DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Samstag, 15.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Wir Biedermänner, wir Brandstifter

Von Frank Heindl

„Kein Lehrstück“ hat Max Frisch unter den Titel seines 1958 uraufgeführten Bühnenstücks „Biedermann und die Brandstifter“ geschrieben. Um dann doch ein irgendwie klassisches Lehrstück folgen zu lassen. Premiere am Samstag in der Komödie: Man ging auch der Frage nach, warum Lehrstücke immer zu spät kommen – und deshalb keine sein können.

Biedermann heißt so, weil er einer ist. Martin Herrmann gibt ihn vor dicken weißen Säulen, die seine Welt und seine Vorstellungen zu tragen scheinen, am weißen Tisch, auf weißen Stühlen, im weißen Anzug – die demonstrative Unschuld (Bühne: Bettina Weller). Am Stammtisch glänzt dieser Spießer mit seinen Prinzipien, zum Beispiel dem, dass Brandstifter allesamt „aufgehängt gehören.“ Wenn allerdings bei ihm zuhause einer von ihnen anklopft und um Unterkunft bittet – dann wird die Sache schwierig. Er wird so lange nachgiebig sein, sich Honig um den Bart schmieren und kopfwackelnd seine welterfahrene Menschlichkeit loben lassen, bis Welt in Brand steht.

Anbiederung beim Abendessen: Eisenring (Anton Koelbl), Biedermann (Martin Herrmann), Babette (Ute Fiedler) und Schmitz (Alexander Koll) - Foto: A.T. Schaefer

Anbiederung beim Abendessen: Eisenring (Anton Koelbl), Biedermann (Martin Herrmann), Babette (Ute Fiedler) und Schmitz (Alexander Koll) - Foto: A.T. Schaefer


Bei der Uraufführung 1958 boten sich zur Interpretation des Stückes zwei Kontexte an: Das Emporkommen der Nazis konnte gemeint sein, ebenso aber auch die Machtpolitik der Kommunisten in Osteuropa. Die Augsburger Inszenierung des 50jährigen Regisseurs Karsten Schiffler geht solchen Einordnungen konsequent aus dem Weg: Sein Biedermann und dessen Frau Babette (Ute Fiedler, gekonnt kleinbürgerlich schwankend zwischen ängstlich-herzkrank und erotisch affizierter Bewunderung der Gewalt) können die schwankend Halt suchende Mittelschicht jeder modernen Gesellschaft repräsentieren. Zwischen Gutmenschentum und Aufgeklärtheit hat man vor allem den eigenen Vorteil im Blick, will man es sich nicht verderben mit den Brandstiftern, derweil man die Angestellten schulterzuckend in den Selbstmord treibt. Ach ja, auch die Unterschicht ist vertreten: Das Dienstmädchen (Olga Nasfeter) rümpft die Nase, schüttelt den Kopf, zittert vor Furcht – und tut seine Arbeit.

Intellektuelle Hilflosigkeit, knallharte Gegenspieler

Den von Frisch aus dem antiken griechischen Theater übernommenen „Chor“ reduziert Schiffler einleuchtend auf den Autoren selbst. Dieser sitzt, grüblerisch-versunken dargestellt von Philipp von Mirbach, seitlich zur Bühne und tippt seinen Text in die Schreibmaschine: weise Einsichten des Schriftstellers, die seinem Geschöpf doch nicht weiterhelfen, selbst als dieses zufällig mal vorbeikommt. Biedermann braucht einen Anwalt, keinen Literaten, will nichts wissen von feingeistiger Erkenntnis – knallhart demonstrieren Schiffler/Frisch die Hilf- und Wirkungslosigkeit des Intellektuellen.

Dreist und direkt: Ringer Schmitz (Alexander Koll, sitzend) mit Biedermann (Martin Herrmann) - Foto: A.T. Schaefer

Dreist und direkt: Ringer Schmitz (Alexander Koll, sitzend) mit Biedermann (Martin Herrmann) - Foto: A.T. Schaefer


Knallhart und direkt sind auch die Gegenspieler: Bravourös macht Alexander Koll als Ringer und Brandstifter Schmitz schon rein körperlich glaubhaft, dass man sich bei ihm schnell eine gebrochene Schulter holen kann – und doch kommt seine Brutalität ohne jeglichen Krafteinsatz aus, besteht nur aus Dreistigkeit und Selbstbewusstsein. Sein Freund Eisenring (mit teuflischer Spiellust: Anton Koelbl) stellt nicht zufällig ein mephistophelisches Grinsen deutlich zur Schau: Er ist der Teufel und am Ende trotzdem ganz machtlos – in der Hölle schmoren seine Opfer, während seine „Kunden“ auch nach dem Tod von ganz oben protegiert werden. Gemeinsam gehen die beiden Zündler so schlau wie unverfroren zu Werke: Die Fässer, die sie fröhlich auf Biedermanns Dachboden hieven, sind ordentlich mit „Benzin“ beschriftet, Biedermann selbst ist es, der ihnen die Streichhölzer für den finalen Weltenbrand zur Verfügung stellt. Das geht wie am Schnürchen in der rasanten Inszenierung, da ist kein Halten, da geht es zähneklappernd dem unvermeidlichen Ende zu. Gerade noch hat Biedermann vom „Aufhängen“ geredet, Minuten später mitmenschlich Obdach geboten, kurz darauf ein fulminantes Abendessen zur Besänftigung angeboten – die Übeltäter sind unbeirrbar, die Dinge nehmen ihren Lauf, vermeidbar und doch Verhängnis. Biedermanns Beschwichtigungsversuche, möchte man meinen, galten wohl gar nicht den Brandstiftern, sondern immer dem eigenen Wissen um das Nahen der selbst verschuldeten Katastrophe.

Zündhölzer zu verkaufen …

Also doch ein Lehrstück – über die allzu menschliche Hilflosigkeit zwischen den Horrornachrichten des Alltags, der permanent unausweichlichen Entwicklung hin zum Schlechten, der Allmacht des Bösen? Ein Blick in die Zeitung genügt, um zu verstehen, warum Frisch „kein Lehrstück“ schreiben musste: Weil es kein Lernen gibt. Wozu denn darüber grübeln, was an Schlimmem droht – „es kommt ja doch, Herr Biedermann!“, sagt der Brandstifter. Da verkaufen wir, Biedermänner und Brandstifter in einem, doch lieber Zündhölzer, Viel Beifall für zeitlos-unterhaltsamen Tiefsinn, reizvoll-spannend verpackte Selbsterkenntnis.

„Besonders begehrt sind U-Boote und Panzer: Deutschland verdient immer mehr Geld mit dem Export von Rüstungsgütern. Seit 2005 hätten sich die Ausfuhren mehr als verdoppelt, rechnet nun das Friedensforschungsinstitut Sipri vor.“ („Spiegel online“, 15.3.2010)