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Dienstag, 19.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Zum Teufel mit dem Turamichele

Das Turamichele ist wieder da. Ein unwürdiges Figurenspiel aus einer finsteren Zeit. Es symbolisiert den Kampf des Guten gegen das Böse. Das trostlose Kasperle-Theater im Sinne öffentlicher Hinrichtungen des Mittelalters soll bereits 1526 Premiere gefeiert haben. Nach Eingliederung der Reichsstadt Augsburg in das Königreich Bayern (1806) wurde der Brauch von der bayerischen Regierung verboten, da man das animalische Gemetzel für prähistorisch und im Sinne der Aufklärung abträglich hielt. Das Verbot wurde 1822 wieder aufgehoben. „Alle Kinder aus Augsburg und der Region können sich freuen: Am 25. und 26. September begrüßt sie das Turamichele stündlich zwischen 10 und 18 Uhr aus seinem geschmückten Fenster im Perlachturm“, so die Stadt Augsburg auf ihrer Homepage. Mit Kultur und Bildung oder einem Wertekanon der Aufklärung hat das barbarische Spektakel nichts zu tun, wie DAZ-Autor Bernhard Schiller meint.

Kommentar von Bernhard Schiller

Ein hellhäutiger, männlich-jugendlicher Charakter dominiert einen dunklen, animalischen Untermenschen und metzelt diesen – ohne auch nur mit der Wimper zu zucken – ab. Das ist erstens blanker Rassismus, der in der mystischen Überhöhung eines metaphysischen Kampfes (Gut gegen Böse) wie jeder fundierte Rassismus seinen pseudoreligiösen Überbau hat. Zweitens zählt die in dem dualistischen Weltbild vom Turamichele verkörperte Macht über Leben und Tod und die bedingungslose Ausübung von Gewalt zu den kulturellen Zeichen des Faschismus.

Bis auf den heutigen Tag macht sich die Stadt Augsburg in Komplizenschaft mit dem Stadtmarketing, den Stadtwerken und angeschlossenen Unternehmen ein seit Jahrtausenden fortgeschriebenes, Tötungsritual aus völlig profanen Motiven zu eigen und verpasst ihm einen scheinheiligen Anstrich.

Überall in Deutschland ist quer durch alle Schichten und Altersgruppen eine Zunahme der Gewalt zu notieren. Der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann äußert sich vor einiger Zeit im Interview mit dem Magazin „Der Spiegel“ zum Phänomen der Gewaltzunahme an Grundschulen. Grundschüler würden eher körperlich gewalttätig, weil sie „noch nicht gelernt haben, sich in Konfliktsituationen anders zu äußern.“

Gewalt- und Konfliktforschern sind solche Zusammenhänge seit langer Zeit bekannt. Wer Gewalt immer wieder als normales Mittel zur Konfliktbeseitigung erlebt, der wendet selbst auch eher Gewalt an. Dabei ist das persönliche soziale Umfeld, vor allem die Familie, von maßgeblichem Einfluss. Aber auch die Art und Weise der Darstellung von Gewalt in Medien trägt zur Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen bei. Vor allem wenn die Darstellung unreflektiert aus der Täterperspektive erfolgt.

Um den Risiken der Medienverwahrlosung zu begegnen, kommt laut bayerischem Kultusministerium der Medienerziehung an Schulen besondere Bedeutung zu. Im von der Landesbehörde herausgegebenen „Gesamtkonzept für die politische Bildung an bayerischen Schulen“ wird seit geraumer Zeit die „Reflexion der durch Medien vermittelten, gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit“ gefordert.

Weiter heißt es dort: „Unsere Lehrerinnen und Lehrer (…) sind Vermittler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und geben unseren Kindern und Jugendlichen wichtige Orientierungshilfen“. Das Kultusministerium begreift politische Bildung dabei als ein „übergeordnetes Bildungsziel“. Denn die Kinder „sollen sich in unserer komplexen Welt urteilssicher und verantwortungsvoll orientieren können.“ Sie sollen „politische und religiöse Toleranz üben“.

Auch beim Turamichele-Schauspiel handelt es sich um eine mediale Darstellung, die von den meisten Medien gehypt wird – spätestens seit es via YouTube in die Wohn- und mittels Unterrichtsmaterial in die Klassenzimmer eindringt. Welche gesellschaftliche Wirklichkeit vermittelt es? Welche politische Wirklichkeit vermittelt es? Vermittelt das Turamichele Toleranz? Vermittelt es Verantwortung? Welche Orientierung vermittelt es?

Der einzige Punkt, in dem das Turamichele-Schauspiel den ethischen Anforderungen des Kultusministeriums gerecht werden könnte, ist der der Urteilssicherheit in einer komplexen Welt: „Ich bin gut, Du bist böse. Ich mach dich platt.“ Das ist eine falsche unterkomplexe Urteilssicherheit, die weder das Bayerische Kultusministerium noch die Verantwortlichen der Stadt Augsburg fördern wollen.

Das Turamichele-Erbe an das Stadtmarketing abzugeben, hat in einen dunklen Wald geführt. Mit einem aufgeklärten Wertekanon, mit Bildung oder Kultur hat das prähistorische Schauspiel nichts zu tun. Höchste Zeit, dass aufgeklärte Geister dagegen vorgehen, dass der Freistaat dem Irrsinn ein zweites Mal ein Ende setzt.