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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Aber in mir kommt wieder das Bild, dass es so war“

„Verborgen in Schnuttenbach“: bewegender Dokumentarfilm um ein Kriegsgefangenenlager in Schwaben

Von Frank Heindl



Thomas Majewski ist in Schnuttenbach aufgewachsen, einem kleinen Dorf im Landkreis Günzburg. 1998 erfährt er aus einer Chronik von einem Kriegsgefangenenlager in seinem Dorf und beginnt mit Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm. Elf Jahre arbeitet er an diesem Projekt, hat am Ende 300 Stunden Filmmaterial beisammen. Im vergangenen Dezember hatte „Verborgen in Schnuttenbach Premiere“, während der Tage des Unabhängigen Films war der Film in Augsburg zu sehen, am morgigen Sonntag stellt der Regisseur sein Werk noch einmal im Thalia vor.

„Jetzt kann man das nicht begreifen. Aber in mir kommt wieder das Bild, dass es so war“ – das sagt einer der ehemaligen holländischen Kriegsgefangenen, die Majewski zurückgeholt hat nach Schnuttenbach. Und es ist das eine Ergreifende an seinem Film, dass man den Interviewten dabei zusehen kann, wie sie in ihren Erinnerungen wühlen, wie sich die Bilder wieder einstellen. Es sind keine schönen Bilder, und doch ist das andere Ergreifende des Filmes, wie sich, mit 60 und mehr Jahren Abstand, die Betroffenen, ohne zu übersehen, welche Seite Täter, welche Opfer war, doch alle als Leidtragende dieses Krieges sehen, der sie zu Schicksalsgefährten, sogar zu Freunden hat werden lassen.

Die Schnuttenbacher scheinen den Kriegsgefangenen gegenüber sehr menschlich gewesen zu sein: Übereinstimmend berichten letztere vor der Kamera, wie sie heimlich Essen zugesteckt bekamen, wie der Bürgermeister als ihr Bewacher sie menschlich behandelte. Es dürfte nicht oft vorgekommen sein, dass Gefangene der Deutschen sich nach dem Krieg bei den Besatzern für ihre Bewacher einsetzten – in Schnuttenbach geschah genau dies, und bevor die Insassen des Lagers in ihre Heimat zurückfuhren, brachten sie beim Bürgermeister gar eine Flasche Schnaps vorbei.

Man mag dem Regisseur ankreiden, dass er seine Interviewpartner sehr schonend behandelt. Jeden einzelnen von ihnen hat er mindestens eine Woche lang mit der Kamera begleitet – und einfach abgewartet, was geschehen würde. Mit dem rabiaten Nachfragen eines Claude Lanzmann, mit dem Insistieren auf Genauigkeit und Schuld, hat diese Vorgehensweise nichts zu tun. Majewski verlässt sich darauf, dass die Menschen seines Dorfes die Wahrheit sagen. Er habe sich über viele von ihnen viele Gedanken gemacht, sagt er im Gespräch, und immer wieder taucht der Satz auf: „Ich habe ihnen geglaubt.“

„Es hat in den Leuten zu arbeiten begonnen“

In der Tat scheint die Zeit vorüber zu sein, in der jede Frage nach den Vorgängen während der Nazizeit zu aggressiven Gegenreaktionen geführt hat, zu verstocktem Leugnen und Abstreiten. Offensichtlich, Majewskis Film zeigt es, kommt man mittlerweile mit einfühlsamer Annäherung weiter. Der Regisseur betont, er habe von der Gemeinde Schnuttenbach jedwede Unterstützung bekommen, weder von offizieller noch von privater Seite sei ihm auch nur ein einziges Mal Auskunft oder Hilfe verwehrt worden. So gewinnt sogar der ehemalige SS-Mann Andres menschliche Züge und gesteht vor der Kamera, dass er in all den Jahren „nie“ über seine Zeit im Krieg gesprochen habe. „Sobald wir zu drehen begonnen haben“, erzählt Majewski, „hat es in den Leuten zu arbeiten begonnen. Oft haben sie am nächsten Tag erzählt, was ihnen in der Nacht noch alles eingefallen ist.“ Andres habe immer wieder beteuert, dass er nie einen Menschen getötet habe. „Ich habe ihm geglaubt“, wiederholt Majewski.

„Verborgen in Schnuttenbach“ bringt viele Geschichten und Erinnerung an den Tag, die ohne Majewski für immer verloren gewesen wären. In dessen Fleiß liegt auch der kleine Nachteil des Film: In elf Jahren Drehzeit hat der Regisseur Material gleich für viele Filme gesammelt. Mehrere gute Schlüsse verpasst der Film deshalb, weil es immer noch weitere Aspekte zu verarbeiten gilt. Dass und wie Schnuttenbach und Offingen in den letzten Kriegstagen von SS und Hitlerjugend gegen die anrückenden Amerikaner „verteidigt“ wurden, gehört eigentlich nur am Rand zum Thema des Films – die Dorfbewohner versteckten in dieser Zeit die Insassen des Gefangenenlagers in ihren Kellern und Scheunen. Und da Majewski natürlich keinen ehemaligen Nazi vor die Kamera bekommt, der diese Geschichte aus SS-Sicht erzählen würde, verläuft auch dieser Teil des Filmes fast zu versöhnlich. Sogar der Sprengexperte, der zu Beginn des Filmes noch sehr bewegt und stolz von einem Empfang beim „Führer“ berichtet, scheint in den letzten Tagen zum Widerstandskämpfer mutiert zu sein.

Ein leises Schluchzen bei der Erinnerung

Wichtiger und weitaus gelungener sind die leisen Stellen des Filmes. Die Mundharmonika des Franzosen Henri, den Majewski nach so langer Zeit nach Schnuttenbach zurückbrachte, der noch immer ein schwer zu verstehendes französisches Schwäbisch spricht und der den alten „Bekannten“ von damals mit innigster Herzlichkeit begegnet; zum Beispiel der stolzen, im hohen Alter beeindruckend starken Maria, die wenige Tage nach Henri gestorben ist; der Holländer, der auf dem ehemaligen Lagergelände ein leises Schluchzen nicht unterdrücken kann: „jetzt stehen wir hier“, sagt er, als ob er noch immer nicht richtig begreifen könne, dass die schrecklichen Zeiten vorüber sind.

Die meisten von Majewskis Protagonisten sind mittlerweile tot – er hat ihre Berichte geradezu in letzter Minute eingefangen. Das Interesse daran ist immens – in Offingen lief „Verborgen in Schnuttenbach“ 16 Wochen lang, in den vergangenen Tage hat der Regisseur seinen Film in der weiteren Umgebung vorgestellt, unter anderem in Krumbach, Meitingen, Ulm und Landsberg. Am Sonntag, 17. April um 11 Uhr ist er persönlich anwesend, wenn „Verborgen in Schnuttenbach“ nochmals im Thalia läuft.