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Dienstag, 08.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Zwischen Sarkasmus und Kassandra

Brechtfestival: neue politische Lyrik im Café Viktor

Von Frank Heindl

Stan Lafleur (Foto: Kirsten Bohlig)

Stan Lafleur (Foto: Kirsten Bohlig)


Spannend, nachdenklich, lustig und gar nicht aggressiv – so präsentierten sich vier Lyriker der Gegenwart am Mittwochabend im „Café Viktor“ im Bismarckviertel. Vier Protagonisten der politischen Lyrik – im Rahmen des Brechtfestivals sollten sie aufzeigen, wie man heutzutage politisch ist, wenn man Dichter ist. Die Augsburger Lyrikerin Lydia Daher präsentierte in bekannt schnodderiger Weise vor leider nicht sehr viel Publikum als ersten den Kölner Stan Lafleur, der sich selbst nicht allzu ernst nahm und gleich mal ganz brechtisch die eigene Erzählhaltung reflektierte: „Das soll Nachdenklichkeit vermitteln, was ich hier tue“. Schwer atmend und Weizenbier trinkend arbeitete sich der 42jährige durch seine Werke, verschonte das Publikum vor seinen Kampfhundgedichten und widmete sich stattdessen der Frage, was denn am Fußball politisch sei. Nach dem Spiel sieht er „überall auf den Straßen ausgespuckte Kaugummis, an denen noch Kommentare kleben“ und bei einem seiner „Blicke in den Himmel“ registriert er: „Überall Kameras, überall dieser lustvolle Umgang mit der Unterhaltungsindustrie.“ Bei Lafleur findet sich das Politische oftmals im Sarkastischen – beinahe unmerklich begleitet von eindrücklicher Rhythmisierung, manchmal und wie aus Versehen kommt ihm sogar ein kleiner, verschränkter Reim unter, kunstvoll versteckt und formvollendet unvollständig.

„Es muss ein Kuckuck durch Deutschland gehen“

Tom Schulz

Tom Schulz


Der gebürtige Ostdeutsche Tom Schulz lebt seit drei Jahren in Augsburg und hat unter anderem eine Anthologie politischer Gedichte herausgegeben. Auch seine politischen Gedichte nähern sich ihren Themen mit der Skepsis der Ironie, des Sarkasmus, der Parodie. „Abends im Lidl steht die Arbeiterklasse an“ heißt es beispielsweise, und Ex-Bundespräsident Roman Herzog darf sich in der Zeile „es muss ein Kuckuck durch Deutschland gehen“ wiederfinden – der „Ruck“, der hier ausgespart wurde, landet im Märchen: „Ruckedigu, Blut ist im Schuh“. „Ich suche Worte zur Wundversorgung“, heißt es in einem Gedicht – das könnte man programmatisch auffassen: Brechtsche Klassenkampflyrik kann man heute nicht mehr machen, beklagt stattdessen die eigenen Wunden und die der anderen, ohne noch Lösungen präsentieren zu wollen. Und verehrt doch jene, die Stellungnahmen wagten. Thomas Brasch etwa kommt in einem Gedicht von Schulz vor als der Dichter mit „stets Handgranaten im letzten Satz“.

Abgesang ans dichterische Pathos

Björn Kuhligk

Björn Kuhligk


Danach ist Björn Kuhligk dran. Auch er hat gelernt, Texten zu misstrauen – sogar den eigenen. Zum Beispiel wenn er über „zwei tote Katzen, die im Graben liegen“ handelt. „Das ist gelogen“, heißt der nächste Satz, ein knallharter Abgesang an das dichterische Pathos, das so gern Partei ergreifen möchte für die geschundene Kreatur. Auch bei ihm viel Sarkasmus, viel Ekel vor der Welt, in der man die Würmer der Verwesung unter der Straßendecke wühlen hört und in der doch alle Fragen unbeantwortet bleiben. Was haben wir dem Untergang denn entgegenzusetzen? „Ja, was?“, fragt das Gedicht zurück. Das wäre Resignation, wenn es nicht so ätzend, so angriffslustig, so scharf daherkäme.

Monika Rinck (Foto: Ute Rinck)

Monika Rinck

(Foto: Ute Rinck)


Monika Rinck ist von diesen vier Dichtern am weitesten weg von politisch „verwertbarer“ Aussage. Sie erklärt erst mal, dass dem Begriff Kapitalismus etymologisch der Schafskopf zugrunde liegt – und damit scheint schon das meiste gesagt. Monika Rinck liest an diesem Abend am konzentriertesten, am ausdrucksstärksten, am nuanciertesten, wirkt am kleinen Tischchen mit der runden Lampe zeitweise wie eine Wahrsagerin, wie Kassandra. Und ihre Texte sind die am meisten verdichteten, am meisten verschlüsselten des Abends. Sie geht auch am radikalsten mit der Aufgabe um, die das Festival den Autoren gestellt hatte: Sie sollten sich dichterisch mit Brechts Hollywood-Elegien auseinandersetzen. Rincks Antwort ist ein wiederholt skandiertes „stop watching those movies!“ – hört auf, euch diese Filme anzusehen!