Coronakrise: Innenminister Hermann gestattet Buchlesen auf Bänken
Was darf die Stadt Augsburg während der Coronakrise untersagen, was nicht? Wer darf laut Infektionschutzgesetz die Grundrechte außer Kraft setzen und wie lange? Die erste Frage ist ziemlich konkret, die zweite eher akademisch. Doch selbst die einfachsten Dinge sind in Krisenzeiten nicht mehr einfach.
Von Siegfried Zagler
Bis gestern verscheuchte die Polizei in Augsburg Bürger, die auf öffentlichen Bänken saßen, da das Sitzen auf Bänken weder etwas mit Einkaufen noch mit Spazierengehen oder Joggen in Verbindung zu bringen ist. Das Sitzen auf Bänken war wegen der Ausgangsbeschränkung in Augsburg und andernorts verboten, also muss dafür ein Strafmaßstab für Zuwiderhandlungen existieren. Bayerns Innenminister Hermann sieht das nun kurz vor dem Osterfest nicht mehr so streng.
“Die Freiheit der Menschen ist ein überragendes Gut, niemand soll in Bayern das Gefühl haben, er würde unnötig gegängelt”, so Herrmann am gestrigen Mittwoch. “Es spricht daher überhaupt nichts dagegen, wenn sich jemand im Rahmen seines Spaziergangs allein, mit der Familie oder sonstigen Angehörigen seines Hausstandes zwischendurch auf eine Parkbank in die Sonne setzt”, so Herrmann weiter. Bei den Kontrollen der Polizei sollen die Beamten “Augenmaß und Fingerspitzengefühl” walten lassen. Es spiele für das Infektionsrisiko keine Rolle, ob man dabei ein Buch oder eine Zeitung lese oder etwa ein Eis esse.
Dasselbe soll nun auch für ein Sonnenbad im Park oder auf einer Wiese gelten. “Entscheidend ist am Ende des Tages, Gruppenbildungen zu vermeiden und mindestens 1,5 Meter Abstand zu anderen zu wahren.”
“Der ist nicht zuständig”, sagte ein Polizeibeamter zu einem 70-jährigen Augsburger, als er sich gegen die Gängelei eines Polizeibeamten wehrte, indem er sagte, dass Augsburgs Ordnungsreferent Wurm das Sitzen auf Bänken erlaubt habe. Möglicherweise hatte der Beamte Recht, möglicherweise nicht. Zu lesen ist der Konflikt auf Facebook.
Ein Antrag der Polit-WG, das städtische Sitz-Verbot zu lockern, wurde bisher nicht bearbeitet. Ein Antrag, ein Stadtratsbeschluss, eine Gebührenordnung, also die üblichen demokratischen Prozesse, sind derzeit außer Kraft gesetzt – ebenfalls ohne Beschluss. Gefragt sind kurze Wege, also Verlautbarungen von Fürsten, die sich noch “Innenminister” oder “Ministerpräsident” oder “Oberbürgermeister” nennen dürfen. Krise braucht keine Demokratie, sondern Verlautbarungen von Fürsten, die niemanden gängeln oder schikanieren wollen, könnte man meinen, wenn man ein wenig zuhört, was die Sitz-Ordnung im öffentlichen Raum so zu bieten hat.
Von der Polizei, also im demokratischen Sinn ebenfalls von der Exekutive, war ein anderes Verbot erlassen worden: Man darf sich nicht auf eine Parkbank setzen, um ein Buch zu lesen. Immerhin soll die bayerische Polizei “ihr Verbot” mit Fingerspitzengefühl durchgedrückt haben.
Sébastien Leprêtre, Bürgermeister von La Madeleine, einer nordfranzösischen Gemeinde, hat das Problem dagegen knallhart beseitigt. Er ließ alle Bänke der Gemeinde verschwinden. Von der Tageszeitung Le Parisien wird er folgendermaßen zitiert: “Ich konnte sie jeden Tag aus dem Fenster meines Büros im Rathaus sehen – bei strahlendem Sonnenschein kamen die Einwohner zum Reden. Das ist inakzeptabel.” Die Stadtverwaltung montierte zirka 40 Bänke auf Frei- und Grünflächen der Gemeinde ab.