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Freitag, 29.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Wie der Visionär zum Helden wird

Philipp Löhles “Die Kaperer” im Hoffmann-Keller

Von Frank Heindl

Man muss den Schildern zur Verwaltung folgen, wenn man in den Hoffmann-Keller des Augsburger Stadttheaters will – irgendjemand scheint das Gefühl zu haben, es gebe da was zu verstecken. Damit aber sind schon alle ärgerlichen (!) Aspekte abgehakt: Die Inszenierung von Philipp Löhles “Die Kaperer” auf der kleinen Experimentierbühne ist, das schon mal vornweg, rundum zu loben und hätte durchaus ein paar Hinweistäfelchen verdient!

Löhle ist in den vergangenen paar Jahren zu einem an deutschsprachigen Bühnen stark gefragten Nachwuchsautor avanciert – die “Kaperer” wurden denn auch nicht irgendwo, sondern am Wiener Schauspielhaus uraufgeführt. Mit dessen Möglichkeiten kann sich die schmale Laufstegbühne im Hoffmann-Keller nicht messen – aber das macht nichts, denn im Keller beginnt’s, und im Keller endet das Drama auch.

Ob Mörchen (Philipp von Mirbach) eigentlich ein Idealist ist, beantwortet das Stück nicht. Fest steht, er hat zukunftsweisende Ideen und verfolgt sie selbstbewusst. Wir befinden uns, wie gesagt, im Keller. Doch während in der Literatur oft im Keller das Unterbewusste wohnt, haust in Mörchens Untergeschoss die Hydraulik und mit ihr die Zukunft. Er hat nämlich ein Haus gebaut, das der Klimakatastrophe nicht nur mit energiesparend pinkfarbenem Anstrich, sondern auch mit ultramoderner Hebetechnik trotzt: Wenn der große Regen kommt, dann soll es aus den Fluten tauchen – und schwimmen.

Schade nur, dass die Niederschläge ausbleiben und damit der Beweis der Praxistauglichkeit fehlt. Mörchen muss sich von Nele verlachen lassen, und Miriam Wagner bringt das so prustend heftig rüber, dass auch das Publikum zu glucksen beginnt. Ist Mörchen also der Noah unserer Tage – oder doch nur ein Ökospinner? Seine Frau Biene (Ute Fiedler) steht nur oberflächlich zu ihm, ihr ist der Garten wichtig, sie will Tiere, Kind und Gurken großziehen. Auch dem Immobilienmakler (Toomas Täht) sind Ökologie und Klima herzlich egal – er will Kohle sehen und Prosecco trinken. Geld und Alkohol – das eint überhaupt alle um Mörchen: Auch Nele und Arne (Tjark Bernau) wollen – Freundshaft hin, Freundschaft her – plötzlich ihr Investiertes zurück und tauchen selten ohne das obligatorische Glas Sekt auf.

Das Wetter ist toll, von Regen keine Spur, von Investoren auch nicht – kein Wunder, dass sich der Erfinder mit Selbstmordgedanken trägt. Oder ist das bloß die Interpretation der neidisch-ignoranten Umwelt, die ihn mit Unverständnis und küchenpsychologischem Blödsinn traktiert? Alle fallen sie ihm auf die Nerven, verunsichern, verfolgen, missverstehen sie ihn, am Schluss sitzt er allein in seinem Haus und wird zum durchgedrehten Spinner, den die anderen schon immer in ihm sehen wollten. Doch dann wird’s alttestamentarisch: “Und der Regen fiel und es regnet viel”, lässt Löhle biblisch-ironisch aus dem Off verlauten, und siehe: das Haus funktioniert. Wenn auch etwas zu spät, denn Noah Mörchen stirbt den Märtyrertod und ertrinkt im Keller.

Was einen rundum sarkastischen Schluss ermöglicht: Vor seiner Leiche versammelten sich Freunde und Ehefrau nebst Makler und machen die Tragikomödie endgültig zur Groteske. Hier sind sie, die Kaperer: Nachdem sie den Visionär mit ihrer Ignoranz in die Verzweiflung getrieben haben, bemächtigen sie sich nun seiner Ideen, stoßen sie auf Mörchens Hellsichtigkeit an. Jetzt steht’s also fest: Mörchen muss ein Idealist gewesen sein. Denn was bleibt einem Visionär schon anderes übrig, wenn sich alle gegen ihn verschwören? Er muss scheitern oder zum Helden werden.

So schmal wie die Kellerbühne erscheint dieser Plot – aber gerade diese beiden Aspekte ergänzen sich trefflich. Auf der engen Bühne können die sechs Akteure eine ernorme Präsenz entfalten, vor allem Miriam Wagner erzielt mit Lach- wie mit Wutanfällen heftige Treffer im Zuschauerraum. Die klaustrophobische Enge des Kellers korrespondiert mit der zunehmenden Isolation Mörchens. Und dem Publikum wird mehr als einmal deutlich, dass es tagtäglich aus nächster Nähe mitspielt im grotesk aussichtlosen Kampf um die bessere Zukunft. “Glotzt nicht so romantisch!” – das wird dem Augsburger Zuschauer demnächst an anderer Stelle zugerufen.

Ob die momentane Betroffenheit über die Szene hinausreicht und auch die eine oder andere Erkenntnis darüber bewirkt, wie viel der Prophet im eigenen Lande gilt, mag dahingestellt sein. Einen gelungenen Theaterabend jedenfalls garantiert Christopher Hanningers Inszenierung allemal.