„Wir scheuen keine Konflikte!“
Augsburger Friedensforschung feierte den Semesteranfang im Annahof
Von Frank Heindl
Seine Studenten hatten die Angelegenheit flugs zur „Pflichtveranstaltung“ erhoben – so konnte sich Prof. Christoph Weller vom Uni-Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung über mangelnde Besucher nicht beschweren: Im Evangelischen Forum Annahof feierte er mit seinen Studenten im Master-Studiengang „Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung“ den Semesterbeginn. Gleichzeitig wurde unter dem Titel „Wir scheuen keine Konflikte“ eine Ausstellung über den Zivilen Friedensdienst (ZFD) eröffnet.
Die Ausstellung des Konsortiums Sozialer Friedensdienst ist noch vier Wochen lang im Annahof zu sehen. Auf Schautafeln informiert der ZFD über seine Arbeit – 700 Fachkräfte hat die Organisation im Lauf der Jahre an Einsatzorte rund um die Welt geschickt, 250, so erläuterte Pfarrerin Nicoly Menezes, sind derzeit im Einsatz. Dritter Bürgermeister Peter Grab hieß die Masterstudenten willkommen, die zum großen Teil ihren Bachelor in anderen Städten in ganz Deutschland gemacht haben und daher neu in Augsburg sind, und machte deutlich, dass die Ansiedlung der Arbeitsgemeinschaft für Frieden-und Konfliktforschung (AFK) in Augsburg aus seiner Sicht zum Profil Augsburgs als Friedensstadt gehört.
Die Studenten erzählten während des anschließenden Empfangs rundum begeistert von ihrem Studienfach. Während sie bis zum Bachelor mit dem Schwerpunkt auf den Politik- und Sozialwissenschaften studiert haben, können sie sich auf dem Weg zum Master einem deutlich breiter gefächerten Themenspektrum widmen. „Wenn ich mich beispielsweise für Konflikte um Rohstoffressourcen interessiere“, erläutert etwa Kristin Ruckschnat, „dann muss ich schon auch Kenntnisse etwa in Geologie und Geographie haben.“ Dafür sind die so genannten „Vertiefungsmodule“ im Master-Studiengang vorgesehen. „Das Interdisziplinäre ist sehr wichtig“, freut sich die Studentin.
„In der Theorie ist alles einfach“
Dass ein breites Wissensspektrum bei der Friedens- und Konfliktforschung ebenso unabdingbar ist wie ein vertieftes Politikverständnis, machte im anschließenden, hoch interessanten Vortrag Dr. Thania Paffenholz deutlich. Sie ist friedenspolitische Beraterin am Genfer Graduate Institute of International and Development Studies, arbeitet als Politikberaterin für die EU und die Vereinten Nationen unter anderem in Afrika und Asien und hat das Kompetenzzentrum Friedensförderung der Schweizerischen Friedensstiftung in Bern aufgebaut. Dass die Theorie nicht alles ist, machte die gut gelaunte Vermittlerin gleich zu Anfang klar: „Wenn wir in der Theorie sind, ist das alle sehr einfach“ – Probleme würden dann oft und gerne klein geredet, in der Konfliktberatung laufe nie etwas schlecht, „das nennt man dann einfach eine Herausforderung.“
In Wahrheit würde es wohl kaum noch ernsthafte Konflikte auf der Welt geben, wenn die Konfliktlösung nicht vor schwierigsten und oftmals unlösbar scheinenden Aufgaben stehen würde. Dem steht ein großes Instrumentarium an Lösungshilfen gegenüber: Die „breite Palette diplomatischer Möglichkeiten“ erwähnt die Dozentin ebenso wie die oftmals sehr hilfreiche Zusammenarbeit mit den so genannten NGOs – von der Regierung unabhängigen Organisationen – vor Ort, zum Beispiel auch den Kirchen und den Gewerkschaften. Doch seien oft schon vorher grundsätzliche Probleme zu lösen – zum Beispiel die Frage nach „gut und böse“ und das daraus resultierend Problem, ob man mit bestimmten Gruppierungen überhaupt verhandeln darf. Nach Thania Paffenholz‘ Ansicht gibt es in den wenigsten Fällen Gruppen, „die explizit keinen Frieden wollen.“ In Wahrheit liege der Unterschied meistens im Weg, den die Konfliktparteien hin zum Frieden einschlagen wollen.
Vom negativen zum „positiven Frieden“
Was aber ist eigentlich Frieden? Paffenholz präferiert eine Definition, die der Friedensforscher Johan Galtung vor 40 Jahren vorgeschlagen hat. Er kennzeichnet „positiven Frieden“ als einen Zustand, in dem es nicht nur keine Gewalt, sondern auch keine Faktoren gibt, die zu Gewalt führen können, etwa Hunger, Ungleichheit, Ungerechtigkeit usw. Beim „negativen Frieden“ dagegen schweigen lediglich die Waffen – vieles andere ist ungelöst. Aber wo existiert dann echter Frieden? Paffenholz wendet Galtungs Definition auf die „friedliche“ Schweiz an, um festzustellen, dass etwa der Umgang mit Migranten, das Vorkommen von Rassismus oder ungelöste Probleme bei der gesellschaftlichen Stellung der Frau es schwer machen, der Schweiz den positiven Frieden zu attestieren.
Noch schwieriger wird es aber, wenn die Friedens- und Konfliktberatung in eskalierende oder eskalierte Konflikte eingreift. „Vieles“, das schickt die Forscherin voraus, „funktioniert einfach nicht.“ Da sind zum Einen die gefürchteten „Ad-hoc-Entscheidungen der Politik“: Ein Eingreifen für eine Seite des Konfliktes werde oft aus einer Art „Bauchgefühl“ entschieden – „dabei haben wir tolle Untersuchungen und Konzepte in der Schublade, die aber keiner je liest.“ Doch auch wenn die Theorie der Politik beisteht, lässt sich vieles nicht umsetzen. Auf Sri Lanka etwa habe man Jahre mit dem Verfolgen unerwünschter Konzepte vergeudet: Der Staat sei vom Westen „mit Föderalismus-Experten bombardiert worden“, konstatiert Paffenholz sarkastisch, ohne dass jemand wahrgenommen habe, dass die Bevölkerung diesen Föderalismus nicht haben wolle. Erst viel zu spät habe man bemerkt, „dass man eine Zivilgesellschaft nicht mehr zu fördern braucht, wenn die Leute alle tot sind“ – solche Fehler, so die Beraterin, kosteten oft Tausenden das Leben.
Weniger Projekte, viel mehr Politik
Fazit der engagierten Dozentin: „Wir müssen wieder viel mehr Politik machen und weniger Projekte.“ Denn einer Vielzahl von Friedens- und Konfliktlösungsprojekten mangele es viel zu oft an jeder politischen Strategie – ob solche Projekte gelängen oder scheiterten, sei letztendlich irrelevant, weil sie nichts Grundlegendes veränderten. Die derzeitige Bundesregierung etwa verfolge weltweit eine Vielzahl von Projekten – aber keine Strategie. Es gebe nicht einmal eine Definition dafür, welches der Beitrag Deutschlands für den Frieden auf der Welt sein solle.
Doch den Schwarzen Peter lässt Paffenholz durchaus nicht bei der Politik, sondern schließt ihren Vortrag auch mit deutlicher Wissenschaftskritik und einem eindringlichen Plädoyer an die Studenten. Die Forschung stelle keine Verbingung mehr her zwischen sich und der Politik: „Die Ergebnisse der Friedensforscher stehen nicht in den Papieren der Politiker!“ Die Friedensforschung aber sei gegründet worden „um etwas zu wollen.“ Deshalb müssten die Wissenschaftler – und eben auch Professor Wellers Augsburger Studenten – wieder dahin zurückkommen, „kritischer und engagierter zu sein.“ Das Studium sei nicht nur für die „Wissensakkumulierung“ da, sondern auch, „um herauszufinden, wo man seinen Beitrag leisten kann.“