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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Zweimal ins gleiche Knie geschossen

Kommentar von Siegfried Zagler

Heraklit, ein populärer Vorsokratiker, dessen Credo „alles fließt“ nicht selten als Einleitung für vielerlei Hirngespinste ins Feld geführt wird, gehört möglicherweise zu den ersten Gestalten der Philosophiegeschichte, deren Wirken eine philosophische Schule nach sich zog. Vielleicht sollte Horst Seehofer sich eben mit dieser Schule der Harmonie-Theoretiker aus der Zeit, die wir heute „die hellenistische“ nennen, beschäftigen, bevor er sich ähnlich aussichtslos wie Sisyphos an die Arbeit macht, die Augsburger CSU zu befrieden. „Aus Zwietracht entsteht Eintracht, aus Missklang entsteht die höchste Harmonie“, so Heraklit, der das Zeug gehabt  hätte als Hausphilosoph der Augsburger CSU Karriere zu machen, da, so Heraklit, „die verborgene Harmonie besser ist als die offensichtliche“. Letzteres könnte sich Bernd Kränzle, dessen politisches Lebenswerk derzeit auf dem Prüfstand steht, auf die Innenseite seines rechten Unterarms tätowieren lassen. Sozusagen als Zauberspruch gegen die bösen Geister der Gekränkten, die der CSU-Legende das Hosenbein bereits bis zur Kniekehle weggeknabbert haben.

Pro Augsburg hat sich in Ton und Inhalt flach über Hochkultur geäußert

„Niemand steigt zweimal in den gleichen Fluss“, das ist auch von Heraklit, der damit sagen wollte, dass das Leben in seiner Vielfalt nicht zu berechnen ist und Erkenntnis- wie Erfolgsmodelle nicht für die Ewigkeit bestimmt sind. Ob Seehofers Moderationsfähigkeiten ausreichen, um aus den öffentlichen Verwerfungen der CSU zumindest eine „verborgene Harmonie“ zu schmieden, wird sich zeigen. Besser gesagt: Wird sich nicht zeigen, sonst wäre sie ja nicht verborgen, also nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, wie zum Beispiel die Pressemitteilung von der Wählervereinigung Pro Augsburg, deren Fraktion sich in Ton und Inhalt ausgesprochen flach über so komplizierte Dinge wie Hochkultur und die Augsburger Grünen ausgelassen hat. Diese Pressemitteilung sei ein Entwurf gewesen, der so nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen war. „Niemand steigt zweimal in den gleichen Fluss“, ist in der Tat ein großartiges Bild für den endlosen Strom der Zeit, dem man ausgeliefert ist, wie die Dinge der Schwerkraft. Womit auch gesagt ist, dass im Fluss des Lebens niemand in der Lage ist, zweimal das Gleiche zu tun.

Weit von dem entfernt, was man politische Kultur nennt



Außer Sisyphos und Pro Augsburg, sollte man hinzufügen, letztere sind sogar in der Lage, sich zweimal in das gleiche Knie zu schießen. – Für wen, wenn nicht für die Öffentlichkeit sollte eine Pressemitteilung, die von der Fraktionsvorsitzenden Schabert-Zeidler und dem zweiten Stellvertreter der Fraktionsvorsitzenden unterschrieben wurde, vorgesehen sein?

Mit der ersten Pressemitteilung zum Festival „City of Peace“ hat sich Pro Augsburg weit davon entfernt, was man im Allgemeinen „politische Kultur“ nennt. Mit der zweiten (also mit der nachgereichten Entschuldigung) hat sich Pro Augsburg nicht weniger weit davon entfernt, was man im Allgemeinen „politische Glaubwürdigkeit“ nennt. In Augsburg gefällt es der Stadtregierung allem Anschein nach, dem Regieren noch die Oppositionsarbeit nachzuschieben, und zwar dergestalt selbstmörderisch, dass die richtige Opposition vor lauter Staunen den Mund nicht mehr aufbekommt.