Was um Himmels Willen ist Mufuti?
Sechs Versuche über ein wundervolles Freitagabendkonzert
Von Frank Heindl
Definitionsversuch 1, google-gestützt: Bei dem Begriff Mufuti handelt es sich um eine Abkürzung für den vor allem in der Ex-DDR gebräuchlichen ausziehbaren, hochpraktischen Multifunktionstisch. Allerdings stammt die Abkürzung gar nicht aus der DDR, sondern wurde fürs Fernsehen erfunden. Gesamtbewertung: wenig hilfreich.
Definitionsversuch 2, visuell: Vier irgendwie aufgedrehte, irgendwie aber auch zurückhaltend bis schüchtern wirkende Herren jüngeren bis mittleren Alters, gekleidet à la „back to the fifties“: weißes Hemd, schwarze Hose, dunkler, schmaler Binder. Sehr cool irgendwie. Umrahmung: was noch vor wenigen Jahren als stockbieder galt und daher momentan wiederum als obercool. Nämlich: Nachttischlämpchen vom Flohmarkt, weißer, gefältelter Schirm, etwas schief stehend, dickes, dreiphasiges Kabel, klobiger Druckknopf für Ein/Aus-Funktion. Stehlampe: dasselbe in groß. Gesamtbewertung: ziemlich funny, leicht schräg, total sympathisch, absolut cool.
Definitionsversuch 3, akustisch: „Mufuti“ spricht von „Sperrmülltapes“. Aber sind das jetzt die Fünfziger? Die Sechziger? Oder die Siebziger? Manchmal klingt‘s nach allem gleichzeitig. Walter Bittner kriegt auf den Drums eh den Sound mehrere Jahrzehnte gleichzeitig hin. Daniel Mark Eberhards Keyboards klingen vor allem: niemals echt, sondern immer irgendwie gefaked. Das Wurlitzer Piano war ja schon immer eine klangliche Missgeburt, die Farfisa-Orgel, so scheint es im Nachhinein, wurde nie von anderen Menschen als von untalentierten Hobbymusikern verwendet. Und die Hammond, nun ja, über die kann man auch streiten. Nur, und so platt sich das auch anhören mag: Eberhard spielt so virtuos auf und mit all dem Kram, dass es schon wieder genial ist. Uli Fiedler am Bass: Ihn kennt man, wie die anderen beiden Instrumentalisten, aus diversen hochkarätigen Jazzensembles. Nun muss man feststellen, dass man ihn permanent mit seinem dicken Bass verwechselt hat: Fiedler, so zeigt sich, wenn er plötzlich hinterm E-Bass steht und auch mal den Funk ins Publikum pustet – er ist gar nicht der Mingus-Typ, für den man ihn stets gehalten hat, sondern einer von diesen schlank-schmalen Schlacksen da oben. Macht der Sound der Fifties die Musiker jünger? Und dann ist da noch Christofer Kochs. Ist der nicht Maler? Ja, schon, auch. Andererseits würde er heute Abend mal als Country-Star kurz vor dem Ausbruch des Rock’n’Roll durchgehen, mal als junger Frank Sinatra mit noch nicht ganz ausgereifter, aber schon ganz großer Stimme. Mal auch als trauriger Vorstadt-Geck, der mit dieser Art von gehemmter Tanz-Schüchternheit und dieser Art von überreiztem Dauergeklimper im Hintergrund vielleicht ein pickeliges Mädchen abkriegen, aber niemals den Durchbruch schaffen wird. Mal aber auch als der kommende Star, der sie schon alle im Bett und in der Tasche hat. Gesamtbewertung: was kommt nach obercool?
Definitionsversuch 4, atmosphärisch: Was, nicht im abraxas-Theater spielen die, sondern auf der winzigen Bühne des Jungen Theaters, in dieser engen Nebenzimmeratmosphäre? Ja aber sicher: Genau da hat die „Sperrmüllmusik“ exakt hingepasst. Man hätte sich beinahe (aber dann doch nicht) gewünscht, dass wenigstens für diesen einen, historischen Abend das Rauchverbot aufgehoben worden wäre. Dann wäre nämlich das Retroambiente perfekt gewesen. Gesamtbewertung: coole hundert Punkte.
Definitionsversuch 5, intellektuell: Man könnte, hochtrabend, von Eklektizismus sprechen; oder vom Postmodernismus: Wie man sich das Beste raussucht von allem, was man sich so zusammengehört hat, und damit zwar nichts richtig hundertprozentig Neues macht – weil was richtig Neues einfach nicht mehr möglich ist – wie man damit aber doch eine Menge Aha-Erlebnisse produziert. Wie man in einem trashig angehauchten Kurzdurchlauf den Hörern demonstriert, dass alles schon mal da war und wie alles mit allem schon immer zusammenhing. Und dass das riesig Spaß machen kann, egal, ob man sich Gedanken darüber macht oder nicht. Gesamtbewertung: große Kunst.
Definitionsversuch 6, Schublade: Easy listening, Trash, Acid-Jazz, Retro, einfach so Retro eben …Versuch ergebnislos abgebrochen. Vielleicht gab’s das noch nie, womöglich gibt’s das nie mehr. Gut also, dass wir dabei waren.
Fotos: Wolfgang Reiserer