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Samstag, 23.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Von heimlicher Liebe und nervenden Machos

Premiere in der Komödie: das „jtt“ mit „Liebesspielzeug“

Von Frank Heindl

„Herzrast“ steht auf der Bühne, in aus leuchtenden Neonröhren geformten Buchstaben. Doch bevor wir noch nachzudenken anfangen, was das zu bedeuten haben könnte, geht’s auch schon – „fünf, vier, drei, zwei, eins“ – raketenmäßig an den Start: Der „time warp“ aus der „Rocky Horror Picture Show“ ertönt, seit je ein Bringer, wenn’s um gute Partystimmung geht, und wir sind mitten drin in der Fete. Und in der Premiere von „Liebesspielzeug“ – dem neuen Stück des „jungen team theaters“.

Herzrasen beim "jungen team theater": Vom frustrierten Bär mit Bier …

Herzrasen beim "jungen team theater": Vom frustrierten Bär mit Bier …


Basierend auf eigenen Erfahrungen hat der jugendliche Nachwuchs des Stadttheaters unter Leitung von Regisseurin Susanne Inkiow diesmal ein eigenes Stück auf die Bühne gebracht – mal bunt, laut, fetzig, zwischendurch auch leise und nachdenklich. Denn während das junge Volk noch fröhlich tanzt, werden auch schon die ersten Misstöne hörbar. Da trifft ein Jugendlicher seine Ex, die nur noch genervte Blicke für ihn übrig hat, da taucht eine junge Frau unter dicker Bärenmaske auf – keiner hat ihr gesagt, dass die ursprüngliche Idee einer Themenparty wieder aufgegeben wurde. Und ein paar Jungs verabreden in nervender, pubertärer Macho-Manier eine Wette darüber, wer es zuerst schaffen wird, ein bestimmtes Mädchen „flachzulegen.“ Gelegentlich geht jemand ans Mikro am rechten Bühnenrand und verkündet ganz private oder auch aus dem Reclamheft vorgelesene Erfahrungen und Einsichten zu den heiklen, ewig jungen, immer aktuellen Themen Sex & Liebe. Eines der originellen Rezepte, das unbedingt weitergegeben werden muss: Sich oft und ausgiebig verlieben, aber immer nur heimlich – niemals jemandem davon erzählen, vor allem nicht dem/der Angebeteten! Augen auf oder Augen zu beim Küssen?

… über liebevolle Reclam-Weisheiten …

… über liebevolle Reclam-Weisheiten …


Wer den Lebensabschnitt der postpubertären Partnersuche schon länger hinter sich hat, mag sich mitunter fragen, ob Jugendliche sich tatsächlich so ausdauernd hysterisch gehaben – hier wurde sicherlich manches heftig „zugespitzt“. Andererseits kann der ältere Zuschauer, wenn er denn mag, sich durchaus auch selbst erkennen. Erregt geführte Diskussionen wie die, ob man beim Küssen die Augen offen oder geschlossen halten soll und ob es akzeptabel ist, wenn beide Partner zu diesem existenziellen Thema jeweils unterschiedliche Ansichten haben, kann man mitunter auch bei lang verheirateten Paaren zu hören bekommen – vielleicht mit anderen Themen, aber auf durchaus ähnlichem Niveau.

…bis zur schwer erkämpften Frauenliebe.

…bis zur schwer erkämpften Frauenliebe.


Während auf der Party und anschließend im Freibad die Balzrituale paarungswilliger Heranwachsender in vielerlei Variationen durchgespielt werden, bieten sich den Nachwuchsschauspielern mannigfaltige Möglichkeiten, ihr schauspielerisches Können vorzuführen. Und das kann sich durchaus sehen lassen. Während bei der RTL-Castingshow überforderte Kandidatinnen vor voyeuristischem Publikum an der Aufgabe scheitern, einen weiblichen Orgasmus vorzuspielen, erleben wir hier beispielsweise eine herrliche vergleichende Untersuchung zum männlichen Höhepunkt – und ein Glanzstück parodistischer Begabung. Und auch dass Frauen Frauen küssen, wird ernsthaft konstatiert und vorgeführt, ohne darüber hinwegzutäuschen, dass gleichgeschlechtliche Zärtlichkeiten für die Betroffenen auch heute noch ein Problem darstellen (können). Nur das Pathos hat wenig Platz in diesem Szenario: Das Hohe Lied der ganz hohen Liebe wird mit Achselzucken quittiert – „was soll ich mit diesen megahohen Ansprüchen?“, mag das heißen. Doch gleichzeitig stellen die hilfsbedürftigen Liebesanfänger auch die Nützlichkeit fachpublizistischer Ratgeberliteratur so ironisch wie bündig in Frage. Schön, wie jugendliche Flapsigkeit auch hier den hehren Ton „erwachsener“ Welterfahrung kurz und schmerzhaft der Lächerlichkeit preisgibt.

Das ging alles schnell und kurzweilig vorüber, sodass man tatsächlich erst ganz zum Schluss wieder Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken, warum wohl die Bühne unentwegt von der Neon-„Herzrast“ illuminiert wurde. Denn zur Rast kam hier ja kaum einer! War womöglich die herrliche Liebesaufregung gemeint – „Herz rast“? Lang anhaltenden Applaus für ein unterhaltsames, erfrischendes Stück Nachwuchstheater!

Weiter Aufführungen: 16., 18., 21. und 22. Juni sowie 4. Juli.

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