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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Zauberhafte Kopien: Die opulente Pracht des Historismus in Augsburg

Nach der Dokumentation von Jugendstilbauten legt Karl Fieger im Wissner-Verlag nun einen Band über Augsburger Gebäude und Details im Stil des Historismus vor

Von Halrun Reinholz

Historismus“ –  die Bezeichnung impliziert bereits ein leichtes Naserümpfen. Im 19. Jahrhundert und auch gut in die Jahrhundertwende hinein war es beliebt, Stilrichtungen der Vergangenheit aufzugreifen und sie mit den Mitteln der Neuzeit in Szene zu setzen. Die „Neos“ waren an der Tagesordnung – Neo-Romanik, Neo-Gotik, Neo-Renaissance, Neo-Barock. Die Moderne der Nachkriegszeit schämte sich dieser „Plagiate“, sie wurden auch von der Kunstgeschichte oft nicht ernst genommen. Kopien eben. Im besten Fall ignorierte man sie, oft wurden sie aber auch verändert und angepasst. Karl Fieger hat sich die Mühe gemacht, etliche der zahlreichen Augsburger Bauten im Stil des Historismus sachgerecht zu dokumentieren und vor allem mit Hilfe von prachtvollen Fotos das Reizvolle und Kreative an diesen vermeintlichen Plagiaten zu zeigen. Mit Akribie und Sachkenntnis liefert der Autor zunächst eine Übersicht über die Augsburger Bauwerke im Stil der Epochen: Klassizismus, Neugotik, Neurenaissance, Orientalismus, Neubarock, Neurokoko oder Neuromanik – für all diese Stilrichtungen finden sich eindrucksvolle Beispiele im Stadtbild, und nicht selten treten die Stile auch gemischt auf. Mit Staunen stellt man fest, dass vieles, was einem in der Stadt vertraut ist, in diese Kategorie der neuzeitlich kopierten Stile gehört. Zum Beispiel die sehr historisch anmutende Giebelfront in der Maxstraße mit dem „Capitol“ oder so manches der dekorativen Häuser in der Karolinenstraße – alles neuzeitlich „auf alt gemacht“. Und dennoch kunstvoll, prachtvoll und passend. Meinen wir heute, weil es uns vertraut ist. Und weil es noch vorhanden ist. Denn vieles, das weist Karl Fieger in seinem Begleittext auch nach, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Sinne des nüchternen Zeitgeistes nicht nur schamhaft „purifiziert“, sondern schlicht abgerissen. Schmerzhaftes Beispiel für viele Augsburger: der „Kaiserhof“ an der heute noch als solche bekannten Kreuzung Halder-/Hermanstraße

Silbermann-Villa.  Foto: (c) Karl Fieger

Silbermann-Villa. Foto: (c) Karl Fieger


Mit seinem Buch will der pensionierte Geschichtslehrer die Augsburger betontermaßen anregen, „mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen“, um das Reizvolle an den historistischen Gebäuden im Zusammenhang und im Detail zu sehen. Doch trotz der bildlichen „Beweisführung“ legt er Wert darauf, die im Einzelnen gezeigten Gebäude kunsthistorisch einzuordnen, die Stilvielfalt anhand von Details aufzuzeigen. Nach der ausführlichen Übersicht im ersten Kapitel widmet er sich den Einzelaspekten: besonderen Straßenzügen wie Konrad-Adenauer-Allee und Maximilianstraße, den Hessing-Bauten als typisches Beispiel für Stilpluralismus, den für das 19. Jahrhundert bei Zweckgebäuden typischen Ziegelbauten (in Augsburg beispielsweise Fabrikschloss oder Prinz-Karl-Kaserne) und nicht zuletzt den prachtvollen Direktorenvillen. Ein eigenes Kapitel richtet das Augenmerk auf liebevoll zusammengetragene Details außerhalb oder am Rande der Architektur – Skulpturen auf Friedhöfen, Fassadenfiguren, Gartengebäude, Glasfenster – aber auch Gebrauchsgrafik, religiöse Kunst oder profane Malerei im Stil des Historismus. Ein für Augsburg typisches Beispiel des Historismus ist die Ornamentkunst der Stoffgestaltung, die im NAK-Archiv des Staatlichen Textil- und Industriemuseums dokumentiert ist. Diese ist zwar nicht im Stadtbild präsent, dennoch bezieht sie Karl Fieger in den gezeigten Kosmos mit ein und bringt zwei Beispiele daraus als Vor- bzw. Nachsatz des Buches mit den entsprechenden Erläuterungen.

Balkondurchblick Foto: (c) Karl Fieger

Balkondurchblick Foto: (c) Karl Fieger


Die Beweisführung des Autors, dass der Historismus seinen schlechten Ruf zu Unrecht hat, ist entwaffnend, weil sie vor allem mit Hilfe der hervorragenden Bilder überzeugt. Wie bei den Jugendstilbauten hat Karl Fieger wieder selber fotografiert, nur einige historische Aufnahmen ergänzend beigefügt. So entstand im Wissner-Verlag nicht nur ein umfassendes und lehrreiches Kompendium zum Historismus in Augsburg, sondern vor allem ein ansprechendes Bilderbuch, das Lust auf Spaziergänge „mit offenen Augen“ macht.

Karl Fieger. Historismus in Augsburg zwischen Rokoko und Jugendstil. 216 Seiten, 400 Abbildungen. Wissner-Verlag Augsburg, 24,80 Euro