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Sonntag, 11.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Ein Lehrstück über den „Wutbürger“

Der Film „Stuttgart 21“ eröffnet die Tage des Unabhängigen Films

Von Frank Heindl

Der Wille, „oben zu bleiben“ einigt in Stuttgart Vertreter aller Berufe, Schichten und Altersstufen. Der Film „Stuttgart 21“ macht nachfühlbar, warum das so ist.

Ein emotionaler Film ist das, sicher. Kein Bemühen um nochmal eine „objektive“ Betrachtung des als „Stuttgart 21“ bekannt gewordenen Megaprojekts der Deutschen Bahn. Nicht nochmal eine Analyse, ob Stuttgart, ob Baden-Württemberg, ob Deutschland schnellere Zugverbindungen und dafür den gigantischen Tunnelbahnhof mitten unter der Stadt brauchen. Sondern eine Dokumentation dessen, was bei denen vorging, die sich mit wachsendem Engagement, wachsender Sorge, wachsender Wut gegen das Projekt aufgelehnt haben.

Die Regisseure Lisa Sperling und Florian Kläger hat sich umgehört unter Demonstranten, hat Bürger, Architekten, Banker vor die Kamera geholt und sie bei den Demonstrationen begleitet. Wer sich bisher mit dem Anliegen der Bahnhofsverhinderer nicht identifizieren konnte, mag möglicherweise nach Sperling/Klägers Film eines Besseren belehrt sein: In der Tat ist das Vorgehen von Politik und Polizei rund um das Bahnhofsprojekt ein Lehrstück über politische Meinungsbildung und vor allem darüber, dass man diese Meinungsbildung nicht mehr so leicht manipulieren kann.

Politische Einfalt, Ignoranz, Beschränktheit

Der Stuttgarter „Wutbürger“ kam spät in die Gänge, aber der Film macht auch klar, wieso das so war: Weil nämlich nach zehn, fünfzehn Jahren Planung plötzlich die Folgen sichtbar wurden. Weil Gebäude verschwanden (der Film zeigt den Beginn sehr eindrucksvoll zunächst im Original, dann im Zeitraffer), weil große, schöne, alte Bäume fielen – und weil die Politik den Widerspruch nicht ernst nahm. Wie der Stuttgarter Oberbürgermeister auf dem Canstatter Volksfest in dümmlichster Manier (und gemeinsam mit der Stuttgarter „Bierkönigin“) dröhnt: „Wir im Ländle, wir sind einfach spitze“ und dann seinen Chef, den Landesvater Stefan Mappus willkommen heißt – man kann die Einfalt, die Ignoranz, die geistige Beschränktheit dieser Politikerkaste nicht fassen, und den tosenden Applaus auch nicht, den der OB von seinen Fans bekommt. Deutlich sympathischer ist da der Ex-Banker, der behauptet, der Umgang mit Steuergeldern sei „etwas vom Heiligsten, was es gibt in der Finanzwelt.“ Man mag das für naiv halten – es zeigt aber sehr deutlich die tiefe Verwurzelung des Stuttgarter Widerstands in einer Bevölkerungsschicht, die nicht irgendein fortschrittsfeindliches Revoluzzertum verteidigt, sondern jene bürgerlichen Ideale, auf denen ihr Staat, ihr „Ländle“ aufgebaut zu sein vorgibt.

Das Nachdenken der Bahnhofsgegner geht weiter – es nutzt sich nicht an den Witzfiguren ab, die sich auf dem Podium abhampeln. Es sei ihr mittlerweile völlig wurscht, konstatiert eine Bürgerin, ob und wie viele Minuten Fahrzeit man mithilfe eines neuen Bahnhofs gewinnen könne – „das ganze Leben ist doch eh schon viel zu schnell!“ Der Ex-Bankvorstand regt sich über die CDU/FDP-Regierung auf („eine Verbindung von Leuten, die grundsätzlich Kapitalinteressen vertreten“), der Regisseur Volker Lösch spricht von der „Zukunftsgestaltung der Gesellschaft.“ Und als schließlich bei den ersten Großdemonstrationen ein Polizist einen Demonstranten auffordert: „Gehen Sie weiter!“, da sind Mut, Wut und verzweifelte, Ohnmachtsfühle so weit gewachsen, dass der Mann cool antwortet: „Nein, ich steh‘ hier!“ Ein anderer ergänzt, das sei „Gemeinschaftskundeunterricht hier! Ich war mal Lehrer – auch Beamter!“

Mappus ist weg – wie geht’s weiter?

Wie es weiterging, ist bekannt: Wasserwerfer gegen Schüler, Reizgas, Verletzte, ein nahezu erblindeter Rentner, der nun auf Hilfe angewiesen ist, nicht mehr alleine einkaufen gehen kann, unzählige Bürger, denen auf diese Weise der Gedanke „jetzt erst recht!“ eingebläut wurde, ein CDU-Innenminister, der vor der Tagesthemen-Kamera flötet, die Landesregierung habe „sehr erfolgreich deeskalierend agiert“ – und dann nochmal der Banker, der die Idee der Schlichtung durch Heiner Geißler wenig sinnvoll fand und prophezeit: „Die Nagelprobe wird die Landtagswahl sein.“ Stefan Mappus, den die Untertitel des Filmes noch als „Ministerpräsident von Baden-Württemberg“ vorstellen, ist von der politischen Bildfläche zunächst verschwunden. Das Zeichen wäre noch deutlicher gewesen, wenn Fukushima nicht gewesen wäre. Aber der Bahnhof steht nun wieder ein wenig zur Disposition. Sperling/Klägers Film trägt dazu bei, dass auch Verhinderungsskeptiker nochmal neu nachdenken können.

„Stuttgart 21“ von Lisa Sperling und Florian Kläger, 75 Minuten, läuft als Eröffnungsfilm der Tage des Unabhängigen Films Augsburg am heutigen Freitag, 1.4.2011 um 20 Uhr im Mephisto. Die Regisseure sind anwesend, ebenso Produzent Peter Rommel. Weitere Vorstellungen am Samstag, 2.4. um 17.15 und 19 Uhr im Thalia.

Mehr Info unter www.lechflimmern.de/filmtage2011.