Staatstheater
„Der Menschenfeind“ auf der Brechtbühne: Ein schräges Theatervergnügen
Was war anders im 17. Jahrhundert, als Molière seine ätzenden Gesellschaftskomödien schrieb, im Vergleich zu heute. Einiges, würde man sagen. Und dann doch nicht so viel, davon geht zumindest André Bücker mit seinem Team aus beim Konzept der Inszenierung von Molières „Menschenfeind“ auf der Augsburger Brechtbühne.
Von Halrun Reinholz
Klatsch und Tratsch, Intrigen und Missgunst, das gab es reichlich am Hof des „Sonnenkönigs“, wie wir wissen. Molières „Menschenfeind“ ist ein Spielverderber, ein Miesepeter, der dabei nicht mitmachen will. Der sich dem Reinen und Schönen verschrieben hat, dem Schmeichelei und Opportunismus zuwider sind. Kai Windhövel verkörpert ihn gut, man kann ihn fast körperlich leiden sehen, als der Poet Oronte (herrlich: Klaus Müller mit Perücke und Plateau-Stiefeln), ernsthaft versucht, sein neues „Sonett“ vorzutragen, um sich im Beifall der Zuhörer zu sonnen. Er muss mehrfach ansetzen, weil er im Handy die Datei verliert und – „oh Schreck“ – feststellen muss: „Was steht hier nur? Das ist die Autokorrektur!“
Hier wird zum Vergnügen der Zuschauer in der Brechtbühne schon klar, worauf Andre Bücker in seiner Inszenierung hinauswill: Es hat sich gar nicht so viel geändert seit Molière, nur die Mittel sind nun andere, mit denen man auf dem gesellschaftlichen Parkett punktenoder worüber man stürzen kann. Alceste, der Menschenfeind, und Oronte, der ruhmsüchtige „Poet“ ohne Substanz, verkörpern die Pole der Gesellschaft. Ihr Mittelpunkt ist Célimène (attraktiv und temperamentvoll: Mirjana Milosavjevic) das „Party-Girl“ ohne Geldsorgen (weil reich verwitwet), in deren Haus sich die gesamte Handlung abspielt. Auf der Brechtbühne wird der „Salon“ zum Club. Techno-Musik wabert durch den Raum und hoch oben thront der DJ (Lilijan Waworka) im Glitzer-Look. Ein eher privater Club, wo es dauernd an der Tür klingelt, denn Célimène ist kein Kind von Traurigkeit und umgibt sich gern mit, hauptsächlich männlichen, Gästen, die sich ihrerseits gern von der flotten „crew serveuses“ bedienen lassen. Nur zu dumm, dass der Menschenfeind Alceste sich als Ziel seiner Liebe ausgerechnet dieser Frau ausgesucht hat. So muss er das Party-Spiel mitspielen, muss leiden und zusehen, wie die beiden Partyhengste Alcaste (Patrick Rupar) und Clitandre (Thomas Prazak) Célimène umschwänzeln. Ja sogar Oronte, zu dessen Sonett Alceste seine ehrliche Meinung gesagt hat und ,it dem er sich deshalb vor Gericht treffen muss, auch Oronte macht sich Hoffnungen auf Célimène. Einen wohlmeinenden Freund hat Alceste in dem pragmatischen Philinte (Paul Langemann), der seinerseits der etwas überspannten Eliante (Mirjam Birkl im Girlie-Look) zugetan ist – die beiden stehen etwas außerhalb der Klatsch-Szene, ohne sich ihr zu widersetzen. Sie wollen einfach dabei sein und Party machen. Das Team wäre nicht komplett ohne den wandelbaren Sebastian Müller-Stahl, der (sehr wandelbar!) gleich in mehreren Rollen auftritt, vor allem aber als diskreter Hausdiener (in diesem Fall eher Türsteher) Basque.
Die gereimten Verse von Molière hat Andreas Hillger als Vorlage genommen, um das Stück auf „heutig“ aufzupeppen. Hillgers Zusätze harmonieren nahtlos mit den Originalversen. Ein amüsanter (gereimter) Gruppen-Chat der Protagonisten läuft außerdem wie ein Film über der Bühne und lenkt fast zu sehr vom Geschehen ab. Doch auch Bühnenbild und Kostüme (Imme Kachel) sind ein stimmiger Blickfang – aufgedonnert schräg stolzieren die Party-Gockel durch die Szene, Célimène packt bei jedem Auftritt neue Schuhe aus und alles glänzt und glitzert im Party-Rausch, jeders Tischlein an der überdimensionalen (lila) Sitzgarnitur ist gut mit Flaschen gefüllt. Betont „normal“ ist nur das Outfit von Alceste, dem Fremdkörper in der Feierwelt.
Bei Molière stolpert Célimène über ein paar galante Briefchen, mit denen sie ihre Verehrer gegeneinander ausspielt. Die heutige Version ist der Shitstorm in den sozialen Medien, der dazu führt, dass die angeblichen Freunde sich abwenden. Und dann gibt es noch den Moralapostel, Vertreter des Guten, der den Stein ins Rollen bringt. Das ist bei Molière Arsinoé, in der Inszenierung ein zwischen mephistophelisch und nonnenhaft anmutender Rache-Engel (wunderbar unterkühlt: Katja Sieder)
Wer geglaubt hat, Molière hätte nur alte Hüte und verstaubte Perücken zu bieten, wird in dieser Inszenierung eines Besseren belehrt. Die Zeitlosigkeit des Themas – Klatsch und Tratsch als Kitt der Gesellschaft – wird auch dadurch deutlich, dass die Kostüme durchaus historische Anklänge haben. Und dass die Verse Molières unter Umständen nicht zu unterscheiden sind von den „Nachdichtungen“ , die für jeden Chat taugen. Zum Beweis dafür hat sich das Theater schon im Vorfeld der Premiere was einfallen lassen: Unter www.mollusk.de kann jeder mit-chatten. Bedingung: Es soll gereimt sein („Es sei der Reim/Aller Zeilen Leim“) . Aber keine Sorge, mit Hilfe von KI kann man seine Ergüsse auch „in Reime verwandeln“.
„Wir Menschen gelten als vernünftige Wesen,/wer das behauptet, ist nie Mensch gewesen“, ist das bittere Fazit von Alceste. Diese hervorragend besetzte Inszenierung ist ein stimmiger Blick in die Welt von Molière mit den Mechanismen von heute und ein ungetrübtes Vergnügen für das Theaterpublikum.