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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Zu Brechts Lyrik tanzen – geht doch

Die Augsburger Band „Misuk“ mit Brechtsongs auf CD und im Weißen Lamm

Von Frank Heindl

Solidarität, zeitgemäß beim Grillen im Siebentischpark – aus dem Video zum Brechtsong.

Musik im traditionellen Sinne wollte Bertolt Brecht nicht haben – vor allem nicht in seinen Theaterstücken und nicht zu seinen Texten. Musik, das bedeutete die von ihm kritisierte Gefühlsduseligkeit, bedeutete heftige Emotionen statt kühler Ratio. Jedes Geräusch könne Musik sein, so der Dichter, und daher gehörten Geräusche in die Musik. Die wollte er dann aber nicht mehr Musik nennen, sondern „Misuk“. Die Augsburger Band gleichen Namens stellt am Freitagabend im „Weißen Lamm“ ihr erstes Album vor. Es trägt den Titel „Misuk“ und kommt trotzdem ganz ohne Geräusche aus.

Ganz zu Anfang stand 2009 die Idee des Musikers Girisha Fernando, das Augsburger Brechtfestival mit Brecht-Interpretationen heimischer Musiker zu bereichern. Dachte man anfangs noch daran, die „traditionellen“ Brechtsongs mit ihren hauptsächlich von Kurt Weill, Hanns Eisler oder Paul Dessau komponierten Melodien zu interpretieren, kam man wenig später dazu, Brechts Texte mit neuer Musik zu unterlegen. Dass die Band sich dieser Aufgabe mit großem Mut und jugendlicher Unverfrorenheit näherte, lässt sich schwer bestreiten. Sängerin Eva Gold gibt unumwunden zu, sie habe damals nicht einmal viele Texte von Brecht gekannt, von der Musik ganz zu schweigen. Unbelastet setzte man sich zusammen, ließ sich von Brechts Lyrik faszinieren. „Wir sind ganz intuitiv an die Texte herangegangen“, erzählen Gold und Fernando nahezu unisono, „und an denen haben wir auch überhaupt nichts verändert.“

Die Interpretation einer neuen Generation

An der Musik umso mehr – und das, stellt man nach mehrmaligem Hören der Scheibe fest, nutzt Brecht weit mehr, als es ihm schadet. Bestes Beispiel: das „Solidaritätslied“, einstmals von Hanns Eisler vertont und in dem Film „Kuhle Wampe“ verwendet, der von den Nazis sofort verboten wurde. Was „Solidarität“ damals bedeutete, ist heute nur noch schwer zu vermitteln. Es war ein Schlagwort in einer vom Klassenkampf geprägten Zeit, ein Kampfbegriff im Widerstand gegen die Nazidiktatur, ein Wort, in dem die ganze Misere der Zeit mitschwang, inklusive des Versagens eben dieser Solidarität – Sozialdemokraten und Kommunisten bekämpften sich, bis es zu spät war.

„Misuk“ wagt es, die Historie Geschichte sein zu lassen – das ist hart, aber legitim. Was bedeutet Solidarität heute?, fragten die Musiker. Eva Golds Antwort: „Das Solidaritätslied hat was Verträumtes.“ Was zunächst naiv klingt, hat viel für sich: Es ist die Interpretation einer Generation, die politischen Großkonzepten misstraut und ihre eigenen Konzepte aus dem Pop holt. Solidarität, das ist ein großes Gefühl, das ist ein Park voller Menschen, die gemeinsam feiern. Folgerichtig endet das Video zum Stück (vimeo.com/47227744) nach Kamerafahrten durch den leergefegten frühmorgendlichen Plärrer, einsame Flure, menschenlose Supermarktgänge im Siebentischwald unter grillenden, gut gelaunten Menschen. Ein Traum also von unbeschwerter, selbstverständlicher, fröhlicher Einigkeit. Die Musik dazu ist eine Mischung aus Indie-Pop, New Wave und Elektronik-Sound: „Wir sind Eklektiker“, sagt Girisha Fernando, sprich: von allem ein bisschen.

Das „Solidaritätslied“ als poppiger Ohrwurm

Wenig erstaunlich: Die „Misuk“-Fassung setzt sich schnell im Gehör fest, das Solidaritätslied ist ein echter Ohrwurm. Das gilt auch für weitere Stücke der CD: Die Musik spielt sich meistens im Bereich von Zwei- bis Vierakkord-Schemata ab, rhythmisch unterstützt von Fernandos Gitarren und Bässen, den Beats von Drummer Stefan Brodte und Lilijan Waworkas Keyboards, die mit Mellotron- und Orgelsounds die meist eher dunkle Ausstrahlung der Stücke nachhaltig prägen. Eva Gold gibt vor diesem Hintergrund mit ihrer teils mädchenhaften, teils angerauten Stimme eine unverkennbare Aura. Das ist, um ein paar Beispiele zu nennen, manchmal einfach schön, wie im – wiederum: träumerischen – „Nachkriegsliedchen“, das ist resignativ-erotisch wie in der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“, und das ist einmal mehr überraschend anders, wenn beim „Surabaya-Johnny“ das beleidigte lyrische Ich zwar anklagend, aber eben nicht verbittert und geschlagen, sondern mit der Einsicht in eigene Schwäche daherkommt – locker swingend rechnet da eine ab, die weiß, dass das Leben weitergeht, wenn der Verflossene erst mal weit genug weg ist. So relaxt hätte zu Brechts Zeiten kaum eine Betrogene ihrem Verführer nachgetrauert.

Was aber ist nun mit der „Misuk“? Anders gefragt: Kommt die Band Brechts musikalischer Auffassung nah? Man muss da wohl mit einem glatten Nein antworten. Den Kompositionen fehlt der didaktische Wille, fehlt der Verfremdungseffekt, fehlt die intellektuelle Distanz. Ein modernes Gewand für Brechts Texte, das lernt man bei genauem Zuhören von dieser Platte, kann nur ein Gewand sein, das den Texten ihre Eigenständigkeit zurückgibt. Man kann über sie nachdenken oder einfach dazu mitsingen und tanzen. Im Idealfall klappt beides: Brechts Lyrik und „Misuks“ Musik sind beide stark genug dafür. Und schließlich: Wenn man tagelang das „Lied vom Schuh“ vor sich hin summt, kann ein gewisser Lerneffekt gar nicht ausbleiben.

Die CD „Misuk“ gibt’s seit 31. August offiziell im Handel und zum Download. Informationen dazu unter http://misuk-musik.de/temp/. Live gibt’s „Misuk“ am Freitag, 21. September um 21 Uhr im „Weißen Lamm“ in der Ludwigstraße.