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Freitag, 19.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Wortakrobatik im Kletterseil

Das Theter-Ensemble um Leif Eric Young überzeugt mit „Bahnwärter Thiel“ im City Club.

Von Halrun Reinholz

Eine ungewöhnliche Spielstätte haben sich die jungen Leute ausgesucht: Bekannt ist der City Club als Diskothek. Doch wenn man eine steile Treppe hochsteigt, kommt man in eine Art Zuschauerraum, gegen den der Hoffmannkeller ein vornehm gestyltes Etablissement ist. Aber erstaunlich: der Raum ist voll, Durchschnittsalter höchstens 30. Und eine Warteliste hat es bei allen fünf  Aufführungen der „novellistischen Studie“ von Gerhard Hauptmann  gegeben.  Es muss sich herumgesprochen haben, dass das, was nach gähnend langweiliger Schullektüre klingt, Spannung verspricht.

Leif Eric Young ist jemand, der sich Theater zum Lebensinhalt gemacht hat.  Im JTT, dem Jugendclub des Augsburger Theaters, konnte er schon früh Spielerfahrung sammeln und das Theter wurde sozusagen als Ersatz dafür gegründet – für solche, die  dem Jugendclub-Alter entwachsen sind, aber immer noch spielfreudig.  Für das aktuelle Projekt hat Leif Eric Young den epischen, durchaus sperrigen Text auf eigenwillige Weise dramatisch umgesetzt. So sieht der Zuschauer zunächst nur eine „Wand“. In der Mitte ragt der nackte Oberkörper eines Mannes aus einer Öffnung. Bahnwärter Thiel. Rechts und links von ihm, jeweils oben und unten vier Köpfe. Die bilden sozusagen den  „Chor“,  der das Geschehen kommentiert. (Bühnenbau, sehr einfallsreich, Irie jones). Erst als die „Wand“ fällt, erkennt man, dass die vier die ganze Zeit über in Klettervorrichtungen hängen.

Der Geschichte des Bahnwärter Thiel mangelt es durchaus nicht an Dramatik, doch die Spannung wird eher  langsam und dem epischen Verlauf folgend aufgebaut. Eine Herausforderung für die vier  „Chorsprecher“, die über weite Strecken anspruchsvolle Prosa synchronisiert und artikuliert vermitteln müssen. Dass dies nicht mit der Präzision von Profis gelingt, ist nachzusehen. Zumal die Rollen auch noch austauschbar besetzt sind, also derselbe Darsteller etwa mal den Thiel, mal einen Chorsprecher spielen muss. Durch den geschickten Einsatz von Musik (Nick Herrmann, auch live am Schlagzeug) und Videotechnik wird das dramatische Moment hervorgehoben – und überhaupt zum Höhepunkt gebracht. Denn die eigentliche dramatische Handlung, wo Thiel den Mord an seiner Frau und seinem Sohn begeht,  wird nur über die Musik (Exit Music – Radiohead) und das fulminante Schlagzeug-Solo  sehr  pathetisch umgesetzt.

Ein interessanter Ansatz und ein sehr ehrgeiziges Projekt für Regisseur Leif Eric Young und  die jungen Leute, die hier alle erwähnt sein sollen: Maximilian Maurer, Sabah Qalo, Jonas Graber, Mario Passow, Maximilian Meyer, Verena Gawert, Amelie Seeger, Berna Celebi, Henry  Schwegler,  Larissa Pfau. Konzentriert und mit sichtlicher Spielfreude rissen sie das  Publikum mit und ernteten stürmischen und lautstarken  Applaus von Leuten, die vermutlich nicht unbedingt regelmäßige Theatergänger sind. Und das mit einem klassischen Schullektüre-Text.  Eine Wiederaufnahme wäre sicher nicht zum Schaden  des Theter-Ensembles.