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Dienstag, 23.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Die Kulturpolitik der Stadt bleibt unberechenbar

Von Siegfried Zagler

Der 8. August war ein wunderbarer Tag. Wie es seit langer Zeit guter Brauch ist, fand vormittags ein ökumenischer Festgottesdienst statt. Die Kirche St. Ulrich war mit 1.600 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt und zur Mittagszeit gab es kaum noch ein freies Plätzchen bei der Augsburger Friedenstafel im Annahof und im angrenzenden „Klostergarten“, wo sich kaum weniger Augsburger als in der Ulrichskirche versammelten, um dort mit Freunden und Fremden ihre mitgebrachten Speisen zu teilen. Seit Jahrhunderten wird nun das Manifest des Augsburger Religionsfriedens gefeiert. „Der Religionsfrieden war eine politisch-rechtliche Lösung für ein konfessionelles Problem. Mit diesem Vertragswerk begann zugleich die Geschichte der Friedensstadt Augsburg“, wie es auf der Homepage der Stadt heißt. „Daraus leiten wir bis heute die Verpflichtung und den Auftrag für ein friedliches und konstruktives Miteinander in unserer modernen vielkulturellen und vielreligiösen Stadt ab“, wie es im Text weiter heißt.

Das ist ebenfalls ein Manifest. Ein Manifest der guten Vorsätze. Das Gleiche und vieles mehr könnte jede andere Stadt auch aus dem Osterfest „ableiten“. In der Sprache des Marketings würde man sagen, die Stadt Augsburg hat einen Claim entwickelt und müsse ihn nun mit Content füllen. „City of Peace“, so der Claim, der nun über das Rahmenprogramm-Gedöns der letztjährigen Frauenfußball-Weltmeisterschaft ins Hohe Friedensfest hineinwirkt und offensichtlich zu einer „Rahmenprogramm-Serie“ ohne absehbares Ende führt, ist ein Kunstprodukt. Eine Marketing-Idee, die mit dem Hohen Friedensfest nichts zu tun hat. Der Claim „City of Peace“ („Friedensstadt“) ist ein Agentur-Produkt und darf in dieser Stadt nicht ungebrochen und widerspruchslos hingenommen werden.

Reden zur Friedensstadt sind kaum das Papier wert

Mit ihren zahlreichen High-Tech-Maschinenbau-Firmen, die in den Auftragsbüchern der Rüstungsindustrie stehen und tausende von Augsburgern in Brot und Arbeit halten, gehört Augsburg zu den wichtigen Rüstungsstandorten Deutschlands. Genpo Döring hat es (im Rahmenprogramm der Friedenstafel) zwar nicht so gesagt, aber genau so gemeint: Augsburg ist ein Rüstungsstandort – und so lange das so ist, sind die „Reden zur Friedensstadt“ kaum das Papier wert, auf denen sie geschrieben sind.

Hinzu kommt der Umstand, dass das Hohe Friedensfest keine Frauen-WM ist und mit diesem speziellen Fest ein konkretes und tief verankertes Format verbunden ist. Mit dem Westfälischen Frieden wurde 1648 die bereits im Augsburger Religionsfriede von 1555 vereinbarte Parität wiederhergestellt und bestätigt. Zwei Jahre später nahmen die Augsburger Protestanten den Jahrestag des kaiserlichen Eingriffs von 1629 zum Anlass, mit dem ersten Friedensfest für die Erhaltung ihres Glaubens zu danken. Das Augsburger Hohe Friedensfest ist weltweit seit 1950 der einzig staatlich geschützte Feiertag. Ein Tag zu einem Fest, dem die Stadt nun ein dreiwöchiges Sinkblei als Rahmenprogramm angehängt hat.

Was allerdings nichts daran ändert, dass das so genannte Rahmenprogramm zum Hohen Friedensfest für sich betrachtet hohe Qualität hatte. Die Kunst der Subversion gegen die Macht des Faktischen ist eine politische Kunst. Projektleiter Timo Köster will den Rüstungsstandort Augsburg offensichtlich mit den Mitteln der Subversion aus den Eingeweiden der Verwaltung heraus hinterfragen. Köster könnte somit möglicherweise der raffinierteste Trojaner-Künstler sein, der je in unserer Stadt in Amt und Würden gesetzt wurde. Kunst ist subversiv oder eben keine Kunst. Timo Köster hat in seinem 200seitigen und 30.000 Euro teuren „Programmheft“ sehr schön aufgelistet und großformatig beworben, was es lohnt aufzulisten und zu bewerben.

Was hat das Rahmenprogramm mit dem Friedensfest zu tun?

Kösters Programmheft wurde von der Augsburger Allgemeinen wegen der hohen Kosten und als Ausdruck der Selbstdarstellung kritisiert, während zum Beispiel von der gleichen Zeitung die beinahe gleiche Summe beim Brecht-Festival im Verhältnis zu den Kosten des Stadttheaters bagatellisiert wurde und der Selbstdarstellungszwang von Brecht-Festivalleiter Lang offenbar nicht bemerkt wurde. Andererseits wurde das Defizit und die künstlerische Leistung des Brecht-Festivals von den Grünen und den Linken skandalisiert, während man davon ausgehen darf, dass aus dieser Ecke kein Laut der Kritik bezüglich der ineffektiven und zu hoch angesetzten Werbungskosten bei Kösters Rahmenprogramm zu hören sein wird, weil eben diesen Parteien die künstlerische Leistung dieser Veranstaltungsreihe in die politische Matrix passt.

Unabhängig von den weltanschaulichen Prämissen parteipolitischer Kritik ist festzuhalten, dass das Rahmenprogramm des Projektbüros für Frieden und Interkultur der Stadt Augsburg zum diesjährigen Hohen Friedensfest ein Motto in den Vordergrund schob, das angesichts der arabischen Revolutionen und anderen Kriegsschauplätzen, der Klimaproblematik und der ins Stocken geratenen Energie-Wende zur wichtigsten politischen Denkungsart der Moderne gehören sollte: Global denken und lokal handeln.

Was heißt global denken?

„Was ist ein Defizit“, fragte Kulturreferent Peter Grab kürzlich rhetorisch in die verblüffte Runde des Kulturausschusses. „Was heißt global denken?“, wäre die klügere Frage gewesen. Hätten sich Peter Grab und Bernd Kränzle diese Frage selbst gestellt, hätten sie in Sachen „Rahmenprogramm zum Hohen Friedensfest“ größere Rechtfertigungs-Kapriolen vollziehen müssen als beim Brecht-Festival. „Global denken“ heißt links denken, während die politische Mitte eher national denkt. So altbacken diese politische Differenzierung auch sein mag, sie ist immer noch in – wenn auch langsam in Auflösung befindlichen – Mustern vorhanden. Deshalb gehört es zum guten Ton der Linken über die Ausbeutungssystematik in Lateinamerika zu referieren, über Untergangszenarien wegen der aggressiven Weltfinanzwirtschaft nachzudenken und die Solidarität der Völker gegen weltweite Unterdrückung durch Kapitalwirtschaft anzumahnen. Um es kurz machen: Es ist amüsant, dass eine konservative Rathausregierung eine zirka 300.000 Euro teure Veranstaltungsreihe im Rahmen des Hohen Friedensfestes zulässt, die politisch dergestalt „links gefärbt“ ist, dass man zum Beispiel in Berlin Mitte darüber Bauklötze staunen würde. „Alle reden vom Frieden. Wir nicht!“: Mit diesem Spruch untertitelte der Grafiker und linke Politsatirker Klaus Staeck in den Achtzigern eine Fotografie, die Rüstungslobbyisten abbildete. Dass Timo Köster diese Ikone der linken Agitations-Propaganda ohne ironische Brechung übernahm (und übernehmen durfte) ist erstaunlich und zeigt vor allem eins: Die Kulturpolitik der Stadt Augsburg bleibt unberechenbar.