Die Rückkehr der Arschgeweihe
Ein weltweiter Trend lässt die Augsburger weitgehend kalt
Von Siegfried Zagler
Stadtrat Markus Arnold bei der Ice-Bucket-Challenge
In Augsburg gab es bereits Facebook, als sich Mark Zuckerbergs Eltern noch nicht kannten: Das Augsburg Journal feiert dieses Jahr sein 50. Jubiläum. Manchmal findet man in diesem Magazin Perlen, wie zum Beispiel die Reportage zum Fall Gurlitt. Manchmal findet man dort journalistische Abgründe. Wilma Sedelmeirs Kultur-Geflüster-Kommentar in der aktuellen Ausgabe (Seite 80) ist ein Abgrund, der so tief ist, dass derjenige, der in ihn hineinstürzt, nicht am Aufprall stirbt, sondern an Unterernährung. Wem dieses Bild übertrieben vorkommen sollte, sollte die Berichterstattung „Brechtiger Promitreff“ im Augsburg Journal inklusive Kommentar lesen.
Wer sich bei der Augsburger Prominenz unter einen Eiskübel begab, um bei der „Ice Bucket Challenge“ mitzumachen, ist in der gleichen Ausgabe dagegen sauber recherchiert. Sascha Mölders und Larry Mitchell sind darunter. Beide gehören zu den bescheidenen Zeitgenossen. Den beiden Sport-Stars sollte man keine narzisstische Störung unterstellen, sondern eher, dass sie nach ihren Nominierungen einer negativen öffentlichen Darstellung im Falle einer Ablehnung aus dem Weg gehen wollten. – Der Druck, den ein öffentlicher Spendenaufruf auf prominente Persönlichkeiten ausübt, ist eine Erklärung für den Erfolg der Aktion. Die weiter reichende Erklärung ist aber der ungebrochene Selbstdarstellungszwang in sozialen Netzwerken.
Die „Eiskübel-Herausforderung“ ist eine Art weltweites Schneeballsystem in Sachen Unterstützung für Menschen, die an der rätselhaften Krankheit ALS erkrankt sind. Eine erfolgreichere Benefizaktion hat es im Netz bisher noch nicht gegeben. Bei der Aktion geht es darum, sich einen Kübel mit Eiswasser über den Kopf zu schütten, Fotos davon zu veröffentlichen, Geld für die Forschung zu spenden und weitere Menschen mit einer öffentlichen Nominierung zur Nachahmung zu animieren. Zirka 90 Millionen Dollar sollen auf diese Weise bereits gespendet worden sein. Sich einem gesellschaftlichen Trend zu widersetzen, ist nicht immer einfach.
Wohltuend ist es deshalb, dass sich die politische Kaste in Augsburg bisher davon nicht vereinnahmen ließ. Stadtrat Markus Arnold (FDP) hatte nämlich vor, diese Selbstdarstellungsvariante des öffentlichen Spendens in Augsburgs Politik-Szene hinein zu tragen, doch die von ihm nominierten Volker Schafitel (FW) und Stefan Kiefer (SPD) winkten ab. Beide mit ähnlichen Begründungen, nämlich dass sie sich nicht vorschreiben lassen wollen, auf welche Weise und wofür sie spenden. „Was und wofür ich spende, entscheide ich gerne selbst. Sie können sicher sein, dass ich als sozial engagierter Mensch eine Menge Zeit und auch Geld in die unterschiedlichsten Aktionen und Maßnahmen stecke. Dafür benötige ich von anderen Stadträten, zumal von anderen Parteien, keine Unterstützung“, so Stefan Kiefer auf Anfrage zur DAZ.
Um auf die Kulturjournalistin Wilma Sedelmeier zurück zu kommen: Lange bevor Profifußballer und Popstars auf die merkwürdige Idee kamen, sich die Unterarme mit mehr oder weniger schwachsinnigen Tattoos einschwärzen zu lassen, gab es unter den körperbewussten Frauen den „Fitness-Studio-Trend“, sich flügelartige Tattoos oberhalb des Hinterteils stechen zu lassen. Als es für diese „Kunstwerke“ plötzlich einen herablassenden Namen gab („Arschgeweih“), wurde aus einem Modetrend eine Art Unterschichten-Stigma, das im Lauf der Zeit mittels Lasertechnik aus der Welt gehäutet wurde.
Die Kraft des Wortes wird im Netz nicht besonders hoch gehandelt, weshalb die „Eiskübel-Herausforderung“ eine satirische Gegenaktion hervorrief: die “NPSWarmduscherChallenge”. Man soll warm duschen und anschließend spenden, um Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen zu helfen. Dass diejenigen, die an der Ice-Bucket-Challenge teilnehmen, nämlich daran leiden, ist für die Macher der Satire keine Frage. Sollte sich deren Lesart durchsetzen, wären die Ice-Bucket-Spender ähnlich gezeichnet wie seinerzeit die Damen mit den Arschgeweihen.