Zwischen Himmel und Hölle gibt es keinen Unterschied
Warum für den FC Augsburg im fünften Bundesligajahr die Welt nicht aus Himmel und Hölle besteht
Von Siegfried Zagler
Am vergangenen Donnerstag zeigte der FC Augsburg im fünften Jahr seiner Bundesligazugehörigkeit sein vielleicht bestes Spiel – nicht in der Bundesliga, sondern beim ersten Europa-League-Auftritt in Bilbao, wo bekanntermaßen die Trauben selbst für Real Madrid und dem FC Barcelona hoch hängen. Im Estadion San Mames konnten sowohl die Athletic-Fans als auch die FCA-Fans nicht glauben, was sie sahen: Der Underdog aus der Fußballprovinz brachte ein Urgestein der Primera Division dergestalt in Schwierigkeiten, dass man ohne Weiteres zur Ansicht hätte neigen können, dass eine deutsche Spitzenmannschaft bei den Basken zu Gast sei.
Der FCA spielte nämlich in der ersten Halbzeit in der Tat wie eine Spitzenmannschaft: Altintop, Matavz und Ji liefen konsequent die ballführenden Aufbauspieler an, Kohr und Baier standen höher als sonst und die intensive Laufarbeit der Augsburger setzten die Basken so stark unter Druck, dass sie zahlreiche individuelle Fehler begannen, die der FCA mit schnellem Umschaltspiel zu bestraften trachtete: Klare Angriffspläne, genaue Zuspiele, Flankenläufe bis zur Grundlinie, schnelle Flügelwechsel, verzögertes in die Mitte ziehen, erfolgreiche eins-zu-eins Dribblings und alles stets mit Zug zum Tor waren die Merkmale des Augsburger Offensivspiels im sechsten Pflichtspiel der noch jungen Saison. Der FCA agierte so, als habe es die fünf vorhergehenden Partien nicht gegeben, in denen der FCA im Angriff wie ein Absteiger vor sich hinstolperte. Hätten die Augsburger in Bilbao ihr Manko abgelegt, auch die besten Torchancen nicht zu nutzen, hätten sie die Basken mit einem hohen Auswärtssieg demütigen können. Nach hinten agierte der FCA ebenfalls sehr solide, doch die Abwehr stand im Gegensatz zu den Angriffsreihen des FCA ohnehin nicht im Fokus der Kritik.
Wie lässt sich aber die unglaubliche Steigerung des Offensivspiels erklären? Der Kern des „Wunders“ ist bei der Achse Matavz-Ji-Altintop-Esswein zu verorten. Ji und Esswein gelang es das Spiel der Spanier mit Pressing in die Mitte zu ziehen, wo Kohr, Baier und Altintop die Räume undurchdringbar eng hielten. Im Gegensatz zu allen anderen Spielen nahmen Esswein und Ji mit dem Ball Tempo auf und sorgten mit ihren Flankenläufen bis zur Grundlinie für Räume in der Mitte. Feulner sorgte zusammen mit Altintop auf der linken Angriffsseite für ein bisher nicht gesehenes Kombinationsspiel mit Zug zum Tor. Baier zeigte, dass er ein Spiel nicht nur verlangsamen kann, sondern auch aufbauen. Er stand etwas höher als in den Ligaspielen und sorgte für Ideen und Ballsicherheit. Zu Matavz lässt sich sagen, dass er sehr oft optional richtig stand, aber den Ball zu wenig forderte. Hätte er seinen Flugkopfball nach tollem Flankenlauf von Ji versenkt, hätte er der Held des Spiels werden können. Matavz ist nicht nur wegen seines Kopfballspiels eine Versprechung, an die man noch glauben sollte. Das Gleiche gilt für Esswein, der zwar sein bestes Spiel im FCA-Trikot zeigte, aber eben seine Torchancen nicht nutzen konnte.
Als man in der zweiten Halbzeit den Eindruck bekam, dass die Spanier die bessere Physis haben, wechselte Weinzierl früh aus. Der Wechsel Koo für Altintop war nach dem Ausgleich nachvollziehbar. Ein Rückfall aber dann, als Weinzierl wieder in seinen alten Fehlgedanken verfiel, Ji als Stoßstürmer zu versuchen: Werner kam für Matavz, Ji musste in die Mitte. Damit war der Spielfluss auf der linken Seite dahin. Wenig später kam Trochowski für Kohr: Ebenfalls nachvollziehbar, wäre Trochowski richtig fit. Für die Option einen Freistoß zu versenken, einen noch nicht auf Leistungshöhe befindlichen Spieler zu bringen, muss an dieser Stelle kritisiert werden. Dennoch sollte man Markus Weinzierl zu seiner Startelf-Idee gratulieren. Sie zeigte in beinahe jeder Hinsicht, also technisch wie kämpferisch, fast eine Stunde Spitzenfußball.
Dumm ist nur, dass man beinahe sicher sein kann, dass davon kaum etwas im Heimspiel am morgigen Sonntag (17.30 Uhr) gegen Hannover zu sehen sein wird. Es ist nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich die Serie des FCA fortsetzt, die bereits in der Rückrunde der vergangenen Saison ihren Beginn nahm, nämlich nach einer klasse Leistung gegen einen vermeintlich stärkerer Gegner, einen Leistungseinbruch gegen einen vermeintlich schwächeren Gegner folgen zu lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei den 96ern um eine Art Angstgegner der Augsburger handelt. Von acht Bundesligaspielen gewann der FCA keins. Fünf Niederlagen und drei Unentschieden stehen zu Buche. Bisher erzielten die Augsburger von allen Mannschaften in der Liga die wenigsten Tore, nämlich zwei, beide auswärts, zuhause somit null! – Muss der FCA das Spiel gegen eine defensiv eingestellte Mannschaft machen, sieht er von allen Bundesligamannschaften am schlechtesten aus. Die Vorzeichen stehen schlecht. Sollte der FCA dieses Spiel verlieren, befindet er sich abgekoppelt vom Mittelfeld bereits nach fünf Spieltagen bis zur Hüfte im Abstiegskampf.
Wähnte man sich in Bilbao noch auf einem scharfen Ritt über den Wolken, dem Himmel so nah, steht man am Sonntag im heimischen Stadion vor dem Abgrund, der direkt in die Hölle des Alltags, also in den Abstiegskampfs führt. Eine Niederlage gegen die Niedersachsen, die ebenfalls schlecht in die Saison gestartet sind und wie der FCA nur einen Punkt auf dem Konto haben, wäre nach den beiden unglücklichen Auswärtsniederlagen in München und Bilbao, mehr als nur ein Menetekel für den weiteren Saisonverlauf. Eine Niederlage gegen Hannover 96 wäre für die Augsburger eine Katastrophe, weil sie im Kopf, wo alle Sportler am verletzungsanfälligsten sind, verheerende Schäden anrichten würde. Der FCA muss einen “Bilbao-Effekt” generieren. Damit ist die Einsicht gemeint, dass es für die Kicker weder Himmel noch Hölle gibt, weder Feiertag noch Arbeitspensum, weder Kür noch Pflicht. Nur so lässt sich die Auf-und-Ab-Serie überwinden. Bilbao hat die Klasse des Augsburger Kaders ans helle Licht gehoben. Dennoch ist Bilbao ist kein Himmel, Hannover keine Hölle. “Jedes Spiel ist gleich wichtig und vollkommen bedeutungslos”, dieser Satz stammt von Dettmar Cramer, der mit seiner tiefen Lesart des Spiels der letzte Buddha unter den Fußballtrainern war.