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Sonntag, 10.08.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Medienrecht

EU-Medienfreiheits­gesetz: Allgemein­interesse sticht Quellenschutz

Am 11. April 2024 hat die EU das Europäische Medien­freiheits­gesetz (EMFA) beschlossen. Es ist am 8. August 2025 in Kraft getreten und entfaltet als Verordnung sofortige Wirkung in den Mitglieds­staaten – ohne nationale Umsetzung. Kritiker sehen jetzt den Schutz journa­listischer Quellen in Gefahr.

Von Bruno Stubenrauch

„Chilling Effect“ – die Schere im Kopf (Symbolbild)

Eigentlich beabsichtigt das Gesetz in guter Absicht das genaue Gegenteil: Da der Quellen­schutz in der EU uneinheitlich sei, sollen einheitliche Mindest­standards geschaffen werden, so die amtliche Begründung. In Artikel 4 wird eine Reihe von Maßnahmen genannt, die Mitglieds­staaten nicht (mehr) ergreifen dürfen:

  • Mediendiensteanbieter oder deren Personal zur Offenlegung von Quellen zwingen,
  • Personen, die mit Medien in Beziehung stehen, zur Offenlegung von Quellen zwingen,
  • Mediendiensteanbieter oder deren Personal inhaftieren, sanktionieren oder abhören/überwachen und
  • Geschäfts- oder Privaträume von Journalisten durchsuchen oder beschlag­nahmen.

Unklare Ausnahmeregelung sorgt für Kritik

Nun aber üben Journalisten­gewerk­schaften, Medien­verbände und zivil­gesell­schaftliche Organi­sationen wie Reporter ohne Grenzen (ROG) scharfe Kritik an einer im Gesetz enthaltenen Ausnahme­regelung. Diese erlaubt es, die eigentlich verbotenen Maßnahmen dennoch anzuwenden, sofern sie „im Einzelfall durch einen überwiegenden Grund des Allgemein­interesses gerecht­fertigt und verhältnis­mäßig“ sind.

Kritiker bemängeln die vage, unpräzise und dehnbare Formu­lierung, die Spielraum für weit­reichende Interpreta­tionen lässt. Das Schlagwort „Allgemein­interesse“ könnte so faktisch jede Verfolgung von Journalisten rechtfertigen.

Gefährdung „unserer Demokratie“

Die Begrifflichkeit reiht sich ein in eine Reihe von vagen, unterhalb der Strafbar­keits­grenze angesiedelten Vorwürfen, die angeblich unsere Demokratie bedrohen – etwa „Desinformation“, „Delegiti­mierung“, „Fake News“, „Hassrede“ oder den jüngst von Ilse Aigner auf X eingeführten Tatbestand „Gefährliches Reden“.

Die Gefahr, dass dadurch journalistische Rechte ausgehebelt werden, ist real. Da in demokratischen Systemen das „Allgemein­interesse“ – gleich­bedeutend mit dem „Gemeinwohl“ – als moralischer und rechtlicher Maßstab gilt, könnte nahezu jeder vermeintliche Angriff auf „unsere Demokratie“ als Recht­fertigung für Zwangs­maß­nahmen, Durch­suchungen oder Inhaftie­rungen dienen.

Drohende Untergrabung des Quellen­schutzes

Kern der Kritik ist, dass der Zeugen- und Quellen­schutz – ein funda­mentaler Grundsatz der Presse­freiheit – durch solche Ausnahme­regelungen unter­graben wird. Die Möglichkeit, dass der Staat unter dem Vorwand eines „überwie­genden Allgemein­interesses“ durchgreifen kann, könnte Journalisten und ihre Quellen abschrecken und einen „Chilling Effect“ (abschreckende Wirkung) erzeugen. Informanten könnten zögern, Journalisten mit brisanten Informationen zu versorgen, aus Angst, dass ihre Identität letztlich doch aufgedeckt wird.

Allgemeine Verunsicherung

Die tatsächliche Wirkung des Medien­freiheits­gesetzes wird maßgeblich davon abhängen, wie Gerichte und Behörden in den einzelnen Mitglieds­staaten die Ausnahme­regelung künftig auslegen und anwenden. Jüngste Beispiele – etwa die Einstufung eines Teils des Haltungs­journa­lismus zur Verfassungs­richter­wahl als „demo­kratie­gefährdende Kampagne“ – lassen erahnen, in welche Richtung sich die Praxis in Deutschland entwickeln könnte. Die Folge: ein Klima der Verunsicherung.