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Sonntag, 19.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Wenn die Sinnsuche scheitert

Premiere im S’ensemble-Theater: „Z“

Von Frank Heindl

Sperre ein paar Menschen in einen Raum und warte ab, was passiert – dieses Ur-Experiment der Literatur zieht einmal mehr die aus Georgien stammende Regisseurin und Dramaturgin Nino Haratischwili für ihr Stück „Z“ heran. Im S’ensemble-Theater hatte „Z“ am Samstagabend in der Inszenierung von Nora Schüssler Premiere.

Eine Nacht zu zweit in der Uni – doch Lea und Tizian (Stefanie Mendoni und Benjamin Lange) kommen sich nicht näher.

Lea hat sich über Nacht in der Uni einschließen lassen – um allein zu sein, um nachzudenken, behauptet sie. Mit dem Alleinsein aber wird es nichts, denn auch Tizian ist hier. Allerdings nicht willentlich, sondern aus Schusseligkeit: Er ist über seinen Büchern eingeschlafen. Am Anfang also große Gegensätze: Er will raus, rennt, typisch Mann, mit aller Kraft gegen sein Schicksal und die schwere Tür an – sie will bleiben, denken, reden. Stefanie Mendoni und Benjamin Lange ziehen ihre Rollen über den ganzen ersten Teil hinweg unverändert durch: Sie hypernervös mit den Beinen zappelnd, Nägel kauend, unsicher, pseudoselbstbewusst und dabei irgendetwas verheimlichend; er ganz jugendlicher Macho, schlecht im Zuhören, oberflächlich im Nachdenken, schablonenhaft in der Philosophie: „Es gibt keinen objektiven Geist und basta!“ – auf Schrödermanier wird man sogar mit Hegel schnell fertig. Man kennt sich flüchtig aus dem Philosophieseminar, doch dort scheinen beide nicht viel gelernt zu haben.

Selbstbewusstsein aus Verzweiflung

Doch ganz so eindimensional hat Haratischwili ihre Personen nicht angelegt. Lea wollte sich umbringen in dieser Nacht, man ahnt es bald, und sie bezieht aus dieser Attitüde ein Selbstbewusstsein, mit dessen Hilfe sie ihre Verzweiflung überspielt und lange Zeit die Oberhand über ihren Gegenpart behält. Redegewandter als er und mit auswendiggelernten „Sprüchen“ aus den Filmen der 90er greift sie ihn und seine fixen Positionen an. Doch allmählich und mithilfe von nicht wenig Rotwein taut Tizian auf – und treibt Lea in die Defensive. In Wahrheit denkt auch sie in Schablonen: Aus der Geschichte von Tizians schizophrener Schwester macht sie sich einen Filmplot zurecht, der nach der Realität nicht mehr fragt: „Dein Vater hat deine Schwester eingesperrt und du hast es zugelassen.“ Solche Probleme hätte sie auch gerne – Identität nennt man sowas, und die scheint Lea nur aus Unglück destillierbar: Keine Vergewaltigung habe sie in ihrer Biographie vorzuweisen, nicht mal einen prügelnden Vater. Ihr größter Wunsch: Sie wäre gerne ein Zitat aus einem Film – Hollywoods Melodramen sind ihr näher als das eigene Leben und ein wenig Selbsterkenntnis.

Glaubwürdiges Kammerspiel

„Wir sind Anhängsel, die letzten, die mit der Arschkarte, wird sind Z. Als Y hätte man noch eine Chance.“ Aber welche denn? Sich zum Z weiter zu entwickeln? Gegen Ende, es wird schon Morgen, spielen die beiden eine wilde Ballerszene aus einem wilden B-Movie, schießen um sich, werfen Handgranaten aus dem Hintergrund der schwarzen, nur mit ein paar Bücherstapeln, Hörsaal-Klappstühlen und einem Overhead-Projektor ausgestatteten Bühne. Doch bevor es Tag wird verschwindet Lea auf die Dachterrasse, entdeckt Tizian, dass Leas Zerstörungswut vor allem ihr selbst gilt. Das Publikum bleibt zurück in einem Zuschauerraum voller einzelner, herausgerissener Buchseiten. Man kann in diesen Blättern lesen – aber keinen Zusammenhang herstellen. So wenig, wie sich aus den paar Informationsfetzen aus dem Leben der beiden Protagonisten ein Roman schreiben ließe, so wenig, wie man mithilfe des Besuchs von ein paar Philosophieseminaren sein Leben in den Griff bekommen kann. Ob Tizian Lea retten kann, bleibt offen.

Haratischwilis Text lässt viele Fragen ungestellt, am meisten die nach den Ursachen für Leas existenzielle Verzweiflung. Man kann ihn wohl als Annäherung an die Identitätsprobleme Heranwachsender lesen, möglicherweise auch als Auseinandersetzung mit einer Welt, in der Sinn nicht mehr durch intellektuelle Suche zu gewinnen, aber auch sonstwo nicht leicht zu finden ist. Die beiden Schauspieler stehen dieses Kammerspiel glaubwürdig und ohne Längen durch – das Stück hätte womöglich gewonnen, wenn die Autorin ihre Protagonisten nicht gar so ignorant aneinander vorbeisehen lassen würde, ab und zu ein „echter“ Dialog hätte die Geschichte tiefer gemacht. Trotzdem ein gelungener Theaterabend, den man sich auch im Hoffmannkeller des Stadttheaters ohne weiteres hätte vorstellen können.