Staatstheater
Uraufführung nach Oskar Maria Graf im Martinipark: Keine Ruhe für den Friedfertigen
Oskar Maria Grafs Romane sind ein Panorama bayerischen Lebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dessen Zeitzeuge und aufmerksamer Beobachter der Schriftsteller war. Seine Perspektive ist die der Landbevölkerung, die sprachliche Gestaltung bedient sich des bairischen Zungenschlags, ohne sich jedoch als Mundartliteratur zu verstehen.
Von Halrun Reinholz
Einen Roman auf die Bühne zu bringen, ist eine Herausforderung, der sich in diesem Fall die Wiener Regisseurin Susanne Lietzow stellt. Im Auftrag des Augsburger Staatstheaters hat Lothar Trolle die Bühnenfassung von Oskar Maria Grafs Roman „Unruhe um einen Friedfertigen“ erstellt. Der Roman, im amerikanischen Exil geschrieben, reflektiert, ähnlich wie der bekanntere nur wenige Jahre früher entstandene Text „Aus dem Leben meiner Mutter“, die Zeitgeschehnisse – Erster Weltkrieg, Revolution, aufkommender Nationalsozialismus – unter dem Prisma des Dorflebens. Als „Provinzschriftsteller“ hat sich Graf verstanden, auf die Authentizität seiner in Bayern verwurzelten Figuren legte er großen Wert.
Lothar Trolle ist kein Bayer, er hat schon deshalb eine Außensicht auf Grafs Roman, fokussiert aber auf das stringente Innenleben des bayrischen Dorfes. Die gebürtige Tirolerin Susanne Lietzow schließt den Kreis kongenial und konturiert sachkundig die Innenwelt der Dorfbewohner. Das Bühnenbild bleibt während der gesamten (pausenlosen) Aufführung unverändert – ein grober Acker, über den die Schauspieler mühsam stapfen, ein verzerrter Video-Hintergrund, sonst wenig Requisiten. In das Einerlei des Lebens auf dem Land kommt nur gelegentlich etwas Bewegung – etwa durch Raufereien im Dorfwirtshaus (für die man extra eine professionelle Kampfchoreografie erstellt hat), aber dann zunehmend durch die Ereignisse der Weltgeschichte – die Revolution nach dem Ersten Weltkrieg und die damit einsetzende Polarisierung von Rechten und Linken hat mit Silvan und Ludwig auch im Dorf Auffing duellierende Protagonisten.
Im Zentrum des Geschehens steht der Schuster Julius Kraus, dargestellt von Gerald Fiedler. Er verlässt die Bühne nie und steht für Stetigkeit und Verlässlichkeit – ja, auch Vertrauenswürdigkeit. Denn bei ihm versteckt sich der „rote“ Ludwig, als die Revolution nach rechts kippt. Sehr zum Unbehagen des Schusters, der sich gern aus allem heraushalten möchte und unbeirrt seine Schuhe poliert. Er weiß genau, warum. Die Familie ist seinerzeit „aus dem Österreichischen“ ins Dorf gekommen, doch Julius Kraus erinnert sich an ein Judenpogrom in Odessa, das seine Familie zur Flucht zwang. Seine jüdische Herkunft hat er im Dorf geheim gehalten, getreu dem Vermächtnis seines Vaters: „Mach dich nicht mausig, dann frisst dich keine Katz.“ Doch die unruhigen Zeiten lassen das Inkognito, das bis dahin keiner im Dorf hinterfragt hat, nicht mehr zu. „Jetzt gibt`s Blut! In der Stadt geht`s schon wild auf!“ frohlockt der Dorf-Nazi Silvan. Zu allem Überfluss erbt Julius noch einen hohen Geldbetrag von seinem in Amerika verunglückten Sohn Hans. Geld, das er nicht braucht, das aber den Argwohn und die Begehrlichkeiten der Dorfgemeinschaft auf die Spitze treibt. Vor aller Augen wird der Schuster von Silvan und seinen Nazi-Kumpels getötet.
Neben Gerald Fiedler teilen sich sieben Schauspielerinnen und Schauspieler die restlichen Rollen des Auffinger Dorflebens. Natalie Hünig und Jenny Langner verkörpern die Frauen – kernig, lebenspraktisch und doch der Willkür ausgeliefert, besonders tragisch bei Elies Heimgeiger, die sich nach erfolglos eingeklagter Vergewaltigung erhängt. Paul Langmann und Patrick Rupar treten vor allem als die beiden Kontrahenten Silvan und Ludwig in Erscheinung, verkörpern aber auch andere Rollen, ebenso wie Kai Windhövel, Klaus Müller und Thomas Prazak.
Für den Blick von außen, die Kommentare des auktorialen Erzählers, greift die Regisseurin auf die Kinderperspektive zurück – markiert durch überdimensionale Köpfe, unter denen die Darsteller das Geschehen vom Rand betrachten. Sie treiben damit die Dynamik etwas voran, sodass letztlich ein stimmiges, wenn auch erschreckendes Panorama des letztlich vollkommen unidyllischen Dorflebens sichtbar wird – in einer kämpferischen, überhitzten Zeit, die den Friedfertigen keine Ruhe gönnt.
Ausdauernder Applaus für die Darsteller und das Regie-Team im Martinipark.