Vom TV-Sound bis zum Hardcore-Schrei
Von Frank Heindl
Aus Songs von zehn Augsburger Bands suchen sich verschiedene Komponisten je ein Stück aus und verpassen diesem ein „klassisches“, von einem großen Orchester zu spielendes Gewand. Der Sänger der jeweiligen Band präsentiert das Stück dann zusammen mit dem Orchester vor großem Publikum – das ist das Crossover-Konzept von „Puppet on a string“, einer Veranstaltung des Popbüros in Zusammenarbeit mit dem Modular-Festival, die nun zum dritten Mal stattfand, diesmal allerdings im großen WM-Kulturstadion auf dem Rathausplatz.
„Die sind jung, die sind hip, die sehen aus wie aus dem Katalog“ – die Ankündigungen von „Modulator“ Nils Corßen (sein Titel ist eine Mischung aus Modular und Moderator) waren nervig großsprecherisch, für jedes der Stücke galt offenbar von vorneherein die Klassifikation „wahnsinnig gut, der absolute Oberhammer“, die Visualisierungen auf der Leinwand hinter der Orchesterbühne schienen ihm weniger gut zu gefallen, die waren nur „total gut“. Ein bisschen Differenzierung kann aber nicht schaden:
Auffällig war, dass fast alle Komponisten den orchestralen Pomp als wichtigstes Ausdrucksmittel gewählt hatten. Das schuf des Öfteren Filmmusik-Atmosphäre, die Assoziation pathetischer Schwarz-Weiß-Streifen aus den 50ern lag nahe. „Ganz schön pompös“ nannte das einmal sogar der „Modulator“ – und lag damit zufällig ganz schön richtig. Zum Fernsehgefühl passte auch der Sound: In großen Bereichen des Stadions war er stark höhenbetont, unten dröhnten die Kontrabässe, dazwischen war fast nichts. So eröffnete also der Sänger von „Adolescent“ mit einer sehr langen Nummer, was nur auf den ersten Blick erstaunlich war, denn keine der Kompositionen hielt sich an die Grundregel der Pop-Music: dass ein Stück nur in Ausnahmefällen länger als fünf Minuten dauern darf. Dafür wurden neue Grundregeln aufgestellt: Pathos ist unabdingbar, ein noch so kitschlastiges Intro muss aber nicht unbedingt in irgendeinem kompositorischen Zusammenhang zum Inhalt oder gar zum Rest des Stückes stehen.
Pomp und Pathos und wenige „Stimmen“
Das Schema von Pomp und Pathos wurde glücklicherweise nicht immer durchgehalten – zum ersten Mal wurde es durchbrochen für Eva Gold, die Sängerin der vom Brechtfest hinlänglich bekannten Band „Misuk“. Gold sang weniger, schrie und brüllte dafür ein bisschen, ein geschreiiges Sax-Solo unterstützte sie beim Song „Vom Geld“. „Geld ist Ware, Geld ist Heldentum“, hat Brecht gedichtet, und das Orchester durfte sich asymmetrisch zum Gesang austoben, wild, hektisch, vielfarbig lieferte es den Background zum kapitalistischen Lauf der Dinge, treibend und getrieben, verebbend in melancholischen Pizzicati, verendend in einem heftig hingerotzten Posaunentusch – toll!
Nicht zu verheimlichen war an diesem Abend auch, dass die Augsburger Szene über Sänger im Sinne von Stimme nicht eben reichlich verfügt. Meistens klang das ein bisschen dünn, von Ausdrucks- und Interpretationskraft größtenteils weit entfernt. Hervorstechend dafür der Umgang von Tonsatz-Professor Peter Gampl von der Uni Augsburg mit dem Orchester. Er unterlegte dem „Cuba Libre“-Song dreier 15jähriger Rapper einen herrlich ironischen Salsa, der tief ins bayerische Gstanzl hineinlappte, von intelligenten Instrumentalbreaks überquoll, dem ersten Geiger einen Paganini-Einsatz bescherte und sich aus einem tollen „klassischen“ Zwischenteil genial zum Rap-Salsa zurückentwickelte.
Blues bringt Emotionen, Hardrock schafft Gegensätze
Endlich eine Stimme: Von Eva Gold abgesehen, die weniger sang als ausdrückte, war der Ur-Blueser James O. Belcher der erste Sänger mit Kraft auf der Bühne. Ihm ließ die Orchesterkomposition reichlich Platz für Emotionen und einen Improvisationspart in Zusammenarbeit mit dem Saxophon – auch dies ein Beispiel dafür, wie vielseitig die jungen Musiker des Orchesters „Juventhusias“ sind! Danach gleich noch eine Stimme: „Mieze“ von „Boy mietz girl“ sang in ihrer Ballade „Wake up from your sleep“ wenig, aber gut – Oliver Gottwald von den hochgelobten „Anajo“ dagegen muss man mögen, seine Art und Weise, nahezu jeden Ton nach allen Seiten zu verziehen, klingt auf die Dauer ein wenig jammerig. Und auch Lydia Daher ließ eine Chance verstreichen: In ihrem Song „Flüchtige Bürger“ überließ sie den ganzen Aufruhr dem Orchester, sang selbst eher etwas monoton dahin – ein Ohrwurm zwar möglicherweise trotzdem, aber eben einer im Sinne von konventionell orchestral aufgepeppter Popmusik.
Der Topact kam zum Schluss und war eine echte Überraschung. Es komme jetzt einer, der ziemlich „rumbrüllen“ werde, hatte der Moderator angekündigt, und nach allem, was er vorher erzählt hatte, glaubte man ihm natürlich nur die Hälfte. Aber Moritz Steiger, Ultra-Hardrocker der Metal-Hardcore-Band „Kill me“, tat tatsächlich genau das: Er schrie sich die heisere Seele aus dem Leib und dem Publikum entgegen – endlich mal einer, der sich nicht vom Wohlklang des Orchesters korrumpieren ließ, der nicht gemeinsam mit dessen Klangfülle Schwülstigkeit zu inszenieren bestrebt war, der stattdessen den Gegensatz zwischen seiner Botschaft und diesem voluminösen Klangkörper zelebrierte: Steiger begehrte auf und scherte sich eine Dreck um die Tradition und den mächtigen Sog der orchestralen Anpassung. Plötzlich konnte man sich dieses Orchester in einer ganz, ganz bösen Headbanger-Disco vorstellen – und alles war gut. Sogar die bis dato reichlich harmlos-tulpigen „Media-Player“-Mätzchen der Leinwandanimationen von „John et Paul“ wurden nun „laut“ und aggressiv, blutrot, grellhell, schwarzweiß – da hatte jemand mitgedacht und erkannt, dass es nun auf Gegensätze ankam. Ein infernalisches, kraftvolles, bravouröses Finale.
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