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Sonntag, 19.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Der Fall Förster: Beginnt die wahre Strafe nach der Haft?

Linus Förster, der ehemalige Landtagsabgeordnete der Augsburger SPD, ist am vergangenen Freitag zu drei Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt worden. Richter Lenart Hoesch sprach Förster des schweren sexuellen Missbrauchs schlafender und wehrloser Frauen, des Besitzes von Kinderpornos, der Körperverletzung und der versuchten Nötigung für schuldig.

Kommentar von Siegfried Zagler

Das Strafmaß sei angemessen schrieb die Augsburger Allgemeine, während die Stadtzeitung das Urteil als zu milde bewertete. Förster legte inzwischen Rechtsmittel ein. Die anstehende Revision könnte auch zu einer neuen Strafzumessung führen; zu einer kürzeren wie zu einer längeren Haftstrafe. Zwischen der Forderung der Staatsanwaltschaft und der vom Gericht verhängten Haftstrafe liegen 11 Monate Differenz – zugunsten Försters. Irgendwo dazwischen könnte sich nach Auffassung des Gerichts ein gerechtes Strafmaß abbilden, ginge es darum, den Strafzweck als zivilisierte Form der Vergeltung zu betrachten.

Bestünde aber der Zweck der Strafe eher darin, einer generellen Prävention beziehungsweise einer täterbezogenen Prävention Vorschub zu leisten, dann lägen selbst die vier Jahre und neun Monate, die von der Staatsanwaltschaft gefordert wurden, deutlich unter dem Strafmaß, das der Schreiber dieser Zeilen für angemessen hält.

Als Staatsanwältin Martina Neuhierl am ersten Prozesstag die Anklageschrift verlas, kam sie nicht umhin, die aufgezeichneten Vorgänge auf Försters Dateien zu beschreiben: schwerste Formen der Kinderpornografie, die Förster penibel sortiert und abgespeichert hatte. Knapp 40 Minuten musste man sich anhören, auf welche Weise unter 14-jährige Kinder sexuell missbraucht wurden. Es handelte sich nach Aussagen des bestellten IT-Gutachters nicht um private Aufnahmen, sondern um professionell angefertigte Aufnahmen, die von diversen Plattformen offenbar gefahrlos herunter geladen wurden.

Kinderpornografie gehört zum Abscheulichsten, das es in zivilisierten Gesellschaften gibt. Wer diese menschenverachtenden und Menschen vernichtenden Abartigkeiten in Form von fotografischen und filmischen Darstellungen besitzt, unterstützt und fördert unsägliche Verbrechen. Es gehört zu den größten Errungenschaften der Aufklärung, dass nur der Staat Gewalt ausüben und Recht sprechen darf. Verbrechen werden von einem Rechtsstaat in der Regel milder bewertet als von der Gesellschaft, da ein rechtsstaatliches Gericht alle Aspekte der Tat untersucht und bewertet – auch im Sinne des Angeklagten: ebenfalls eine Errungenschaft der Aufklärung und zweifellos ein unverzichtbares Merkmal von Rechtsstaatlichkeit.

Neben dem Geständnis, dem Täter-Opfer-Ausgleich und seinem angeschlagenen psychischen Zustand hat das Gericht auch in seinem Urteil berücksichtigt, dass Förster seine berufliche Reputation verloren habe und gesellschaftlich „erledigt“ sei.

Dazu soll an dieser Stelle festgestellt werden, dass die Aussage des Gerichts, dass Försters bürgerliche Existenz „erledigt“ sei, nicht viel mehr als eine These ist, also eine Annahme, die bei der Strafzumessung keine Rolle spielen sollte. Zum einen, weil man so den Eindruck gewinnen könnte, dass das Gericht der Gesellschaft einen Teil des Vergeltungsaspekts überlässt und zum anderen, weil sich Förster nach der Haft dem Zugriff der gesellschaftlichen Missachtung entziehen kann. Kurz vor seiner Verhaftung hatte Linus Förster noch sein Facebook-Titelbild verändert. Die Porträtreihe, die den ehemaligen SPD-Abgeordneten biografisch als Kind, Jugendlichen und Erwachsenen zeigte, wurde durch eine Fotomontage ergänzt. Es zeigt ihn, wie er sich an einer geöffneten Gittertür festhält. Darüber stand der Spruch: „Freiheit ist das, was die anderen nicht über dich wissen!“

Nach der Haft könnte Förster seine Verlobte heiraten, ihren Namen annehmen und mit 55 Jahren in einer anderen Stadt eine andere Identität leben und ein bescheidenes Lebenskonzept anvisieren – ohne narzisstische Selbstzerstörungsprogrammatik. Das wäre keine Strafe, keine Sühne, sondern eine neue Chance. Er könnte aber auch genau dort anknüpfen, wovon ihn nun die Haftstrafe trennt und somit erneut seiner Sexsucht nachgehen. Eine Sucht, die bei Förster offenbar durch das Verbotene verstärkt wurde: „Was die anderen nicht wissen.“

Die Strafe, die Förster wegen seiner Verbrechen zu verbüßen hat, beginnt mit der Haft und endet mit der Haft. Ob diese Strafe durch gesellschaftliche Ächtung verlängert wird, muss man der Gesellschaft überlassen – und natürlich Förster. Dass auch für Heinrich Linus Förster am Ende eines langen und dunklen Tunnels noch ein bürgerliches Leben möglich ist, also ein Leben, das sich mit Respekt und Anerkennung in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft vollzieht, ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber immerhin möglich. Mit seiner Verteidigungsstrategie und der damit verbundenen Prozessverlängerung hat Förster diese Möglichkeit ein wenig unwahrscheinlicher gemacht.