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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Wir sind die neue progressive Partei“

Das Interview mit Fritz Effenberger

Vorstandsvorsitzender der schwäbischen Piraten: Fritz Effenberger (Foto: piraten-schwaben.de)

Vorstandsvorsitzender der schwäbischen Piraten: Fritz Effenberger (Foto: piraten-schwaben.de)


Fritz Effenberger ist ein umgänglicher Typ, der – wenn er gefragt wird – als Beruf „Blogger und Journalist“ angibt. „Vielleicht bin ich bald Berufspolitiker“, so Effenberger auf einer Sitzung des Kulturrates, dem er einige Zeit als Sprecher angehörte. In einem Interview mit Marcus Ertle sieht Effenberger die Piraten in Meinungsumfragen deshalb in der Krise, weil die Institute am Nachmittag auf Festnetz anrufen sollen, also zu einem Zeitpunkt, wo Piratenwähler nicht zu Hause seien. Augsburgs Kulturreferent unterstellt er “Schwarze Kassen” und führt dabei den Kuspo-Topf ins Feld. Der 53jährige Effenberger ist das Gesicht der Augsburger Piraten, die ein Jahr vor der Kommunalwahl in Augsburg noch immer unsichtbar sind, was strategisch wohl das klügste ist. Effenberger mag ein netter Kerl sein, als Politiker ist er auf der Höhe seiner Partei, also von unheilbarer Oberflächlichkeit geschlagen. Marcus Ertle hat das mit seinem Interviewtechnik in der Neuen Szene hervorragend heraus gearbeitet. Für Manfred Seiler war das Grund genug, um dem politischen Phänomen, das die Piraten immerhin sind, auf den Grund zu gehen. DAZ-Lesern soll das journalistische Kunstwerk von Marcus Ertle nicht vorenthalten werden:

Neue Szene: Bevor wir anfangen, ganz toll bei den Piraten finde ich das mit der Transparenz.

Fritz Effenberger: Transparenz ist uns super wichtig.

Dann führen wir doch dieses Interview, dem Transparenzgedanken folgend, ohne spätere Autorisation und spätere Überarbeitung: Es gilt das gesprochene Wort.

Können wir machen, das gehört zur freien Presse, sie darf schreiben, was sie will, ob es stimmt, ist eine andere Frage.

Nehmen wir mal an, dass es stimmt. Wie fühlt man sich eigentlich als Totgesagter?

Ich fühle mich nicht totgesagt, ich finde alles super. Wir im Süden haben Spaß. Klar war die Wahl in Niedersachsen ein kurzer Schmerz, aber das hatte ja auch Gründe. Wir waren schlecht aufgestellt, zu wenige Leute, ein Flächenland, in dem es nur eine richtige Stadt gibt, der Rest ist so wie Augsburg. Hier sind wir viel besser aufgestellt und freuen uns auf die kommenden Wahlkämpfe.

Die Umfragewerte der Piraten sind aber mies.

Die Umfrageinstitute rufen nachmittags auf dem Festnetz an, da erreicht man viele Piratenwähler nicht, dazu kommt eine gewisse Fehlertoleranz nach unten.

Die gleichen Umfrageinstitute sahen die Piraten vor einem Jahr bei sieben Prozent, jetzt sind es knapp drei Prozent.

Das war einfach ein Hype.

Der jetzt offensichtlich vorbei ist.

Ich glaube, es gab eine Ernüchterung, weil viele Leute mit ihren Hoffnungen an die Piraten herantraten und merkten, dass sich gar nicht alles erfüllen lässt, was sie sich ausgemalt haben. Wir hatten zum Teil auch Spinner, die wir jetzt wieder los sind, darüber sind wir froh.

Ein Abgeordneter der Piraten hat dem Generalsekretär eine SMS mit dem Satz geschrieben „Alter, wie verstrahlt bist du denn?!“. Sind die Piraten zerstritten?

Find ich ganz normal, dass man sich so unterhält, das sind Leute wie du und ich. Heute herrscht ja das Ideal eines Politikers der nie fehlgeht, immer alles weiß, immer voll auf Kurs ist.

Der nie über eine rote Ampel geht.

Ja.

Gehen Sie über Rot?

Dauernd.

Bei der Steuer beschissen?

Eigentlich nicht.

Mal fremdgegangen?

Ich war nie verheiratet, aber noch mal zur Ausgangsfrage, wir müssen in den politischen Parteien wieder mehr streiten, auch öffentlich.

So erklärt man einen Kritikpunkt elegant zum Qualitätsmerkmal.

Das ist mein Standpunkt.

Was verzeihen Wähler eher: Streit oder Inhaltslosigkeit?

Unsere Wähler legen mehr Wert auf Inhalte und haben Verständnis dafür, dass man Ziele ausdiskutieren muss.

Da kann man ruhig mal „Arschloch“ sagen.

Ich find’s nicht nötig, aber wenn’s passiert, dann passiert’s.

Darf man sich beschweren, wenn solche Beschimpfungen an die Öffentlichkeit geraten?

Man darf Transparenz und den Schutz der Privatsphäre nicht durcheinanderwerfen, selbst Politiker haben eine Privatsphäre.

Wenn man anonym und öffentlich, wie beispielsweise im Forum einer Zeitung, Beleidigungen ausspricht, was gilt dann: die Meinungsfreiheit oder der Schutz vor Verunglimpfung?

Ich würde jemanden auf keinen Fall nur wegen einer Beleidigung im Internet verklagen, wie billig und erbärmlich ist das denn? Dafür ist das Internet doch da, um sich aufzuführen. Das Internet ist der neue Marktplatz, da benimmt man sich auch mal daneben. Auch wenn jemand im Internet Arschloch zu mir sagt, was soll’s? Wenn jemand irgendwas Inhaltliches sagt, dann kann ich dagegen was sagen, nur Arschloch ist inhaltlich zu wenig.

Wogegen würden Sie dann überhaupt vorgehen?

Gegen ganz wenig, eingreifen würde ich nur, wenn jemand völlig abdreht und zum Beispiel Morddrohungen ausspricht.

Werden die Piraten von den anderen linkeren Parteien aufgesogen, fehlen die eigenen politischen Themen?

Das alte Links-Rechts-Schema ist bisschen überholt. Links bedeutet ja erst mal, dass man Produktionsmittel oder Infrastruktur in öffentlicher statt privater Hand haben will. Wir brauchen schon wieder mehr Infrastruktur in öffentlicher Hand, diese Woge der Privatisierung hat den Bürgern nichts gebracht, das war eine Fehlentwicklung. Aber diese alte Links-Rechts-Kurve funktioniert einfach nicht mehr, nehmen wir die Einteilung autoritär und antiautoritär, die Grünen bewegen sich immer weiter in die Richtung einer autoritären Partei.

Wo sind die Grünen autoritär?

Sie greifen gerne zu Verbotsankündigungen, sie wollen zum Beispiel potentiell oder vermeintlich entwicklungsgefährdende Inhalte auch im Internet vor 22 Uhr verbieten, das ist Schwachsinn.

Links und rechts greift nicht, autoritär und antiautoritär nicht, was sind die Piraten denn?

Wir sind die neue progressive Partei.

Inhalte, bitte.

Gegen Korruption, für Bürgerrechte, gegen Auflösung derselben.

Konkreter, bitte.

Uns ist beispielsweise die Frauenquote zu wenig, wir wollen die Gesellschaft umbauen, wir wollen dieselbe Freiheit für alle Menschen im Land. Männer, Frauen, Eichhörnchen, so nennen wir Transsexuelle. Die Frauenquote führt nicht zum Ziel, wir müssen weit darüber hinaus denken. Wir wollen, dass es keine Benachteiligung von Frauen gibt, wir wollen aber auch, dass es keine Rollenklischees gibt, die Männer einengen.

Die Piraten hatten auch Probleme mit Sexismus-Vorwürfen, einer Journalistin wurde von Piraten ein „Tittenbonus“ unterstellt.

Ist ein ganz böses Wort, aber es beschreibt einen Vorgang, der existiert.

Nämlich?

Dass hübsche, junge Journalistinnen unter Umständen Informationen herausbekommen, die Sie und ich nicht herausbekommen. Das ist der sogenannte Tittenbonus. Falsch ausgedrückt, aber eine reale Schieflage innerhalb unserer Gesellschaft beschreibend.

Wo gibt’s noch Unterschiede zu anderen linken Parteien?

Wir sind die einzige Partei, die zugibt, dass wir den größten Strukturwandel seit 250 Jahren erleben, die Industriezeit ist vorbei. Dieser Wandel ist so massiv und schnell, dass ich selbst staune. Unsere Gesellschaft ändert sich schneller, als wir es kapieren.

Was sind die Folgen des Wandels?

Wir müssen unser Verständnis von Arbeit ändern. Ich denke, wir werden nie wieder Vollbeschäftigung haben, wir brauchen deswegen ein anderes Modell von wirtschaftlicher Teilhabe, jeder Bürger muss das Recht auf diese Teilhabe haben. Unser Wirtschaftssystem funktioniert einfach nicht mehr, jeder Vierte arbeitet hart, kann nicht richtig davon leben und viele müssen quersubventioniert werden, wie die Hartz-Aufstocker. Diejenigen, die in diesem Land Wirtschaftskraft erzeugen, müssen an die Besitzer des Landes Miete zahlen, die Besitzer sind wir alle. Das sind ja gigantische Umsätze, die hier im viertreichsten Land der Welt erzeugt werden, dafür muss es eine Wertschöpfungssteuer geben.

Lokale Themen: Was tut sich eigentlich im Kulturrat?

Der ist dazu übergegangen, für ein paar Monate Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen zu machen, danach sieht man weiter.

Wie beurteilen Sie das?

Ich würde gern mehr machen, aber ich habe keine Zeit. Ich bin ja Gründungsmitglied und Mitinitiator, ich gehe noch hin, aber ich trage keine Verantwortung mehr.

Es hieß ja, dass keine Parteifunktionäre leitende Funktionen haben sollen.

Es ging da um mich, das war eine „Lex Effenberger“, das waren Querschüsse und Animositäten von gewissen Parteien.

Von den Grünen.

Nein.

CSU, FDP, Linke…

Nein, nein, nein..

SPD?

Womöglich.

Nehmen wir mal an, Sie wären Kulturreferent: Soll der Kulturpark-West auf das Gaswerkgelände umziehen?

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass ich irgendwann Kulturreferent bin. Ich bin für beides, Kulturpark West und Gaswerk, wir brauchen viel mehr Flächen für die Kulturszene, wir sind da in Augsburg total unterversorgt. Es gehört zu den Aufgaben des Staates, Künstler zu fördern, wieso fördern wir also nicht unsere lokale Szene?

Ja, warum denn nicht?

Ich würde als Kulturreferent lieber Stipendien an aufstockende Maler herausgeben als irgendwelche Kulturstadien auf dem Rathausplatz aufzubauen. Ich sehe natürlich, dass die Stadt gigantische Finanzprobleme hat, ich mache die derzeitige Stadtregierung auch nicht für alles verantwortlich, aber man hätte den Ausgabenrausch zu Beginn der Legislaturperiode von Gribl und Grab so nicht haben müssen. Keine neuen Dienstwagen, keine neuen Verwaltungsstellen im Kulturbereich, die zu nichts geführt haben. Was wir wirklich brauchen wäre eine Art Regionalparlament für die Region Augsburg, damit der Speckgürtel um Augsburg mit in die Pflicht genommen wird, schließlich profitiert das Umland stark von der Stadt, zieht aber viel an Steuer und Kaufkraft von ihr ab.

Was würde ein Kulturreferent Effenberger anders machen?

Ich würde Stipendien an aufstockende Maler herausgeben, es kann nicht sein, dass Leute Hartz-4 beantragen müssen, nur weil sie malen. Wir müssen die Künstler fördern, damit es nicht nur alle zweihundert Jahre einen Brecht gibt, sondern öfter. Wenn man den urbanen Verdichtungsraum mit fast fünfhunderttausend Menschen zusammennimmt, ist Augsburg eine große, wichtige Stadt. Wir können nicht so tun, als seien wir eben Provinz und müssten deswegen nichts machen, damit müssen wir aufhören. Wir müssen bei den Kulturausgaben auch stärker nach dem Bildungsauftrag schauen, die öffentliche Hand darf keine Mittel für Kultur ausgeben, die nicht mit einem Bildungsauftrag verbunden ist.

Ist die gegenwärtige Kulturpolitik denn ohne Bildungsauftrag?

Es findet eine Selbstdarstellungspolitik von Peter Grab statt, es reicht nicht, regelmäßig bei der AZ oder bei Kumpels anzurufen, man muss ständig beim Bürger nachfragen.

Welche Kumpels ruft Grab denn an?

Das sage ich jetzt nicht.

Wäre aber transparent.

Das mache ich jetzt aber nicht. Ich kritisiere auch die schwarzen Kassen, die Peter Grab führt, auch Kuspo-Topf genannt, von dem keiner weiß, wie viel drin ist, was genau damit gefördert wird, wo man nur weiß, dass es die Mittel gibt und dass daraus jährlich mehr Geld fließt als für laufende Festivals.

Bitte vervollständigen Sie folgende Sätze: Wirklich verstrahlt ist…

Jemand, der eine ganz andere Meinung hat als ich, mal ganz subjektiv gesagt.

Unsere Kritiker sind doch…

Leute, die wir zwar ernstnehmen, die aber immer zu kurz zielen.

Wenn Kurt Gribl nach der Wahl einen neuen Kulturreferenten braucht, sage ich…

Nein.

Dabei denke ich über ihn persönlich…

Dass er sich ganz hervorragend als Schwiegersohn des Jahres eignet, mehr macht er auch nicht. Ich habe als Journalist schon Interviews mit ihm geführt und muss sagen: Netter Typ, aber kein Oberbürgermeister, der mal richtig auf den Tisch haut. Aber das geht eh nicht mehr lang, noch ein Jahr, dann sind wir ihn los.

Er ist aber beliebt.

Bei wem, bei der AZ?

Würde mich Stefan Kiefer fragen, würde ich sagen…

Reden wir! Kiefer ist das kleinere Übel.

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