Kommentar: Wie es euch gefällt
Im Augsburger Stadtrat ist eine politisches Durcheinander entstanden. Das muss im Allgemeinen nichts Schlechtes sein. In diesem besonderen Fall ist es aber schlecht, weil es durch Schwäche und Orientierungslosigkeit zustande kam.
Kommentar von Siegfried Zagler
Auf der Flucht vor höfischen Machtkämpfen trifft eine Schar junger Männer und Frauen, Narren und Philosophen, Schäferinnen und Hirten und ein verbannter Herzog mitsamt seiner Dienerschaft im Wald aufeinander. Hier im Wald sind politische Intrigen nicht wirksam. Der Wald wird zum neutralen Feld der Erkenntnis und zum Spielfeld der Suche nach menschlichem Glück. Das ganze Theater führt am Ende zu Vermählungen, deren Zustandekommen keiner richtig versteht, weil niemand so richtig weiß, wer er ist und wo er hingehört.
Shakespieres Lustspiel „Wie es euch gefällt“ bildet auf künstlerische Weise den Augsburger Stadtrat ab, der zwar überwiegend von Parteimitgliedern besetzt ist, aber kaum noch weltanschauliche Linien erkennen lässt. Um ein Problem auf der Sachebene verstehen und bearbeiten zu können, muss man wissen, von welchem Ansatz her es zu analysieren ist. Das geht aber nur, wenn man weiß, wer man ist, woher man kommt und wohin man zu gehen hat. Eine nur auf der inhaltlichen Ebene geführte menschliche Kommunikation gibt es nicht. Auf der „rein sachlichen Ebene“ getroffene Entscheidung gibt es nicht. Schon allein die Vorstellung, dass es so etwas wie eine „reine Sachebene“ gibt, auf der Menschen frei von Interessen und Emotionen die beste Lösung finden können, ist eine irrsinnige Vorstellung.
Wissen die Fraktionen aber nicht mehr, wer sie sind, wer sie gewählt hat und wofür sie stehen, dann sind sie in ihrer politischen Meinungsbildung stärker auf Expertisen und Marketingsprüche angewiesen als auf die menschliche Fähigkeit, den eigenen Verstand zu gebrauchen. Und sie sind darüber hinaus schnell bereit, wichtige wie komplexe Entscheidungen, die sie selbst nur mit intensiver Kompetenzaneignung zu treffen in der Lage sind, auf die Bürgerschaft zu übertragen, wie man kürzlich sehr schön bei den Grünen beobachten konnte. Oder bei der SPD, die sich von hemdsärmligen Gutachten schneller beeindrucken lässt als Peter Grab von einem kurzen Rock.
Im Augsburger Stadtrat sind die von ihren Köpfen enthaupteten „Oberbürgermeister-Parteien“ noch ziemlich weit davon entfernt, sich selbst einem Gutachten zu unterwerfen, weil die Krankheitseinsicht fehlt. Die Rede ist, man müsste es nicht sagen, von der SPD und den Grünen. Die SPD ahnt zwar, dass sie krank ist, ahnt aber zugleich, dass sie unheilbar krank ist, weshalb sie sich – beinahe unsichtbar geworden, von der CSU künstlich beatmen lässt. Die Grünen sind (noch) kein hoffnungsloser Patient, aber noch lange nicht auf dem Weg zur Läuterung im Schutz des Waldes.
Die große Politik, die sich zu oft in Sachzwänge fügt, verliert zunehmend an Ansehen. Die Zukunft der Welt wird nicht mehr gestaltet, sondern an den Märkten verhandelt. Gestaltungsdruck wird von der Finanzwirtschaft erzeugt, nicht mehr von der Vision einer besseren Welt. Die Politik verliert insgesamt an Boden und merkwürdigerweise bildet sich dies sogar im Augsburger Stadtrat ab. – Aus diesem Grund wäre es für die gesamte politische Stadt ein Befreiungsschlag, würde sich ausgerechnet ein eher politisch unklar definierter Wählerverein („Bürger machen Politik“) dazu aufschwingen, seine beiden Stadträte aus dem Verein auszuschließen. Nachdem Rudolf Holzapfel und Beate Schabert-Zeidler mit Peter Grab eine Ausschussgemeinschaft gebildet haben, sollte sie der Verein mit dem Hinweis ausschließen, dass nicht alles, was Recht ist auch politischen Sinn ergibt.
Die Rede ist von dem Verein Pro Augsburg, dessen Vorstand nicht genug politisches Feingefühl aufbrachte, den beiden verbliebenen Pro Augsburg Stadträten Schabert-Zeidler und Holzapfel eine Ausschussgemeinschaft mit einem Mann zu untersagen, der mit seinem politischen Eskapismus und seinem öffentlichen Auftreten insgesamt zu einer tragischen Figur geworden ist – und als ehemaliger Frontmann Pro Augsburgs maßgeblich zur Auslöschung der ehemaligen „Regierungspartei“ beigetragen hat. Hätten Schabert-Zeidler und Holzapfel auf diese Notgemeinschaften verzichtet und sich als Einzelstadträte ohne Stimmrecht in die Ausschüsse gesetzt, käme eine kleine Portion politische Hygiene in den Augsburger Stadtrat zurück. Für Pro Augsburg geht es derzeit ums politische Überleben. Die einzige Chance, die der ehemaligen politischen Kraft zurück in den Ring helfen könnte, wäre die Wucht eines Neustarts. Der zahleiche Verlust von Stadtratssitzen ist nicht das Ende des Schreckens, sondern sein Beginn, wenn dieser Verlust nicht zur richtigen Analyse und nicht zu den entsprechenden Konsequenzen führt. – Das gilt für Pro Augsburg wie für die SPD.