Der Brandner Kasper in der Puppenkiste: Der Tod ist ein Allgäuer
Mit liebevoll gezeichneten Figuren und vielen spaßigen Einfällen verleiht die Puppenkiste in der neuen Inszenierung von Martin Stefaniak dem bayerischen Klassiker (auch) eine regionale Färbung.
Von Halrun Reinholz
Der „Boindl“(re) beim „Kerschgeist“ mit dem Brandner Kasper – Foto: © Augsburger PuppenkisteEr ist der Inbegriff von bayerischer Gewitztheit: der Brandner Kasper. Franz von Kobell hat ihm 1871 ein Denkmal gesetzt und seither wird das Stück in der bekannten Bearbeitung von Kurt Wilhelm immer wieder auf Bühnen aufgeführt, von Profis wie von unzähligen Laien, es wurde verfilmt und hat nie an Aktualität verloren.
Nun hat sich Martin Stefaniak in der Augsburger Puppenkiste mit dem bodenständigen Brandner Kasper befasst, der mit dem Tod eine Verlängerung seines Lebens aushandelt. Er überredet ihn zum „Kerschgeist“ und als auch größere Mengen davon nicht den gewünschten Erfolg bringen, bescheißt er ihn gekonnt beim Kartenspiel und luchst sich auf diese Weise einen Aufschub um 18 Jahre ab.
Die Hauptperson ist aber der „Boandlkramer“, wie der Tod im Bayerischen respektlos (oder doch eher vertrauensvoll?) genannt wird. In der Augsburger Puppenkiste ist er kein Bayer, sondern ein Allgäuer: „de Boindl“. Denn das Stück lebt nicht nur vom bayerischen Ambiente, sondern auch vom Dialekt. Deshalb hat die Puppenkiste keine Mühen gescheut, prominente bayerische „Native Speaker“ als Stimmgeber zu verpflichten: Udo Wachtveitl spricht den Brandner, doch auch Helmut Schleich, Andreas Gießer, Frederic Linkemann oder Heinz Josef Braun sind bekannte Namen im Bayerischen TV-Kosmos. Judith Gardner und Dagmar Stefaniak traten schon öfter in Augsburg in Erscheinung. Aber der Star ist Maxi Schafroth, der dem „Boindl“ seine unverkennbare Stimm-Melodie verleiht. „Bist du ein Allgeier?“, fragt der Brandner sofort, als der Tod in seiner Stube auftaucht. Bedauernswert sieht er aus, hohläugig und klapprig, und immer am Frieren, denn er muss die Opfer, denen es „aufgsetzt ist“, mit der zugigen Kutsche den weiten Weg zum Himmel befördern. Das zeigt die Puppenkiste besonders eindrucksvoll, als der Brandner schließlich doch einwilligt, sich das Paradies mal anzuschauen: Die Fahrt durch den Sternenhimmel wird mit kleineren Puppen wie aus der Ferne dargestellt, wobei der Passagier Brandner sich kaum festhalten kann, um nicht ins All zu stürzen.
Kaum ein Klischee des bayerischen Volkstheaters fehlt in dem Stück: Die Streitsucht und Sturheit der Bergbauern, das Wildern, die Gläubigkeit bei gleichzeitiger Skepsis, die Aufmüpfigkeit gegenüber der Obrigkeit und nicht zuletzt die Abneigung gegen die „Preißn“, die – wie das Exempel des Generals von Zieten zeigt – selbst im Himmel der Bayern nicht willkommen sind. („Wie sind hier im siebenten Himmel, der Preußenhimmel ist gerade mal die Vorstufe zum ersten“, erklärt der Heilige Petrus, der die Seelen empfängt). Im Preußenhimmel seien gerade „bayerische Wochen“, da habe er sich das mal anschauen wollen, kontert der General im besten Preußisch.
Und selbstverständlich lebt das Stück von dem zwanglosen Umgang mit dem himmlischen Personal, das sehr menschlich im Vorhof zum (immerhin siebenten) Himmel bei Bier und Kartenspiel darauf wartet, dass der Tod mal wieder wen vorbeibringt. Da ist der Erzengel Michael, ein etwas versnobter und humorloser Nicht-Bayer (und Nicht-Lateiner), flankiert von den beiden pseudo-gelehrt lateinisch palavernden Turmair (dem Historiker Aventinus) und Nantwein (einem Wolfratshauser Lokalheiligen – „den ham sie verbrennt, denn die ham an Märtyrer braucht“). Und dann ist da natürlich der „Portner“, der Heilige Petrus, der als einziger Zugang zur obersten Etage hat. Er darf nicht gestört werden, wenn er „ad sausicius albus“ sitzt, also beim Weißwurstessen.
Dieses Stück ist wie gemacht für die Puppenkiste, denn sie versteht es immer wieder, ernste Themen des menschlichen Zusammenlebens humorvoll zu präsentieren. Dabei gleitet sie auch diesmal nicht in die Versuchung ab, eine Klamotte daraus zu machen. Das Bühnenbild wirkt solide und authentisch, die Charaktere sind liebevoll gezeichnet (was bei der Puppenkiste auch heißt: liebevoll und mit Pepp geschnitzt), die musikalische Untermalung ist passend, aber nicht derb. Der Text hält sich weitgehend an die Vorlage von Kurt Wilhelm und ist gespickt mit witzigen Dialogen im besten bayerischen Frotzel-Ton. Zusätzlich sorgen auch Puppenspieler-„Tricks“ für lustige Momente.
Ein Riesenvergnügen für das Publikum, das immer wieder Lachsalven von sich gibt. „Eine Sternstunde“ ruft es hinter mir im Zuschauerraum. Dass die nächsten bekannten Vorstellungen schon jetzt ausverkauft sind, wundert nicht. Das wird sicher ein Dauerbrenner der nächsten Jahre – und das zu Recht!