Integrationspolitik
Weitere 1,2 Millionen Euro für Integration
Die EU fördert die Integrationsarbeit der Stadt Augsburg mit einem neuen Finanzpaket. Jetzt soll nicht mehr nur die Stadtverwaltung, sondern die gesamte Stadt für den Umgang mit Minderheiten sensibilisiert werden. 1,2 Millionen Euro stehen in den kommenden beiden Jahren dafür zur Verfügung.
Von Stefanie Schoene
An die Basis begeben sich die inzwischen 14 Mitarbeiter des Migrationsbüros mit dem neuen Paket allerdings nicht. Wie das Migrationsreferat bei der Vorstellung des neuen EU-Förderprogramms „Zusammen leben in Augsburg“ (Zusa) erklärte, wird der größte Teil der 1,2 Millionen Euro an vier Kooperationspartner verteilt: Die Beratungsfirma Innovision Concepts, die Wirtschaftsplattform A hoch 3 und Tür an Tür. A hoch 3 wird sich weiter um den Bedarf des Arbeitsmarktes an internationalen Fachkräften kümmern, Tür an Tür Deutschkurse und die Beratung von Menschen mit Migrationshintergrund ausbauen, und Innovision Concepts wird seine interkulturellen Seminare auf Unternehmen und unabhängige Institutionen ausweiten. Als Überraschungspartner steigt mit dem Textil- und Industriemuseum (TIM) erstmals ein kulturelles Schwergewicht der Stadt ein.
Anders als beim Vorgängerprojekt „Willkommens- und Anerkennungskultur in Augsburg“ (Waka), das mit 900.000 Euro ausgestattet war, fließt das Geld jetzt nicht mehr hauptsächlich in die Schulung der Stadtverwaltung. Auch Volkshochschule, Bürger, hauptamtliche Sozialarbeiter, ehrenamtliche Flüchtlingshelfer sowie unabhängige Kultur- und Bildungsorte sollen jetzt in den Genuss von interkulturellen Seminaren kommen.
Strukturiert müsse die Integration ablaufen, erklärt Reiner Erben (Grüne) bei der Vorstellung des neuen Förderpakets. „Sonst stehen wir am Ende da wie in Chemnitz, wo die Bevölkerung nicht mitgenommen worden ist und jetzt einiges aus dem Ruder lief“, so Erben.
Ihr eigenes Team sieht die Leiterin des Migrationsbüros, Margret Spohn, als Moderatoren. Die Integrationsarbeit selbst könne besser „Experten“ übertragen werden, sagte sie bei der Vorstellung von Zusa. Im Projektantrag enthalten sind unter anderem eine weitere Stelle für das Büro, zwei für Tür an Tür und eine Teilzeitstelle für das TIM.
Einwanderer bringen jedoch nicht nur Betreuungsbedarf, sondern in den Herkunftsländern geprägte gesellschaftliche Identitäten und Rollenbilder mit in die Stadt. Diese kollektiven Gedächtnisse können eine kulturelle Fundgrube sein, aber auch Grund für Konflikte. Das TIM wird sich dieses Spannungsfelds ab Oktober annehmen. Unter dem Titel „Augsburg 20140 – urbane Utopien einer vielfältigen Stadt“ wird das Museum – frei nach Joseph Beuys – seine Räume ab Oktober zu einem Ort der „Dauerkonferenz“ organisieren, erklärt Direktor Karl Borromäus Murr.
Vereine von Einwanderern, Integrations- und Behindertenbeirat, die Wirtschaftsjunioren, autonome Einrichtungen wie Lawclinic, Grandhotel oder das Wohnzimmer im Schwabencenter werden ab Oktober in Workshops debattieren und bis April künstlerische Prozesse, Objekte und Vorführungen erarbeiten. Das Theater konnte Murr bereits für sein Museums-Experiment gewinnen. Am 6. Oktober findet die Kick-Off-Veranstaltung statt und ab April werden die 1000 Quadratmeter im ersten Stock des TIM für ein halbes Jahr zum Ausstellungsraum, gerahmt von Konferenzen und Konzerten. „Wir werden die kulturelle Vielfalt zeigen und sie in die Megatrends unserer Zeit wie zum Beispiel Digitalisierung und Individualisierung einbetten“, erläutert Murr.
Die Stadt erhielt bereits zwischen 2015 und 2018 für die „Willkommens- und Anerkennungskultur Augsburg“ (Waka) 900.000 Euro aus den Fördertöpfen der EU. Verwendet wurde diese Summe hauptsächlich für interkulturelle Seminare innerhalb der Stadtverwaltung. Das Augsburger Unternehmen Innovision Concepts schulte in diesem Zeitraum 650 städtische Mitarbeiter. Außerdem beauftragte das Migrationsbüro die Ausbildung von Laien-Dolmetschern bei der Volkshochschule. Der zentrale Dolmetscher-Pool hat inzwischen 50 Einträge.
Insgesamt konnte das Migrationsbüro so seit 2014 aus verschiedenen öffentlichen Fördertöpfen 3,9 Millionen Euro für die Integration einwerben. In diesem Zeitraum war Augsburg auch Schauplatz aufgeladener antikurdischer, antiisraelischer und anti-Gülen-Demonstrationen, die mit türkischen Fahnen auf dem Perlachturm sowie mit „Allahu Akbar“- und „Todesstrafe“-Sprechchören endeten.
Oberbürgermeister Kurt Gribl nahm damals kein Blatt vor den Mund. Erst letzte Woche erinnerte er in einem Zeit-Online-Interview daran: „Auf dem Rathausplatz gab es die wildesten Demonstrationen von Erdogan-Fans, die den Platz besetzt hatten. Das war befremdlich und hat mir gezeigt, dass es so weit mit der Tragfähigkeit unserer Integrationserfolge nicht her ist.“
Folgen hat diese Analyse bisher nicht. Angebote zur politischen und kulturellen Bildung, mit denen die Stadt insbesondere diesen jahrzehntealten Verwerfungen in der türkeistämmigen, aber auch Konflikten in der russischstämmigen Community begegnen könnte, sind nicht geplant. Dabei stellen diese beiden Gruppen, von denen die meisten heute Deutsche sind, mit beinah 50.000 Bürgern ein Sechstel der Augsburger Stadtgesellschaft. – Die Millionen für die Integration sind ein Segen, müssen aber in Form politischer Bildung unbedingt auch die alteingesessenen Minderheiten erreichen.