Vielerlei Arten, den Brecht zu beschreiben
Die Eröffnung des Brechtfestivals mit Burghart Klaußner war ein lohnendes Wagnis
Von Frank Heindl
Haben die vier Vorläufer des diesjährigen Brechtfestivals das Publikum „reif gemacht“ für eine tiefer greifende Beschäftigung mit dem Autor? Oder haben die Macher einfach endlich gemerkt, dass sie dem Publikum bisher zu einfältige Kost vorgesetzt hatten – wie in der DAZ immer wieder argumentiert worden ist? Wie auch immer, das Festival 2014 mit intellektueller Feinkost zu beginnen, nicht auf Smalltalk zu setzen, sondern auf Ernsthaftigkeit – dieses Wagnis hat sich ausgezahlt.
Die 20er-Jahre seien „die spannendste, die ästhetisch radikalste Zeit“ Brechts gewesen, hatte Joachim Lang als künstlerischer Leiter in seinem – auch dies ein großer Fortschritt! – kurzen Vorwort behauptet. Und damit auch nur kurz eine Diskussion angeschnitten, die derzeit hinter den Kulissen ausgetragen wird. Denn die 30er, behaupten manche, stünden der vorangehenden Dekade in keiner Weise nach und überragten sie eher. Und das in diesem Jahr vom Theater Augsburg zu Brechts Geburtstag inszenierte Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ stamme ohnehin aus den 30ern – auch da gehen die Meinungen auseinander und die Diskussionen münden mitunter in philologische Spitzfindigkeiten. Wohl dem, der die Werkchronologie nicht für das Allerwichtigste im Leben eines Dramatikers hält – und der sich unbefangen in den Eröffnungsabend stürzen konnte.
Die begann mit Burghart Klaußner und dürfte einmal mehr auch an anderen Orten der Republik für das Augsburger Theater Werbung machen. Denn so, wie im vergangenen Jahr Thomas Thiemes „Baal“-Interpretation beim Brechtfestival zum Start einer erfolgreichen Produktion wurde (DAZ berichtete), die mittlerweile an vielen deutschen Theater gastiert hat, könnte es auch mit Klaußners Brecht/Eisler-Abend kommen. Nicht nur Matthias Stötzel, der Klaußner zwischendurch auf dem Klavier begleitete, äußerte anschließend Hoffnungen in dieser Richtung.
Sarkastisch, präzise, gedankenschnell und mit leuchtender Präsenz
Doch selbst wenn’s bei Augsburg bleiben sollte: Der Abend war fast hundertprozentig gelungen. Klaußner schlüpfte dafür in die Rolle des Komponisten Hanns Eisler, des Freundes und Wegbegleiters von Brecht, der auch die Musiken für viele seiner Stück und Lieder geschrieben hatte. Eisler hat zwoschen 1958 und 1962 mit dem Regisseur Hans Bunge Gespräche geführt, die aufgenommen und später sowohl auf Schallplatte wie auch in Buchform veröffentlicht wurden. Aus den zwölf Stunden Material hat Burghart Klaußner eine 90minütige Fassung destilliert. Bunge wurde auf der Augsburger Bühne – und nun sind wir beim kleinen Haken der Inszenierung – von Festivalleiter Joachim Lang „dargestellt“. Lang ist nur leider kein Schauspieler – umso deplatzierter musste dies in einem Haus wirken, das über das geeignete Personal durchaus verfügt hätte. Zu seiner Verteidigung kann man allenfalls anführen, was Klaußner selbst nach der Veranstaltung auf einem Diskussionspodium bestätigte: Er selbst habe Lang gebeten, die Rolle Bunges zu übernehmen. Nicht wenige Festivalkenner ließen sich allerdings nicht von der Meinung abbringen, Langs „Eitelkeit“ und seine „Freude an Talkrunden“ habe ein Übriges dazu getan, dass letztendlich Lang selbst mit auf der Bühne saß.
Das tat dem Ganzen einen gewissen Abbruch, aber keinen entscheidenden. Entscheidend fürs Gelingen waren zwei viel wichtigere Aspekte: Zum ersten sind Eislers Einlassungen über Brecht, über die Musik, über Adorno, über den Kommunismus, über die gemeinsame Zeit im US-Exil und vieles, vieles mehr nicht nur ungebrochen aktuell, nicht nur spannend, nicht nur streitbar – Eisler hat sie im Gespräch auch pointiert, oftmals humorvoll, teils sarkastisch, immer ungemein präzise, verständlich und in keinem Fall geschwätzig formuliert. Und zum anderen brachte Klaußner diesen Eisler glaubhaft, genau und ungemein fesselnd auf die Bühne. Der Schauspieler hatte die Text nicht auswendig gelernt, las mitunter ab, dies aber ebenbürtig mit einer geradezu leuchtenden Präsenz, scharfzüngig, gedankenschnell, prägnant, in knallharter intellektueller Sprache – am Büchertisch im Foyer standen anschließend die Interessenten Schlange auf der Suche nach der vollständigen Druck- oder CD-Fassung der Gespräche. Enttäuschend: Beides ist vergriffen und allenfalls antiquarisch erhältlich.
Die Themen im Exil: Schönberg, Mann, Brecht – sowie „der Goethinger und der Schillinger“
Referieren lassen sich die Inhalte nur schlecht, wenn man von den Anekdoten absieht: Wie man in Augsburg mit Brechts alten Freunden Karten spielte, wie chaotisch es in des Komponisten Arnold Schönbergs Haus in den Staaten zuging (dort war die älteste Tochter 44 Jahre alt, der jüngste Sohn sechs, sodass dieser von Schönbergs Enkeln mit „Onkel“ angesprochen wurde), wie man sich langweilte im Exil und keinen besseren Ausweg als immer nur die Arbeit fand, wie Thomas Mann vom „leider begabten Brecht“ sprach und Brecht von den deutschen Nationaldichtern: dem „Goethinger“ und dem „Schillinger“. Und wie auch Eislers Werk nicht immer die Anerkennung Brechts fand: Seine „14 Arten, den Regen zu beschreiben“ von 1940 fand Brecht zu innerlich, der Zeit nicht angemessen. Glücklicherweise hat Eisler daneben auch vielerlei Arten hinterlassen, den Brecht zu beschreiben …
Politisch aber war man sich im Großen und Ganzen einig: Die Dialektik, befand der Musiker, sei „das Volkstümlichste überhaupt“, und dahin gingen ja auch die Bemühungen des Dichters. Und wie Eisler für Brechts Stücke komponierte, galt nicht nur Brecht viel, sondern gilt heute noch als beispielhaft. Wenn’s um die Mutter Beimlein mit ihrem Holzbein geht, dann hinkt Eislers Musik im Takt dieser alternden Hure, die mühsam die Treppe erklimmt. Klaußner sang’s vor – und das Publikum war auch davon hingerissen.