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Dienstag, 08.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Augsburger Kunstsammlungen und Museen

Ausstellung: Caspar Neher und Bertolt Brecht – Wanderer zwischen den Welten

Die lebenslange Freundschaft zwischen Bertolt Brecht und Caspar Neher verband zwei herausragende Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beide wurden etwa gleichzeitig in Augsburg geboren. Zwei ehemalige Klassenkameraden des Augsburger Realgymnasiums haben wie kaum jemals einzelne Persönlichkeiten vorher und nachher Theatergeschichte geschrieben.

Von Dr. Helmut Gier

Caspar Neher: “Der Physiker” – Entwürfe zu Brechts Furcht und Elend des III. Reichs, Aquarell, Tuschpinselzeichnung, Deckfarbenmalerei, 1946 Bildnachweis: Kunstsammlungen & Museen Augsburg

Ausstellungen zu Caspar Nehers künstlerischem Schaffen für das Theater fanden schon in London, Berlin, Wien, München, Köln und Salzburg statt. Dies zeigt, welche Bedeutung dem aus Augsburg stammenden Bühnenbildner und Maler beigemessen wurde und wird. Selbstverständlich wurde der große  Künstler auch in seiner Heimatstadt mehrfach in Ausstellungen präsentiert. Erstmals wurde er schon zwei Jahre nach seinem Tod 1964 gewürdigt, weitere Schauen folgten 1990 und verbunden mit einer Tagung 1997 zum hundertsten Geburtstag.

Auch wenn Neher keinesfalls darauf reduziert werden darf, berühmt geworden und im Gedächtnis der Nachwelt lebendig geblieben ist er vor allem durch die Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht. Ist es doch ein außergewöhnlicher Vorgang, dass zwei aus derselben Stadt stammende, fast gleichaltrige Jugendliche, die Klassenkameraden in der Mittelstufe eine Gymnasiums wurden, mit ihren unterschiedlichen Begabungen als Schriftsteller und bildender Künstler in lebenslanger Freundschaft und Zusammenarbeit eine Kunstgattung wie das Theater revolutionieren.

Dabei handelt es sich um zwei Giganten mit einer ungeheuren Produktivität. Davon zeugen die dreißig Bände der Werkausgabe des Dichters und die rund 5000 Entwürfe und Skizzen, die von den fast 500 von dem Bühnenbildner ausgestatteten Inszenierungen erhalten geblieben sind. Die Zeit ihres Schaffens war dabei begrenzt, Neher wurde nur sieben Jahre älter als der schon mit 58 Jahren verstorbene Brecht.

Caspar Neher: Entwurf zu Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe, Öl auf Karton, 1932 Bildnachweis: Kunstsammlungen & Museen Augsburg

Zum 125. Geburtstag Brechts widmen die Augsburger Kunstsammlungen der Freundschaft zwischen den beiden Künstlern eine erlesene Ausstellung. Sie zeigt 40 Kostbarkeiten, die zu gleichen Teilen aus den Beständen der Kunstsammlungen und der Brecht-Sammlung der Staats- und Stadtbibliothek stammen. Die zeitliche Spanne reicht dabei von der Darstellung von sechs kämpfenden Soldaten im Ersten Weltkrieg, an dem Neher im Gegensatz zu Brecht als Frontsoldat teilnahm, bis hin zu Skizzen und Briefen aus den späten vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Besonders eng war die freundschaftliche Verbundenheit zwischen den beiden Künstlern in den Jahren nach dem Krieg, wie die aus dieser Zeit erhaltenen Tagebüchern mit einem Porträt Brechts und selbst Briefen an die Jugendliebe des Dichters Paula „Bi“  Banholzer, in denen Neher seinen Freund spöttisch als stolzen Autor des zunächst „Spartakus“, später „Trommeln in der Nacht“ genannten Stücks zeichnet.

In diese Zeit, als Neher noch große Ölgemälde schuf, gehört ein noch unveröffentlicht gebliebenes ausdrucksstarkes Selbstbildnis und eine ironisch gefärbte Darstellung von Bertolt Brecht und Arnolt Bronnen in Form eines Dichterdenkmals. Eine besondere Kostbarkeit ist die in den Privatdruck der „Taschenpostille“ von 1926 eingeklebte Originaltuschzeichnung mit dem Porträt Brechts als „Wasser-Feuer-Mensch“.

Den Abschluss des ersten Abschnitts der Ausstellung bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung bildet eine bislang unbekannte Neuentdeckung in den Beständen der Kunstsammlungen, ein Ölgemälde auf Karton mit der Darstellung der Heldin aus dem Stück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, die als Vorlage für den Umschlag der 1932 erschienenen Erstausgabe diente. Diese eindrucksvolle Arbeit fand deshalb für das Plakat und den Flyer für die Ausstellung Verwendung. Aus politischen Gründen konnte das Stück vor 1933 nicht mehr aufgeführt werden, erst Gustav Gründgens brachte es 1959 in Hamburg zum ersten Mal auf die Bühne.

Die zweite große Abteilung ist der Wiederaufnahme der engen Zusammenarbeit Nehers und Brechts in den frühen Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewidmet. Denn die beiden Freunde waren über zwölf Jahre ohne Kontakt geblieben. Der eine befand sich seit 1933 im Exil, während der andere während der Zeit des Nationalsozialismus an den deutschen Bühnen weiterarbeitete. Schon 1946, also noch bevor Brecht aus den Vereinigten Staaten zunächst in die Schweiz zurückkehrte, schuf  Neher für eine Aufführung am Stadttheater Basel eine eindrucksvolle Reihe von Tuschfeder und Tuschpinselskizzen mit Szenen aus dem Stück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“.

Blickfang in diesem Teil der Ausstellung sind die farbenfrohen Entwürfe für das unvollendet gebliebene Dramenprojekt „Der Wagen des Ares“ aus dem Jahre 1948. Diese Arbeiten machen deutlich, warum viele meisterliche aquarellierten Zeichnungen Nehers mit ihren zerfließenden Tuschfederlinien über Bühnenbildentwürfe im eigentlichen Sinne hinausgehen und als eigenständige Kunstwerke gelten können.

Zum Abschluss der Ausstellung werden eine Reihe von Stücken aus dem von der Stadt 2021 erworbenen, bis dahin unbekannten Briefwechsel zwischen Caspar Neher und Rolf Badenhausen aus den Jahren 1952 und 1960 präsentierte. Aus ihm geht hervor, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Freunden in den fünfziger Jahren  an Intensität nachließ, da Neher die Zwänge des Ostberliner Kulturbetriebs ablehnte. Zugleich macht der Schriftwechsel deutlich, wie geschickt und ohne Skrupel Brecht seine und auch die seines Freundes Verbindungen zu den einstigen führenden Repräsentanten des nationalsozialistischen Theaterlebens nutzte, damit seine Stücke auch in Westdeutschland aufgeführt wurden.

Zwei ehemalige Klassenkameraden des Augsburger Realgymnasiums haben wie kaum jemals einzelne Persönlichkeiten vorher und nachher Theatergeschichte geschrieben. Die Ausstellung der Kunstsammlungen vermittelt einen tiefen Einblick in die Entwicklung dieses freundschaftlichen Zusammenwirkens und vor allem die Meisterschaft Nehers, eines Künstlers, den Brecht den „größten Bühnenbauer unserer Zeit“ nannte.

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Wanderer zwischen den Welten Die Freundschaft Caspar Neher – Bertolt Brecht: Grafisches Kabinett, Maximilianstraße 48 — Laufzeit: 4. März bis 25. Juni 2023 — Turnusführung jeden Sonntag um 16 Uhr