Vom Packer zum Mörder in neunzig Minuten
Premiere: Brechts „Mann ist Mann“ bei Dierig
Von Frank Heindl
„Mann ist Mann“, behauptet Bertolt Brecht in seiner gleichnamigen Komödie. Austauschbarkeit kündet der Titel an, und wo ist der Mann austauschbarer als beim Militär. Wenn er noch dazu so dumm-naiv wie dieser Galy Gay ist, dann kann man ihn in der Tat hinstellen, wo man will, immer wird er seine „Pflicht“ erfüllen und das Gefühl haben, er sei ganz freiwillig dabei. Schon zu Anfang leugnet Galy in Gegenwart seiner Frau (Olga Nasfeter), diese je gekannt zu haben – da die Umstände es seiner Ansicht nach erforderlich machen, hat er nicht mal ein schlechtes Gewissen dabei. Am Schluss wird er auf sich selbst eine Grabrede halten, einen anderen Namen annehmen, ein anderer sein. Aus dem harmlosen Packer Galy Gay ist dann eine „Kriegsmaschine“ geworden. Der Mensch sei „umzubauen“ wie ein Auto – das ist die These des Stücks, und bei Galy Gay braucht’s dafür nicht mal viel Druck. Wenn man ihm erzählt, des Soldaten Uniform sei ein „Ehrenkleid“, so fühlt er sie sich geehrt, sie überziehen zu dürfen, selbst wenn sie so furchtbar knallgelb ist wie hier – schließlich hat er ja zuvor einen mindestens ebenso geschmacklosen Flauschepulli getragen (Kostüme: Nicole von Graevenitz).
In Markus Trabuschs Inszenierung sind nicht nur die Kostüme trashig, überdreht, schrill. Die Bühne (Volker Thiele) ist ein Sammelsurium aus Billigteilen und dem bei Dierig vorgefundenen Lagerhallenambiente: Ein Gummi-Planschbecken beispielsweise dient der Witwe Begbick (mal schlangen-, mal katzenhaft und immer Vamp: Ute Fiedler) mal als Kleid, mal als Theke. Aus ein paar nicht weniger unsinnigen Requisiten bauen die Soldaten einen „Elefanten“, der nicht im Entferntesten einem Elefanten ähnlich sieht. Egal: „da er gekauft wird, habe ich keine Zweifel“, sagt Galy.
An der Grenze zur Groteske
Indem die Inszenierung Brechts „Zwischenspiel für das Foyer“ einfach ins Stück einbaut, macht sie mehr als deutlich, dass die Grenze zur Groteske in bewusster Absicht überschritten wird. In ein und derselben Szene wird da erklärt, was „der Herr Brecht“ sich bei diesem Stück gedacht habe, um anschließend klarzumachen, wer etwas sehen wolle, was Sinn habe, der müsse „auf das Pissoir gehen.“
Ähnlich grotesk ist es, wenn der Soldat Jeraiah Jip (Toomas Täht) sein Fleisch aus dem Hundenapf frisst und sein Bein an einer Säule hebt. Oder wenn Kommandant „Bloody Five“ (Eberhard Peiker) seinem Hang zur Weiblichkeit mit brutaler Selbstentmannung begegnet und von da ab in immer tuntigerem Aufzug die Bühne betritt. Am unaufgeregtesten agiert in dieser Männerwelt die Witwe Begbick: Sie ist die typische brechtsche Kriegsgewinnlerin – für Geld kann man bei ihr alles kriegen.
Großartiges Ensemble in offenkundiger Spielfreude
Adrian Sieber hat nicht nur durch die von Paul Dessau und Kurt Weill vertonten Brecht-Songs neu arrangiert, seine Band steuert auch Zwischentöne und -rhythmen bei, die das slapstick- und klamottenhafte der Inszenierung weiter betonen und auch bekanntere Stücke wie den „Kanonensong“ wieder hör- und erfahrbar machen. So stolpert Galy Gay (klasse im Wandel vom Hampelmann zum zynischen Kriegshelden: Tjark Bernau) in hohem Tempo durch das Geschehen, gerät, eigentlich nur zum Fischmarkt unterwegs, zunächst auf die Wege der verführerischen Witwe, gerät wenig später unter die Soldaten (drollig und dreist, dumm und unverschämt: Klaus Müller, Michael Stange und Anton Koelbl), wird anschließend „umgebaut“ – und tyrannisiert am Ende als stolzer Massenmörder den Kriegsschauplatz ebenso wie diejenigen, die ihn für ein paar Zigarren angeheuert hatten. Mann ist eben Mann: Im dümmsten Packer steckt ein fähiger Mörder, der Umbau funktioniert notfalls in 90 Minuten.
Neben der perfekten Verbindung von Klamotte, Musik und Tempo verblüfft Trabuschs Inszenierung auch mit der Erkenntnis, wie effektvoll brechtsche „Verfremdungseffekte“ immer noch einsetzbar sind, wenn sie so unaufdringlich nebenbei in Szene gesetzt werden. Die bestens gelaunten Schauspieler springen immer wieder aus ihren Rollen, wechselnd singend ins Revuefach, kommentieren Fernseh-Moderatoren gleich eine Versteigerung, sagen artig ein Gedicht vom Herrn Brecht auf, sprechen mal zum Publikum, mal ins Mikro – das kommt in keiner Sekunde akademisch oder lehrerhaft belehrend rüber, sondern macht einen riesen Spaß. Dass richtig gutes Theater nicht nur die Zuschauer freut sondern auch die Schauspieler, war ebenso in jeder Sekunde spürbar: dank der offenkundigen Spielfreude des an diesem Abend einfach großartigen Ensembles.