Zwischenstation auf hohem Niveau
Das Tim-Allhoff-Trio stellte auf der Brechtbühne seine neue CD vor
Von Frank Heindl
Das erste, was einem an Tim Allhoffs neuer CD auffällt, ist nicht der Flügel des Echo-preisgekrönten Pianisten, sondern – das Schlagzeug. Selten hat man Aufnahmen gehört, auf denen die Drums so plastisch, so durchsichtig, so differenziert aufgenommen sind! Und das erste, was einem beim CD-Release-Konzert am Samstagabend in der Brechtbühne auffiel – war genau dasselbe: Einfach traumhaft, wie perfekt die Drums auch auf der Bühne abgemischt waren. Dort gesellte sich allerdings auch ein Minus hinzu: Mit zunehmender Lautstärke gingen sowohl der Kontrabass als auch die tiefen Töne des Flügels im fetten Sound der Bassdrum verloren.
Doch von vorn: Tim Allhoff, Newcomer auf der deutschen Jazzszene, im vergangenen Jahr mit besagtem Nachwuchspreis ausgezeichnet und seither von großen Erwartungen begleitet, hat eine neue CD aufgenommen. In der Besetzung ist es beim Trio geblieben, auch die Mitmusiker sind dieselben wie auf der ersten CD „Prelude“ – Andreas Kurz am Bass und Bastian Jütte am Schlagzeug. Für seine Art von Musik, so Allhoff im DAZ-Interview vor dem Konzert, könne er sich „keine bessere Formation vorstellen“ – im Laufe vieler Konzerte sei „eine sehr enge Verbindung“ entstanden. Das konnte man am Samstag auch in der Brechtbühne erleben – hier stellte das Trio die neue CD „Hassliebe“ vor.
Die neue Scheibe ist vom kommenden Freitag an im Handel und unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht von der Vorgängerin: Wie auch bei der ersten Platte wurden die Songs innerhalb weniger Tage im Studio eingespielt, doch diesmal folgte eine „sehr lange“ Postproduktion, in deren Verlauf Allhoff mit und auf Synthesizern zu spielen begann. Was Allhoffs Kompositionen und die Leistungen seines Trios anbelangt, so wäre diese Ergänzung nicht notwendig gewesen. An manchen Stellen wird der Sound durch die nachträglichen Hinzufügungen deutlich satter, auch Cello, Klarinette und Fagott hat Allhoff für den Song „Hamburg“ als durchaus hörenswerte Soundbereicherung dazuspielen lassen. Schade, dass diese Instrumente nur untermalenden Charakter haben – ihren Stimmen mehr Eigenständigkeit zu geben, wäre mutiger gewesen und hätte noch mehr Farbe gebracht.
„Der Druck ist größer geworden“
Mag sein, dass die Experimente mit neuen Klängen auch dem Druck des ECHO geschuldet sind. Allhoff gibt zu, dass Druck von außen mittlerweile eine größere Rolle spiele bei seiner Arbeit: „Das ist wie, als der FCA in die erste Bundesliga aufgestiegen ist: Jetzt schauen und hören plötzlich alle zu.“ Allzu sehr möchte Allhoff sich von diesem Rummel allerdings nicht beeinflussen lassen: „Es ist wichtig, sich davon nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen – schließlich ist das ja alles nicht real!“ Ein bisschen real aber schon: Immerhin haben sich dem Trio in diesem Jahr Tore geöffnet, die anderen verschlossen bleiben. Im Neuburger Birdland-Jazzclub hat das Allhoff-Trio gastiert, ebenso bei den Ingolstädter Jazztagen, dem Rheingau-Festival und im Berliner „A-Train“, auch in Frankreich und der Schweiz war man, im kommenden Jahr steht Belgien auf dem Tour-Plan.
Stilistisch jedenfalls habe sich viel getan innerhalb der letzten zwölf Monate, gibt Allhoff zu. „Abwechslungsreicher“ sei die neue Platte, man könne deutlich hören, „dass wir keine Jazz-Nerds sind, sondern vieles mögen, von den Beatles bis zu Radiohead.“ Und auch „grooviger“ sei seine Musik geworden: „Der Titelsong beispielsweise besteht nur aus drei Akkorden.“ Auf der CD hat das allerdings andere Konsequenzen als auf der Bühne: „Hassliebe“ ist eine differenzierte, ausgefeilte, fein komponierte Jazzplatte, die erneut Allhoffs große Virtuosität und das kongeniale Zusammenspiel mit seinen Mistreitern zur Geltung bringt. Sie macht Spaß, sie klingt wunderbar, sie swingt und groovt.
Ein unglaublicher Fundus an Licks und Tricks
Auf der Live-Bühne hat das nicht ganz so perfekt funktioniert, weil sich die Band da zu sehr auf das „groovende“ Element verlegt hatte. Zu viele Stücke beschränkten sich zumindest im Mittelteil auf eine bescheidene Akkordstruktur, zu der man es heftig krachen ließ. Die erwähnten Sound-Schwierigkeiten führten dazu, dass man den auf der CD erwähnenswert warmen Bass, klug gezupft im Einklang mit und im Kontrapunkt zu den anderen Instrumenten – dass man diesen Bass kaum mehr wahrnehmen konnte. Stattdessen lieferten sich Allhoff und Schlagzeuger Jütte wahre Technikschlachten. Jütte verfügt über einen unglaublichen Fundus an Licks und Tricks und über ein geradezu schlafwandlerisches Rhythmusgefühl – beides zusammen erlaubt es ihm, ganze Sequenzen lang so konsequent den Rhythmus zu verleugnen und zu konterkarieren, dass dem Zuhörer fast schwindelig wird. Wenn Jütte dann plötzlich wieder „straight“ dabei ist, bleibt unerklärlich, wie er’s geschafft hat.
Allhoff hüpft währenddessen unruhig auf dem Klavierstuhl, lässt manchmal sekundenland die Rechte über der Tastatur hin und her schweben, ohne je anzuschlagen, trommelt mit den Schuhen die Achtel unterm Stuhl und glänzt dabei mit riesigen Arpeggien über die ganze Tastatur, mit hämmernd enervierender Akkordbegleitung, mit phantastischen Improvisationen weit jenseits der drei Grundakkorde. Vielleicht war das dann einfach ein wenig zu viel des Guten. Zusammen mit der sehr hörenswerten „Hassliebe“-CD aber ergab der Abend das Bild eines hochbegabten Tim Allhoff auf der Suche nach seinem Stil und seinen Grenzen. Man darf sicher sein, dass das bisher Erreichte dabei nur eine Zwischenstation auf sehr, sehr hohem Niveau ist.
Erste Eindrücke von der CD und weitere Hörbeispiele gibt’s hier:
» http://www.youtube.com/watch?v=zLu6iTADwmI