögern, Journalisten mit brisanten Informationen zu versorgen, aus Angst, dass ihre Identität letztlich doch aufgedeckt wird.
Allgemeine Verunsicherung
Die tatsächliche Wirkung des Medienfreiheitsgesetzes wird maßgeblich davon abhängen, wie Gerichte und Behörden in den einzelnen Mitgliedsstaaten die Ausnahmeregelung künftig auslegen und anwenden. Jüngste Beispiele – etwa die Einstufung eines Teils des Haltungsjournalismus zur Verfassungsrichterwahl als „demokratiegefährdende Kampagne“ – lassen erahnen, in welche Richtung sich die Praxis in Deutschland entwickeln könnte. Die Folge: ein Klima der Verunsicherung.