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Sonntag, 21.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Ein großartiger Film – und was ein Augsburger damit zu tun hat

Michael Hehls Verleihfirma bringt “Je suis Charlie” nach Deutschland



Von Sophia Winiger

Hehl

Engagierter Verleiher mit Augsburger Wurzeln: Michael Hehl (Foto: Sophia Winiger). 


Nach der Vorstellung von “Je suis Charlie”: Die Regisseure, Vater und Sohn Leconte, positionieren sich für die Publikumsfragen vor der Leinwand des Thalia-Kinosaals. Neben ihnen fällt ein lebhafter junger Mann ins Auge, schwarz und sportlich gekleidet, ein dunkler Schal reicht ihm fast ins Gesicht. Er moderiert, dolmetscht, schaltet sich in die Diskussion ein, mimisch und verbal, meist schneller als die Befragten selbst reagieren (können). Michael Hehl, 30, ist Geschäftsführer von „Temperclayfilm“; seine Firma hat „Je suis Charlie“ in die deutschen Kinos gebracht. Und nebenbei ist er Augsburger.

Als eine muslimische Schülerin in der Diskussion vehement die Mohammed-Karikaturen angreift, sagt er ihr, dass er ihren Mut bewundere. Michael hat als Schüler wohl selbst viel Mut, oder Trotz, bewiesen: 45 Verweise habe er sich im Laufe seiner Schulzeit am Stefan-Gymnasium eingehandelt, erzählt er. Jetzt können die Lehrer ihn aber schwerlich als Taugenichts betrachten: „Je suis Charlie“ ist bereits der achte internationale Film, den er seit der Gründung seiner Produktions- und Verleihfirma vor vier Jahren in die Kinos gebracht hat. Vorher waren es unter anderem „White Shadow“, eine Ryan Gosling-Produktion und Venedigs bester Debütspielfilm 2013, sowie der mexikanische Film „Heli“, der auf dem Cannes-Festival 2013 den Preis für die beste Regie erhielt.

Als die Diskussion vorbei ist, schüttelt er einigen vorbeigehenden Schülern die Hand. Jetzt gibt es Mittagessen mit den Regisseuren im Kaffeehaus nebenan. „Ich habe schon immer gerne Geschichten erzählt, mit zwölf habe ich meine ersten Kurzgeschichten geschrieben.“ Wenn Hehl spricht, wirkt er energisch, überzeugt, er gibt zweifellos gerne Dinge preis. „Dass ich etwas mit Filmen machen wollte, das wusste ich schon in meiner Kindheit. Ich habe Rollenspiele geliebt damals.“ Im Sitzen verschränkt er die Arme weit vor der Brust, gibt sich betont lässig.

Die Filmhochschule empfand er als einengend

Sein Interesse am Austausch mag wohl auch die Wurzel seines Erfolgs sein. So entstand zum Beispiel ein Film, den er selbst gedreht hat: 2006 trifft er im Privaturlaub auf einen kurdischen Familienvater. Sie lernen sich beim Schwimmen kennen, verständigen sich mit Händen und Füßen – „so sind wir miteinander warmgeworden.“ Das Leben des Fremden beeindruckt Hehl: Im türkischen Osten arbeitet der als Kind mit gefälschtem Pass auf den Feldern des Vaters, als Zwölfjähriger zieht er alleine nach Istanbul, mit 18 legte er eine Karriere als Profiboxer hin, verfällt später in zermürbende Arbeitslosigkeit. 2007 besucht Michael den neuen Freund in Istanbul, saugt das Lebensgefühl dieser Stadt mit allen Sinnen auf. Sie fasziniert ihn derart, dass er einen Dokumentarfilm dreht. 2008 versucht er sich an einem Regiestudium an der Münchner Filmhochschule – und bricht es nach sechs Monaten ab. „Die lassen dich keine eigenen Ideen haben, sondern drücken dir nur ihre Vorstellungen auf“, so sein Urteil.

Dass er dagegen ein Selfmademan ist, betont er gerne. Nach dem Abitur dreht er während des Zivildienstes erste Kurzfilme, danach macht er Praktika und Assistenzen, bei ARD, ZDF, constantin film. In dieser Zeit habe er „viel Dreck gefressen.“ Und sich nach einer Weile gefragt: „Brauche ich überhaupt noch ein Studium, wenn ich monatlich 3000 Euro auf die Hand bekomme?“ Ja, beschließt er, als er eine unglückliche 50-jährige Regieassistentin beobachtet. Ab 2009 studiert er Theaterwissenschaften an der Uni München. Not macht kreativ, das stimmt auch für Michael Hehl. Als er keinen Verleiher für seinen Dokumentarfilm findet, wird er sein eigener – „Temperclayfilm“, zuvor nur Produktionslabel, wird zum Kinoverleih. Heute beschäftigt Michael Hehl als Geschäftsführer drei Mitarbeiter, darunter auch seine Verlobte. „Hauptberuflich ist sie Lehrerin, aber was für eine! Die ist eine richtig toughe Frau.“ Wenn ihn etwas stolz macht, weitet sich das verschmitzte Gesicht zu einem Grinsen, und er blickt um sich, nach Erwiderung suchend.

Augsburg-Führung mit den „Charlie“-Regisseuren



Sein schwerster Rückschlag? –  „Das ist eine gute Frage.“ Vergangenen Juni hat ihn sein damaliger Geschäftsführer im Stich gelassen. „Wenn du plötzlich alles alleine machen musst, dann ist das schon hart.“ Aber man wächst an solchen Dingen. Den größten Erfolg erhofft er sich von seinem nächsten Projekt: „Der Wert des Menschen“, ein Film des Franzosen Stéphane Brizé, kommt am 17. März in die Kinos. Doch jetzt umsorgt Michael Hehl erst mal die beiden „Charlie“-Regisseure: Nach dem Essen brechen die drei, geführt von Hehls Mutter, auf zu einem Spaziergang durch die Augsburger Innenstadt. Ein bisschen Tageslicht auffangen, bevor die Abendvorstellung beginnt.