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Dienstag, 08.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brechtbühne: Faszination des Grauens

Der erste Teil von Thomas Köcks Klimatrilogie „paradies fluten. verirrte sinfonie“ zeigt das Augsburger Stadttheater als dichte, akrobatische Inszenierung

paradies fluten (c) Jan-Pieter Fuhr

paradies fluten (c) Jan-Pieter Fuhr


Mit einem außergewöhnlichen Stück präsentierte sich die neue Hausregisseurin Nicole Schneiderbauer erstmals dem Augsburger Publikum: „paradies fluten“ heißt der erste Teil einer Klimatrilogie des österreichischen Autors Thomas Köck mit dem Untertitel „verirrte sinfonie“. Uraufführung war 2016 bei den Ruhrfestspielen in Bochum. Auch die beiden anderen Teile, „paradies hungern“ und „paradies spielen.abendland – ein abgesang“ sind bereits aufgeführt worden. Wie die Titel suggerieren, handelt es sich um apokalyptische Visionen, die darüber reflektieren, was von der heutigen Welt übrigbleibt, wenn es sie nicht mehr geben wird – in etwa sechs Millionen Jahren.

Das Szenario ist, wie man sich denken kann, per se beklemmend genug und man fragt sich zu Recht, ob man das auf der Theaterbühne sehen will. Die Brechtbühne erwartet die Zuschauer mit einer von vier Zuschauerseiten umrahmten Zentralfront und Schauspielern, die teilweise aus der ersten Reihe heraus agieren. Seile und Netze hängen von der Decke und dienen, wie sich zeigen wird, den Akteuren als Handlungsfläche. Diese stehen in hautfarbenen Trikots gleichsam nackt da und reflektieren über die Zwangsläufigkeit des menschlichen Untergangs.

Doch Thomas Köck beschränkt sich in seinem Stück beileibe nicht auf larmoyante Untergangsstimmung. Geschickt baut er zwei Erzählstränge ein, die die globale Bedrohung auf die Perspektive des Alltags herunterbrechen. Einerseits geht es um eine Familiengeschichte – ein Arbeiter aus den neuen Bundesländern macht sich (nach der Wende) als KfZ-Mechaniker selbständig, gegen den Willen seiner ängstlichen Frau, die um die Existenz der kleinen Familie fürchtet. In der Perspektive entwickelt sich die Tochter der Familie zur Tänzerin, die ihre Ausbildung „querfinanziert“ und „auf Honorarbasis“ ihren Lebensunterhalt verdienen muss.

Die zunehmende Demenz des Vaters und seine Unterbringung im Pflegeheim ermöglichen ihr, sich durch den Verkauf des Hauses der Familie vermeintlich einen finanziellen Puffer zu schaffen. Zu dieser Kapitalismuskritik im Kleinen gesellt sich die Beschreibung eines Ereignisses in Manaus am Amazonas aus dem Jahr 1898. Der deutsche Architekt Felix Nachtigall soll den dortigen Kautschukbaronen ein Opernhaus bauen, mit dem sie die Überlegenheit ihrer Kultur in der Wildnis demonstrieren wollen. Dass dieses Projekt zu Lasten der Einheimischen und im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht, ist die Kehrseite der Medaille.

Der Plot wird den Zuschauern freilich nicht als gefälliger Diskurs serviert, sondern mit einer atemberaubenden Performance aus (meist chorisch gesprochenem) Text und akrobatischem Einsatz. Die Seile und Netze dienen dazu, die Verstricktheit und das Gefangensein zu demonstrieren. Eine der Darstellerinnen, Kaatie Akstinat, ist dementsprechend eine Vollblutakrobatin („vertikale Kunst an Tuch und Seil“), doch die anderen  – Linda Elsner, Jenny Langner, Roman Pertl und Patrick Rupar – können ihr in diesem Spiel akrobatisch das Wasser reichen und alle überzeugen mit präziser Sprache. Das Inszenierungsteam (Kostüme: Miriam Busch, Video: Stefanie Sixt) achtete auf eine stringente visuelle Ästhetik, kongenial zur sprachlichen Genauigkeit und Expressivität.

Was zunächst einmal verstörte, entwickelte sich im Laufe der gut eineinhalb Stunden dauernden Aufführung zu einer Faszination des Grauens, aber auch der Klarheit. Ein dichtes, intensives Befremden. Was die anderen beiden Teile der Trilogie noch zu bieten haben, mag man sich gar nicht vorstellen.