Dritte Orte – neuer Hype der Stadtplanung oder soziale Notwendigkeit?
Zur aktuellen Diskussion um die Bedeutung von möglichst konsumfreien, altersunabhängigen und gemeinnützig wirksamen sozialen Begegnungsräumen im urbanen Raum
Von Peter Bommas
Kulturräume schaffen und neu denken
Die Augsburger Stadtratsfraktion der Grünen hatte am letzten Samstag unter dem Titel „Kulturräume schaffen und neu denken“ zu einer Podiumsdiskussion in die Stadtbücherei eingeladen. Dort wurde die Feststellung von Bürgermeisterin und Bildungsreferentin Martina Wild, die Stadtbücherei sei ein „Paradebeispiel für einen Dritten Ort“, durchaus kontrovers diskutiert.
Was also sind diese sogenannten, momentan so angesagten „Third Places“, woran erkennt man sie und warum gelten sie für eine integrative Stadtgesellschaft plötzlich als geradezu unverzichtbar?
Dritte Orte zur Förderung des sozialen Zusammenhalts
Ausgelöst hat den Hype wohl ein aktuelles Forschungsprojekt des Deutschen Instituts für Urbanistik, unterstützt vom Deutschen Städtetag, das sich mit der Erforschung der Bedeutung sogenannter „Dritter Orte“ für den sozialen Zusammenhalt und die Förderung des Gemeinwesens befasst (siehe dazu die aktuelle Studie der Körber-Stiftung „Dritte Orte – Begegnungsräume in der altersfreundlichen Stadt“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, 2023 und „Dritte Orte in der Großstadt“, Veröffentlichung des Deutschen Städtetags, März 2025).
Der Begriff „Dritter Ort“ wurde 1989 vom amerikanischen Stadtsoziologen Ray Oldenburg in seinem Buch „The Great Good Place“ eingeführt vor dem Hintergrund der dortigen Stadtentwicklung mit der Abgrenzung von Arbeitsstätten in den Cities (zweiter Ort) und den suburbanen Wohnvierteln (erster Ort). Vorbild für ihn waren die europäischen Städte mit ihren damals noch lebendigen Mixstrukturen aus Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Verweilen etc. Heutzutage hängt auch bei uns dieses Bild schief und die Diskussion um Begegnungsräume für zwanglose soziale Interaktion – gleichgültig ob für Jugendliche oder die alternde Boomergeneration – hat Fahrt aufgenommen. Dritte Orte sind Treffpunkte für die lokale Gemeinschaft, gleichgültig ob es sich hierbei um Häuser, Institutionen, Plätze oder Parks im öffentlichen Raum handelt. Es sind Freiräume ohne Konsumzwang und soziale Kontrolle, für Austausch und gegen Einsamkeit und sie sind deshalb generationenübergreifend offen, niederschwellig, kommunikativ und gut erreichbar. In dieser Form und Funktion werden sie vom Deutschen Institut für Urbanistik als „Inkubatoren für das Gemeinwesen“ gehandelt.
In Augsburg ist dieser Diskurs nicht ganz neu. Im Zusammenhang mit prekären Aufenthaltsorten für Jugendliche in der „Inner City“ wurde das Problem immer wieder benannt. Zuletzt bei der Diskussion zur möglichen Umnutzung des ehemaligen Konservatoriums, aktuell unter dem Begriff „Max 59“ – die DAZ berichtete – als Zukunftsvision eines integrativen, niederschwelligen und gemeinnützig organisierten innerstädtischen Begegnungs-, Bildungs- und Kulturortes. Darüber, inwiefern solche „Dritte Orte“ altersübergreifend funktionieren und angenommen werden, darf spekuliert werden. Aufgrund der Erfahrungen mit dem eher zufälligen Nebeneinander von „Seniorentreffs“ in Bürgerhäusern bzw. kirchlichen Gemeindehäusern und nicht-kommerziellen jugendkulturellen Begegnungsräumen wie Jugendzentren in einigen Stadtteilen ist im Hinblick auf organisatorisch-strukturelle Vorgaben eine gewisse Skepsis durchaus angebracht. Dritte Orte als konzeptionelle Teile der Stadtplanung sind mit Vorsicht zu genießen – man erinnere sich nur an die urbane Zwangsjacke, als gut funktionierende, selbstorganisierte Jugendzentren in den 70er und 80er Jahren in kommunale Strukturen überführt wurden und dabei nicht selten langsam aber sicher Federn lassen mussten..
Kein Selbstläufer: Stadtplaner als Baumeister für Dritte Orte
Deshalb Vorsicht bei stadtplanerischem Tatendrang, denn dritte Orte jenseits von privatwirtschaftlich betriebenen Treffs – kleine Stadtteilkneipen, Gartenwirtschaften in Kleingartenanlagen etc. – sind ein schwer kalkulierbares Phänomen, wie etliche verwaiste Parkanlagen, marode Tischtennisplatten und verlotterte Sitzgruppen in Augsburg vor Augen führen.
Zwanglose Begegnungsräume, wo Jung und Alt aufeinandertreffen und miteinander ins Gespräch kommen, gibt es jenseits der Urbanistik quasi als „Wildwuchs“ und sie sind auch in Augsburg zu finden. Allerdings entstanden und entstehen solche Orte fast naturwüchsig, manchmal zufällig und nie als Resultat von – noch so gut gemeinter – Stadtplanung! Jugendliche und Senioren eignen sich solche Räume als Treffpunkte über Jahre an, wenn sie nicht ordnungspolitischen und verkehrstechnischen Planungen der Stadtregierungen weichen müssen oder sich aufgrund von kommunalen Auflagen und wirtschaftlichen Zwängen nicht mehr rechnen.
Luftbad, Grandhotel und Kulperhütte: Paradebeispiele für Dritte Orte
Ein gutes Beispiel: Das Gelände des „Luftbads“ hinter dem ehemaligen Ackermann-Areal und dem Gögginger Wäldchen am Wertachkanal zwischen Pfersee und Göggingen. Lange Zeit im Dornröschenschlaf, doch seit etlichen Jahren ein echter „Dritter Ort“ als Outdoor-Treff, Badeplatz, Spielwiese, Diskursmeeting – ganzjährig, altersunabhängig (von 16 bis weit über 80), zwanglos, konsumfrei und vielsprachig – wenn nicht gerade Starkregen, Schneefall oder andere krasse Klimaphänome das Gelände unpassierbar machen.
Kulperhütte an der Wertach (Foto von Udo Legner)
Ein zweites, eigentlich interessantes, aber sich aktuell kriselndes Beispiel, das gerade um sein Überleben kämpft, ist das Projekt „Grandhotel Cosmopolis“ im Domviertel. Grandios gestartet, mit hohem partizipativem Aufwand, aber inzwischen, trotz vorbildlicher und funktionierender intergenerationeller und interkultureller Ausrichtung, in Gefahr zu einem kommunalpolitisch vernachlässigten, weil unterfinanzierten „Nicht-Ort“ zu mutieren. In diese Reihe gehört natürlich auch die privatwirtschaftlich organisierte, aber sehr besucherfreundlich ausgerichtete und generationenübergreifend funktionierende „Kulper-Hütte“ an der Wertach. Sie zeigt, wie man trotz wirtschaftlicher Zwänge mit Phantasie und Risikolust eine hohe Begegnungsqualität schaffen kann!
Aus diesen ganz unterschiedlich wirksamen Beispielen – wie auch aus dem fehlgeschlagenen Beteiligungsprozess um das Kreativwerk „Gaswerk“ – gilt es bei der Planung und Umsetzung des aktuell vom Stadtrat einstimmig beschlossenen und von der Tessin-Stiftung initiierten und finanzierten Projekts „MAX 59“ zu lernen. Es könnte innerstädtisch ein echter Magnet werden. Aber eben nur mit wirklich überzeugenden Beteiligungsverfahren bei Planung und Umsetzung, sicherer Finanzierung bei gleichzeitig gemeinnütziger, von kommunaler Regie befreiter Organisation. Dieses Projekt muss mit seinen und durch seine potentiellen Nutzer*innen über mehrere Jahre wachsen und muss Improvisation und planerische Weitsicht verbinden, Beteiligung samt Ideenaustausch wirklich zulassen. Und dabei sollten die Expertise und das Engagement zukünftiger Nutzer*innen und die Erfahrungen von Partizipations-Profis von Beginn an im Zentrum stehen.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist nun der für den 04.06.25 terminierte, in den Räumen des Holbein Gymnasiums stattfindende Expert*innen-Workshop zu Nutzungs- und Umsetzungsideen mit altersgemischtem, handverlesenem Teilnehmer*innen-Kreis. Die Ergebnisse dieses Workshops müssen als Initialzündung für weitere Impulse und anschließende Aktionstage für öffentliches Interesse sorgen, um ein plakatives Bild des Zukunftsprojekts MAX 59 zu entwerfen. Unter dem Aspekt der Funktion und Bedeutung „Dritter Orte“ für die Stadtentwicklung wird die DAZ diesen Prozess kritisch begleiten.