Fabian Mehrings Kanu-Slalom
Jetzt treten die Freien Wähler in Augsburg also doch wieder mit einem OB-Kandidaten an. Nach dem entnervten Rückzug von Aiwanger-Pressesprecher Jürgen Marks vor zwei Wochen soll nun der mehrmalige Kanu-Weltmeister Hannes Aigner Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) vom Thron stürzen. Oder soll er nur gegen sie antreten, aber am Ende gar nicht gewinnen?
Von Bruno Stubenrauch
So genau wissen das die Augsburger Freien Wähler wahrscheinlich selbst nicht mehr. Nach drei 180-Grad-Wendungen innerhalb weniger Wochen dürfte ihnen genau so schwindlig sein wie den eigentlichen Wählern, also den Menschen, die tatsächlich wählen gehen und sich nicht (Freie) Wähler nennen, obwohl sie eigentlich als Kandidaten gewählt werden wollen.
Noch im Juli hatten die Augsburger Freien Wähler gemeinsam mit FDP und Pro Augsburg das Dreier-Bündnis mitte.augsburg aus der Taufe gehoben. Mit dem Bündnis wollten die drei bürgerlichen Kräfte bei den Kommunalwahlen 2026 das fortsetzen, was sie im Augsburger Rathaus seit über 5 Jahren als Fraktion Bürgerliche Mitte hinbekommen haben: ohne parteipolitisches Hickhack um die bürgerlichen Wähler werben, die von Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) und ihrer sehr am grünen Koalitionspartner orientierten Politik enttäuscht sind.
Dreierbündnis für das Sommerloch
Die Bekanntgabe von mitte.augsburg hatte medial große Aufmerksamkeit erregt – auch deshalb, weil die Partner die Suche nach einem gemeinsamen Herausforderer von Eva Weber geschickt ins Sommerloch gelegt hatten und die Presse damit den August lang mit Spekulationen beschäftigten, wer es denn werden würde. Der anfängliche Erfolg von mitte.augsburg dürfte einem Mann missfallen haben, der seine Partei nicht als gleichberechtigten Partner unter Gleichen sieht, sondern mit sich und seiner Partei Größeres vorhat. Am 20. August 2025 berichtete die Süddeutsche Zeitung über Bayerns Digitalminister Fabian Mehring und fragte: „Sägt da einer am Stuhl von Hubert Aiwanger?“ [1]
Auch wenn Mehring das gar nicht zu seinen Slimline-Anzügen passende Bild vom Sägen am Stuhl zurückwies, gab er doch mit seiner auf Facebook geposteten Antwort implizit preis, wie er es an die Spitze seiner Partei zu schaffen gedenkt. Indem er zusätzliche Wählerschichten für die Freien Wähler erschließt, die bisher vor allem dort erfolgreich sind, wo Mehring selbst zu Hause ist: im eher krachledern geprägten ländlichen Raum. Um die Freien Wähler zur zweiten Volkspartei neben der CSU zu entwickeln, möchte Mehring sie vor allem stärker im großstädtischen Milieu verankern. Konservative Politik, so schreibt er in dem Facebook-Post, soll wieder so werden, wie Mehring sich mutmaßlich selber sieht: cool. [2]
Kein Fingerspitzengefühl für eine 300.000-Einwohner-Stadt
Für den „jungen, ambitionierten Minister“ (so Mehring über sich selbst in der SZ) liegt es nahe, seinen Plan zuerst dort auszuprobieren, wo er als schwäbischer Bezirksvorsitzender der Freien Wähler Einfluss nehmen kann: in der Bezirkshauptstadt Augsburg. Doch auch, wenn Augsburg eher konservativ tickt und die CSU hier bei Wahlen noch immer mit schöner Regelmäßigkeit stärkste Partei wird, so wurde bei den letzten Bundestagswahlen doch deutlich, dass dem im Landkreis-Städtchen Meitingen lebenden Mehring doch das nötige Fingerspitzengefühl für das Lebensgefühl in der 300.000-Einwohner-Stadt abgeht. Der grundsolide, aber doch eher biedere Bürgermeister der Speckgürtel-Gemeinde Gersthofen, Michael Wörle, den Mehring zur Direktkandidatur in Augsburg überredete, kam im Februar 2025 nur auf magere 3,7 Prozent. Diese Zahl dürfte Hubert Aiwanger, der im heimischen Rottal-Inn immerhin auf 23 Prozent gekommen war, nicht sonderlich imponiert haben.
Also muss Mehrings nächster Anlauf sitzen: die Kommunalwahl 2026. Und da passte es so gar nicht in den Plan, dass die Freien Wähler in Augsburg so geräuschlos mit FDP und Pro Augsburg zusammenarbeiten. Als sich im Lauf des August immer deutlicher herauskristallisierte, dass der stellvertretende Pressesprecher der Bayerischen Staatsregierung, Jürgen Marks, mit dem Mehring als Minister in München eng zusammenarbeitet, als OB-Kandidat des Dreier-Bündnisses mitte.augsburg, aber nicht der Freien Wähler, antreten würde, ging Mehring kurzerhand an die Presse. Über die Augsburger Allgemeine lud er sich am 23. August selbst zur Pressekonferenz ein, in der eigentlich die drei Augsburger Parteivorsitzenden Marks als OB-Kandidaten präsentieren wollten. Mehring ließ wissen, dass es „meine Vision“ sei, Schwarz-Grün im Augsburger Rathaus „durch eine Bayern-Koalition nach dem Vorbild unserer Staatsregierung abzulösen“, also ein Bündnis aus CSU und Freien Wählern. Von FDP und Pro Augsburg keine Rede.
Entscheidung vor Ort? Majestätsbeleidigung!
Diese Intervention von Außen ließen sich die örtlichen Bündnispartner nicht gefallen. In einer gemeinsamen Pressemitteilung stellten die Vorsitzenden von FDP, Pro Augsburg und Freien Wählern klar, dass mitte.augsburg ein überparteiliches Bündnis Augsburger Gruppierungen sei und kein Projekt einer Münchner oder Berliner Parteizentrale. Entscheidungen treffe man allein vor Ort. Dass auch die örtlichen Freien Wähler diese Zurückweisung mit unterzeichnet hatten, muss Mehring wie Majestätsbeleidigung vorgekommen sein. In einer wütenden Antwort nahm er auch seine eigenen Parteifreunde in Augsburg mit unter Beschuss. Er verwies darauf, dass die drei Gruppierungen bei der letzten Kommunalwahl zusammengerechnet auf keine zehn Prozent gekommen seien und sprach ihnen das nötige „Maß an Ernsthaftigkeit und Professionalität“ ab. Mehring stellte sich mit seiner Reaktion sogar indirekt hinter die CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber: „Woher die Akteure von mitte.augsburg das Selbstbewusstsein nehmen, die Oberbürgermeisterin stürzen zu wollen, erschließt sich mir nicht.“ [3]
Ich persönlich entscheide!
Damit stellte Mehring nicht nur den Sinn eines bürgerlichen Gegenkandidaten in Frage, obwohl er sich am Tag zuvor noch zur Bekanntgabe eben dieses Kandidaten selbst eingeladen hatte. Er nimmt damit offen eine Gegenposition zu der Vereinbarung namens Letter of Intent (LOI) ein, die die Augsburger Freien Wähler Dieter Kleber und Hans Wengenmeier bei der Vorstellung des Bündnisses mitte.augsburg mit unterzeichnet hatten. In dem LOI kündigten die Bündnispartner die Aufstellung eines gemeinsamen OB-Kandidaten an, den sie der „Stillstands-Koalition aus CSU und Grünen“ entgegensetzen wollen, die „unsere Stadt mit ihrer Kraft- und Ideenlosigkeit lange genug gelähmt“ habe.
Als ob dies nicht genug wäre, machte Mehring seinen Augsburger Parteifreunden in aller Öffentlichkeit eine deutliche Ansage, wer im Freie-Wähler-Kreisverband Augsburg das Sagen hat. Sobald er aus seinem Sommerurlaub zurück sei, „entscheide ich als Bezirksvorsitzender und für mich persönlich, ob unsere Partei und ich als Minister mitte.augsburg unterstützen können.“
OB-Kandidat geht von der Fahne
Als nach dieser ersten 180-Grad-Wende der noch gar nicht offiziell ausgerufene Jürgen Marks bekannt gab, nicht mehr als OB-Kandidat zur Verfügung zu stehen, gab es hinter den Kulissen weiterhin Versuche, das Bündnis beieinander zu halten. Aus den Reihen des sogenannten Kompetenzteams, das zum Teil aus Personen bestand, die sich zum ersten Mal politisch engagierten, erklärte sich die Kulturmanagerin Iris Steiner bereit, als OB-Kandidatin anzutreten, wenn Marks weiterhin als Listenkandidat zur Verfügung stehen würde. Allerdings wurde an das FDP-Mitglied Steiner – mutmaßlich auf Wink von Meitingen – das vergiftete Angebot herangetragen, sie müsse ihre Partei verlassen und auf der Liste der Freien Wähler antreten.
Dieses durchschaubar auf Schwächung der bisherigen Partner ausgerichtete Manöver wurde nicht nur von FDP und Pro Augsburg abgelehnt, die ihren Austritt aus dem Mitte-Bündnis erklärten. Die Idee, einen aussichtsreichen Listenplatz bei den Freien Wählern „fremd“ zu besetzen, traf auch bei deren Augsburger Mitgliedern auf Unverständnis. Deren Vorsitzender erklärte frustriert am 10. September: „Das Bündnis ist nicht aus inhaltlichen Gründen auseinandergegangen, sondern da spielen dann doch parteitaktische Überlegungen eine Rolle.“ [4]
Nur unseriöse Trittbrettfahrer ..
Nach dem Bruch korrigierte Mehring seine Kommunikationslinie. Unprofessionell und zu wenig ernsthaft waren nun nicht mehr alle drei Augsburger Bündnispartner gleichermaßen, sondern nur noch die „kleinen Parteien“ FDP und Pro Augsburg. Diese, so Mehrings Unterstellung, wollten „die CSU aus der Stadtregierung drängen“, also in die Stadtrats-Opposition schicken. Die Freien Wähler als Regierungsparteien in Bayern wollten keine solchen „Wolkenkuckucksheime bauen“, sondern „den Menschen in Augsburg ein seriöses und ernsthaftes Angebot für die Zukunft ihrer Stadt“ machen, so Mehring im Fernsehsender a.tv. [5]
Auf einmal klang es so, als habe es die einvernehmliche Zusammenarbeit von FDP, Pro Augsburg und Freien Wählern als gleichberechtigter Partner im Rahmen von mitte.augsburg und das gemeinsame Ziel, OB Weber abzulösen, nie gegeben. Mehrings Vision, die Grünen im Augsburger Stadtrat als Koalitionspartner der CSU zu beerben, sei angeblich von Anfang der Plan der Freien Wähler gewesen. Auf diesem Weg hätten die Freien Wähler der FDP und Pro Augsburg lediglich eine „eine Trittbrettfahrt angeboten“ [6].
Ganz andere Ziele und kein Draht nach München ..
Pressemitteilung Freie Wähler (Screenshot)
Wie sehr Mehring den Kreisverband Augsburg auf Linie gebracht hat, lässt sich an einer Pressemitteilung vom 11. September ablesen. Die Freien Wähler Augsburg wiederholen darin die Botschaft, die Mehring am Tag zuvor auf a.tv verbreitet hatte. Dieter Kleber und Hans Wengenmeier, die Unterzeichner des Letter of Intent, wiederholen Mehrings Behauptung über unterschiedliche Wahlziele von Freien Wählern einerseits und FDP/Pro Augsburg andererseits, sowie die Botschaft vom guten Draht der Freien Wähler in die Bayerische Staatsregierung, ohne den sich eine Kommune in Bayern nicht erfolgreich regieren lasse – als ob die CSU, mit der die Freien Wähler ja koalieren wollen, keinen Draht nach München hätte [7].
Ein Koalitionspartner braucht keinen OB-Kandidaten
In Sachen OB-Kandidatur unternahm Mehring eine zweite 180-Grad-Wende. Zwei Wochen, nachdem er aus dem Urlaub den Versuch, Eva Weber als Oberbürgermeisterin abzulösen, für sinnlos erklärt hatte, hoffte er nun, Jürgen Marks für eine Kandidatur allein für die Freien Wähler gewinnen zu können. Wenn dieser bei seinem Rücktritt bleibe, würden die Freien Wähler ganz auf einen OB-Kandidaten verzichten und sich auf eine starke Liste mit Marks an der Spitze konzentrieren. „Eine andere Option sehe ich für uns Freie Wähler nicht“, erklärte der Digitalminister am 10. September. [8]
Der endgültige Bruch: Prominenz statt Kompetenz
Wieder 14 Tage später nun die nächste Wende. Am 24. September gab Mehring auf einer Pressekonferenz bekannt, dass der Kanu-Sportler Hannes Aigner als OB-Kandidat für die Freien Wähler ins Rennen gehen wird. „Wir setzen auf ein prominentes Kind der Stadt, das im Eiskanal groß geworden ist und Augsburg als mehrfacher Europa- und Weltmeister auf der ganzen Welt erfolgreich repräsentiert hat.“ [9]
Bekanntheit reicht Mehring als Qualifikation offenbar aus. Im Letter of Intent hieß es noch, dass ein OB-Kandidat „mit kommunalpolitischer Kompetenz“ gefunden werden solle, „um die weitere politische Ausfransung am rechten und linken Rand zu stoppen“. Damit ist die Abkehr vom überparteilichen Bündnis mitte.augsburg perfekt.
Quellen:
[1] Süddeutsche Zeitung: „Sägt da einer am Stuhl von Hubert Aiwanger?“ (20.08.2025)
[2] Facebook Fabian Mehring: „An Stühlen sägen? Nicht mein Business ..“ (24.08.2025)
[3] Augsburger Allgemeine: „Neues Augsburger Parteienbündnis weist Unterstützung von Staatsminister zurück“ (25.08.2025)
[4] Donaukurier: „FDP, Pro Augsburg und Freie Wähler gehen wieder getrennte Wege“ (10.09.2025)
[5] a.tv: „Wahlbündnis zerbricht – Streit um Einfluss in Augsburg“ (10.09.2025)
[6] Augsburger Allgemeine: „Digitalminister Mehring kontert Kritik aus Augsburg: Betteln nicht um Mitfahrer“ (10.09.2025)
[7] Freie Wähler Schwaben: „Augsburg: Freie Wähler wollen Grüne in Stadtregierung ersetzen“ (11.09.2025)
[8] Augsburger Allgemeine: „Bayerns Digitalminister Mehring macht Kommunalwahl in Augsburg zur Chefsache“ (10.09.2025)
[9] Augsburger Allgemeine: „Fabian Mehring im Interview: Freie Wähler wollen in Augsburg mitregieren“ (23.09.2025)