War Brecht ein Bolschewist?
Die Ausstellung zum Brechtfestival in der Staats- und Stadtbibliothek
Das Jubiläum der Räterepublik 1919 ist auch für die Brecht-Forschungsstelle in der Staats- und Stadtbibliothek ein Anlass, einige ihrer Schätze in einer Ausstellung zu zeigen. Denn Brecht war, wenn auch aus einer gewissen Distanz, mitten drin im Geschehen. Der damals 21-Jährige hatte die Ereignisse des ersten Weltkriegs aufmerksam verfolgt und die Ausrufung der Räterepublik, die in Augsburg allerdings genau sieben Tage Bestand hatte, war für den jungen Dichter der erste Kontakt mit dem Kommunismus nach dem Muster der Revolution in der Sowjetunion. Angeberisch schrieb er an seine Freundin „Bi“ (Paula Banholzer) ins Allgäu, er sei „… vollens ganz zum Bolschewisten geworden.“ Gleichzeitig aber auch, dass er dem Rat seines Vaters gefolgt und besser nicht auf die Straße gegangen sei. Der von ihm inszenierte Ruf als „Bolschewist“ und „Kommunist“ hing Brecht noch lange nach, umso mehr als er sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Rückkehrer aus dem Exil in der DDR niederließ und dort das „Berliner Ensemble“ leiten durfte.
Prof. Dr. Jürgen Hillesheim von der Brecht-Forschungsstelle sieht das differenziert. Er ist der Affinität Brechts zum Kommunismus bereits in mehreren Arbeiten nachgegangen und kommt auch bei näherer Untersuchung von Brechts Haltung zur Räterepublik zu dem Schluss, dass die Auseinandersetzung Brechts mit dem Kommunismus eine intellektuelle, distanzierte und durchaus kritische war.
Details illustriert die Ausstellung im Cimeliensaal der Staatsbibliothek, zu der auch ein ansprechend bebilderter Katalog mit Beiträgen von neun namhaften Brecht-Forschern aus fünf Ländern erschienen ist. Aus der Zeit der Räterepublik liegen etliche Dokumente in der Staatsbibliothek auf. Um die Wahrnehmung Bertolt Brechts im Augsburg der damaligen Zeit sichtbar zu machen, wurde ein Teil der Ausstellung aus dem gut bestückten Zeitungsarchiv der Staats- und Stadtbibliothek von Bibliotheks-Mitarbeiter Wolfgang Mayer zusammengestellt. Das Umfeld Brechts erschließt sich aus seinen eigenen Aufzeichnungen (Briefe an Bi, Theaterrezensionen) und aus den bisher unveröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen Caspar Nehers.
Brechts Nähe zur Revolution wird oft auch durch die Tatsache belegt, dass er dem Räterevolutionär Georg Prem ein Versteck in seiner Mansarde ermöglichte. Das geschah allerdings dessen Frau Lilly Prem zuliebe, damals noch Elisabeth Krause, deren Nachlass in der Staatsbibliothek auch interessante Einblicke in die Haltung der Augsburger Frauen zur Räterevolution ermöglicht. Brecht schreibt zu der Zeit am „Baal“, wie aus den Tagebuchaufzeichnungen Caspar Nehers ersichtlich wird.
Der Kriegsteilnehmer Neher sieht, wie Brecht, in der Revolution nichts als eine Fortsetzung des Krieges, dem sie beide nichts abgewinnen können. Brecht schreibt unter diesem Eindruck Gedichte wie „Die Ballade vom toten Soldaten“ und das Stück „Trommeln in der Nacht“, dessen Ende aus marxistischer Sicht konterrevolutionär ist, denn der Hauptheld Kragler unterstützt nicht die Spartakisten, sondern zieht das „große weiße Bett“ seiner Verlobten Anna vor. Brecht musste sich, vor allem in der DDR-Zeit, immer wieder für diese Haltung rechtfertigen und hat das Stück wiederholt bearbeitet. Der Schluss blieb aber jedes Mal unangetastet. Erst 1966, nach seinem Tod, wurde in der DDR eine marxistisch korrekte Fassung in Umlauf gebracht, die angeblich von ihm stammte und von seiner Witwe Helene Weigel autorisiert wurde. Ein Exemplar der wenigen Typoskripte dieser Fassung gehört zum Fundus der Staats- und Stadtbibliothek.
Unbestritten hat sich Brecht, vor allem auch angesichts des aufkommenden Faschismus, mit dem Kommunismus in all seinen Facetten befasst und sich ihm auch, wie Hillesheim feststellt, im Dienste seines Vorankommens als Künstler durchaus „angeschmiegt“. Tatsache ist auch, dass die Ereignisse der Räterevolution in Augsburg der erste Vorgang waren, eine kommunistische Revolution wahrzunehmen und zu bewerten. Der erste Weltkrieg und die Räterevolution vor der eigenen Haustür haben den jungen Brecht und seinen wachen politischen Geist „beschäftigt und herausgefordert“, wie das Stück „Trommeln in der Nacht“, das daraus entstanden ist. Brecht bleibt, auch in seiner späteren Entwicklung, „ein Kommunist auf Abwegen“, wie Jürgen Hillesheim in seiner Abhandlung zur Ausstellung resümiert. Der dafür entscheidende Zeitabschnitt aus der Biographie des Dichters ist in der Sammlung der Staatsbibliothek stringent dokumentiert und wird von der Brecht-Forschungsstelle im Cimeliensaal eindrucksvoll präsentiert. —- Halrun Reinholz
„… vollens ganz zum Bolschewisten geworden …“? Die Räterepublik 1919 in der Wahrnehmung Bertolt Brechts. Ausstellung in der Staats- und Stadtbibliothek, 1.3. – 26.4.2019. Eintritt frei.
https://www.sustb-augsburg.de/vollens-ganz-zum-bolschewisten-geworden/