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Samstag, 23.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Wäre ein Kölner Szenario auch in Augsburg möglich?

Warum auch die Stadt Augsburg auf die Vorkommnisse der Neujahrsnacht reagieren muss



Kommentar von Siegfried Zagler

Das Jahr 2016 fing in Sachen Flüchtlingspolitik dramatisch schlecht an. Die Gewaltdelikte in Köln, Hamburg, Stuttgart und Bielefeld veränderten die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland. Eine bisher substanzlose Frage, die bereits in den achtziger Jahren bei geringen Aufnahmezahlen von rechts in den politischen Raum gestellt wurde, wurde über Nacht, durch organisiertes kriminelles Verhalten einer mutmaßlichen Täterschaft aus dem Flüchtlingsspektrum, zu einer brennenden Frage mit Substanz: Hat in Deutschland die Sicherheit im öffentlichen Raum durch die deutlich erhöhte Flüchtlingszuwanderung nachgelassen oder nicht?



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alls die Vorgänge in den angeführten Städten auf besondere Verhältnisse zurückzuführen sind, wie zum Beispiel auf ein individuelles Versagen der Polizei sowie auf speziell an diesen Orten organisiertes Verbrechen, sollte dies von den zuständigen Stellen so beschrieben werden.

Und es besteht das Gebot der Stunde, darauf hinzuweisen, dass in Deutschland die öffentliche Ordnung durch eine liberale Flüchtlingspolitik nach einer chaotischen Neujahrsnacht keine Einbußen erlitten hat. Nachvollziehbar und somit glaubwürdig müssten seit Bekanntwerden der unerträglichen Geschehnisse die kommunalen Behörden offensive Informations- und Überzeugungsarbeit leisten. In Augsburg stehen dafür die  beiden sozialdemokratischen Referenten Dirk Wurm (Ordnungsreferent) und Stefan Kiefer (Sozialreferent) in der Pflicht. Dass sie noch keine Stellungnahme abgeben haben, ist ihnen nur dann nicht anzukreiden, falls in den kommenden Tagen noch eine folgen sollte. Die öffentliche Ordnung ist in einer Demokratie eines der höchsten Güter. Nimmt das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ab, muss das zwar nicht heißen, dass die Sicherheit im öffentlichen Raum tatsächlich nachlässt, aber die Ängste und Zweifel der Bevölkerung sind ernstzunehmen. Nicht nur, weil Demokratien das Risiko zu minimieren haben, dass – wie in Frankreich – rechtspopulistische Strömungen Aufwind erhalten, sondern einfach auch deshalb, weil nur Rechtsstaatlichkeit die Menschenrechte garantiert. Die größte Errungenschaften der zivilen Geschichte wäre ein zerbrechliches Gut, würde man Aussetzer wie in Köln und anderswo mit Achselzucken quittieren.

Wäre ein Kölner Szenario auch in Augsburg möglich? Hat sich durch die Verdoppelung der in Augsburg lebenden Flüchtlinge im vergangenen Jahr (zirka 3.400 Personen) an der Sicherheit im öffentlichen Raum etwas verändert – oder ist in Augsburg der öffentliche Raum genauso sicher wie vor dem Jahreswechsel?

Falls letzteres der Fall sein sollte, wovon man ausgehen sollte, dann sollten beide Referenten erklären, welcher Sachstand sie zu dieser Auffassung kommen lässt. Hätten aber die Sexualdelikte und andere Verbrechen im vergangenen Jahr in Augsburg signifikant zugenommen, wäre es interessant zu erfahren, wie unsere Behörden diesen Anstieg begründen und was sie dagegen unternehmen wollen.

Unabhängig davon, zu welchen gesicherten Erkenntnissen die zuständigen Referate kommen, ist festzuhalten, dass in jedem Fall Gefahr in Verzug ist. Aktuell geht nämlich in den sozialen Netzwerken die Pegida-Front zum Angriff über, wie das erschütternde Beispiel des ehemaligen Augsburger CSU-Ordnungsreferenten Willi Reisser veranschaulicht, der auf seiner Facebookseite jegliche Zurückhaltung aufgegeben hat und im sarkastischen „Rechtsaußen-Tonfall“ nicht nur über „Gutmenschen“ und die Grünen herzieht, sondern so tut, als wäre die Sicherheitsfrage längst beantwortet: „Vor dreißig Jahren wollten Grüne den Sex mit Kindern legalisieren! Heute reden ihre Frontleute die Sexualstraftaten von Flüchtlingen schön! Respekt vor den Grünen! Sie finden immer wieder Leute, die doof genug sind…“ Reisser mokiert sich über die Art, wie sich seiner Auffassung nach Moslems auf öffentlichen Toiletten verhalten und nimmt eine verängstigte Bevölkerung wahr, indem er zum Beispiel beschreibt, dass er im Wald zwei Joggerinnen mit einem Fahrradfahrer als Begleitung gesehen habe, woraus er folgende Erkenntnis schöpft: „Unsere Freiheit wird bereits heute bundesweit real eingeschränkt durch die Anwesenheit von moslemischen Sexualstraftätern in Deutschland!“

Nun sollte man Rechtsanwalt Reisser politisch nicht viel ernster nehmen als er Ende der Neunziger das Pferseer Hochwasser, das seine politische Karriere beendete. Doch Reisser steht mit seinen fremdenfeindlichen Ergüssen für einen Trend, der sich rasend im Netz verbreitet und sich zu einem Kanon formiert, der zu französischen Verhältnissen führen könnte.

Ordnungsreferate gibt es in Deutschland auch deshalb, weil man gerade in der kommunalen Daseinsfürsorge mit kleinen Gestaltungseinheiten die schwierige Balance zwischen gelebter Liberalität und dem Ruhe- und Sicherheitsbedürfnis im öffentlichen Raum auszuloten vermag. Dirk Wurm wurde bisher von verschiedenen Seiten der Verwaltung in seiner Eigenschaft als Ordnungsreferent ein gutes Zeugnis ausgestellt. Nun ist er zum ersten Mal als Politiker gefordert. Letzteres gilt auch für Sozialreferent Stefan Kiefer, der für den sozialen Frieden in der Stadt verantwortlich ist.